Diese toxischen, frauenfeindlichen und vermeintlich längst überholten Männlichkeitsideale äussert Influencer Andrew Tate in seinen kostenpflichtigen Online-Kursen. Die Teilnehmer: grossmehrheitlich junge Männer. Zu Hunderttausenden schalten sie sich ein und lauschen den Worten des ehemaligen Kickboxers.
Tate, britisch-amerikanischer Doppelbürger, lebt gemeinsam mit seinem Bruder Tristan seit einiger Zeit in Rumänien. Das konservative Männerbild, das er seiner Gefolgschaft vermitteln will, ist das eine. Das andere: Die Ermittlungen, die seit Jahren gegen die Tates am laufen sind. Den Brüdern wird unter anderem Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen. Die beiden streiten alles ab.
Eine gross angelegte Recherche des Tages-Anzeigers zeigt nun: Auch Tausende Schweizer nehmen an den Online-Kursen von Andrew Tate teil. Im Zentrum dieser Kurse: eiserne Disziplin, Sport, Reichtum und Macht. Auch Erfolg versprechende Geschäftsmodelle wie Krypto werden präsentiert. Tate nennt sein Programm «The Real World University», die Kursleiter sind «Professors».
Das Netzwerk, in dem sich Tate und seine Nacheiferer aufhalten, hat den Namen Manosphere erhalten (übersetzt: Männer-Sphäre). Dieses besteht aus Websites, Blogs, Foren, YouTube-Kanälen und Social-Media-Gruppen. Dort drehen sich die Debatten um besagte Männlichkeitsideale, nehmen aber auch misogynen, radikalen, gewalttätigen und demokratiefeindlichen Charakter an.
Dieser Entwicklung will SP-Co-Präsident Cédric Wermuth nicht länger zuschauen. Er hat im Parlament einen Vorstoss mit dem Titel «Ausstieg aus der Manosphere erleichtern» eingereicht.
Gegenüber watson sagt Wermuth: «Mir wurde in den vergangenen Monaten bewusst, wie weit diese Manosphere-Männlichkeitsvorstellungen in die Mitte der Gesellschaft vorgerückt sind.» Deswegen will Wermuth Massnahmen anregen, die jungen Männern beim Ausstieg aus der Manosphere helfen sollen.
Konkret sollen niederschwellige Präventions- und Ausstiegsangebote geschaffen werden, die betroffenen Männern, aber auch ihren Angehörigen, zur Verfügung stehen. Wermuths Fokus richtet sich dabei vor allem auf die «digitale Sozialarbeit», welche auf junge Männer und deren Verhalten im Internet abzielt. «Im öffentlichen Raum wird die Jugendarbeit seit den 90er-Jahren in jeder Schweizer Gemeinde aufgebaut. Im Internet gibt es solche Angebote quasi nicht.»
Man wisse, wo die jungen Männer online unterwegs seien. Wo sie sich träfen und radikalisierten. Genau dort gelte es, diese Männer direkt anzusprechen, so Wermuth. Er betont:
In der Recherche des Tages-Anzeigers kommen drei junge Männer zu Wort, die ihr Leben nach den Empfehlungen Tates gestalten. Ein Hochbauzeichner-Lehrling erzählt: «Ich stehe jeden Morgen um 5 Uhr auf, lese 15 Minuten in einem Buch über Mindset und Disziplin, gehe 30 Minuten joggen und um halb 8 zur Arbeit.»
Dabei bleibt es nicht. Nach der Arbeit schaut sich der 18-Jährige zwei Stunden Lektionen von Tate an und macht eine weitere Stunde Sport. Als Abschluss folgt kalt und warm duschen, dann liest der junge Mann Bücher über Ernährung und ein paar Seiten in der Bibel.
Dass diese Ideale junge Männer überfordern können, liegt auf der Hand. Ein anderer junger Schweizer (16) bestätigt: «Manchmal mag ich nach einem Arbeitstag nicht noch die Kurse absolvieren. Wenn ich keine Energie für eine weitere Lektion habe oder die Regeln breche und doch Zucker esse, dann macht mich das manchmal fertig.»
Im Internet teilen die Teilnehmer von Tates Lektionen, was sie sich im Leben alles verbieten: Alkohol, Drogen, Fernsehen, Pornos schauen, onanieren (nur Sex mit der Ehefrau).
Mit Fragen der gewaltlegitimierenden Männlichkeit befasse er sich schon länger, sagt Wermuth. Die Wahl von Donald Trump im vergangenen November habe ihm jedoch gezeigt, welch gefährliche Kraft die Manosphere ausüben könne.
«Bei Trump war die Unterstützung aus der Manosphere zum ersten Mal so offen ein zentraler Faktor für politischen Erfolg in einem so wichtigen Amt. Diese Männlichkeitsbilder sind eng mit der rechten und konservativen Politik verbunden», sagt Wermuth. Tatsächlich hat eine Mehrheit der jungen Männer gemäss Nachwahlbefragungen für Donald Trump gestimmt.
Eine Frage bleibt: Wie ist es zu erklären, dass das konservative, frauenfeindliche Männerbild Tates auch bei jungen Männern in der Schweiz so gut ankommt? Dafür gebe es zwei Gründe, glaubt Wermuth.
Das eine sei der reale Aufstieg von Frauen in der Gesellschaft. Männer müssten Privilegien abgeben. «Männer verlieren zunehmend ihre Machtpositionen, das fühlt sich für einige offenbar als Rückschritt an. Die Manosphere ist die unschöne Antwort darauf.»
Das andere: Die Verunsicherung, die man bei jungen Männern feststelle. Wermuth führt aus:
Bis im Herbst hat der Bundesrat Zeit, auf die Fragen in Wermuths Interpellation zu reagieren. Seinen Vorstoss sieht er als Ergänzung zum Bestreben seiner Partei, gegen Misogynie und geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen. «Die Aufgabe für Cis-Männer wie mich ist es, an einer eigenen, ernsthaften Emanzipationsbewegung gegen diese gewaltlegitimierenden Rollenbilder zu arbeiten.»