Braucht es die CVP überhaupt noch? Diese Frage stellte watson im Frühjahr 2016. Damals wirkte die stolze Partei angeschlagen. Sie gewann Abstimmungen, doch beim Wähleranteil drohte der demütigende Absturz in den einstelligen Prozentbereich. Und dann übernahm mit Gerhard Pfister auch noch der «Rechtsausleger» in der Bundeshausfraktion das Präsidium.
Konnte das gut gehen? Die CVP war die letzte «echte» Volkspartei, doch der Preis war ein verwässertes Profil. In Pfisters Amtszeit kam es zur Umbenennung in Die Mitte und zur Fusion mit der serbelnden BDP. Es war ein Wagnis, doch nach etwas mehr als neun Jahren lässt sich bilanzieren: Es ging gut. Die «neue» Mitte tritt gefestigt und selbstbewusst auf.
Am Samstag legt Pfister das Präsidentenamt an der Delegiertenversammlung in Bern in die Hände von Philipp Matthias Bregy. Die Ankündigung des Abgangs überraschte, doch anders als FDP-Kollege Thierry Burkart, dessen kürzlich angekündigter Rücktritt mit bösen Begriffen wie «Abschleichen» kommentiert wurde, kann der Zuger erhobenen Hauptes abtreten.
«Gerhard Pfister hat hervorragende Arbeit geleistet», sagt Bregy im Gespräch nicht ganz überraschend über seinen Vorgänger: «Er hat die Partei gut aufgestellt und ihr das Selbstvertrauen zurückgegeben.» Dazu gehöre, dass man auch mal unbequeme Positionen vertrete und «blaue Flecken» riskiere, meint der Walliser: «Davon profitieren wir jetzt.»
Das zeigt sich unter anderem bei den Jungen, wo die einst verstaubt wirkende Partei auf überraschend viel Zuspruch stösst: «Bei der Generation Z sind wir hinter SVP und SP die Nummer drei», freut sich der designierte Präsident. Eine Folge davon ist ein Mitgliederzuwachs bei der Jungen Mitte. Auch das spricht für den Formstand der Partei.
Nationalrat Bregy ist der einzige Kandidat für die Pfister-Nachfolge, seine Wahl am Samstag ist Formsache. Anders als bei der turbulenten Bundesratswahl sorgt die fehlende Auswahl bei der Mitte kaum für Kritik, denn trotz seiner Verdienste war Gerhard Pfister nicht gerade eine Integrationsfigur. Der 46-jährige Bregy erfüllt diese Anforderung problemlos.
Auf der menschlichen Ebene findet sich in Bundesbern kaum jemand, der ein Problem mit dem Anwalt und zweifachen Familienvater aus dem Oberwallis hätte. Auch die Führungsqualitäten des bisherigen Fraktionschefs werden gelobt. «Er kann zuhören», sagt ein Fraktionsmitglied mit einem unverkennbaren Seitenhieb auf den oft distanziert wirkenden Gerhard Pfister.
Seine Wahl im April 2016 wurde von kritischen Stimmen begleitet, und auch in der Folge stand der Zuger Nationalrat unter Beobachtung. Zum «Lackmustest» wurden die Wahlen 2019. Pfister bestand ihn. Die CVP wurde von der «Grünen Welle» weitgehend verschont. Sie verzeichnete die geringsten Verluste der vier Bundesratsparteien.
Für Pfister und Generalsekretärin Gianna Luzio war dies der Startschuss für den grossen Umbau. Die BDP hatte bei den Wahlen ein Debakel erlitten und war anders als einige Jahre zuvor reif für die Fusion. Umstritten war die Streichung des C für christlich. Zur Debatte stand sie seit Jahren, doch es fehlte der Mut. Pfister und Luzio zogen es durch.
«Es war richtig, das C abzuschaffen», sagt Philipp Matthias Bregy. Das mag überraschen, denn die Oberwalliser wehrten sich bis zuletzt dagegen. «Im Wallis war die CVP schon früh keine konfessionelle Partei mehr», erklärt Bregy. In anderen Regionen aber blieb sie eine katholische Milieupartei. Für den neuen Chef war das Ende des C deshalb im Rückblick «alternativlos».
«Wenn man die Jungen ansprechen will, braucht man die Breite der Gesellschaft», betont Bregy. Bislang funktioniert es. Ausgerechnet im Wallis, wo der Namenswechsel umstritten war, gewann die Mitte bei den kantonalen Wahlen im März zwei Sitze im Parlament hinzu, und Franziska Biner wurde auf Anhieb mit einem Glanzresultat in die Kantonsregierung gewählt.
Für den Walliser Bregy ist dies ein Beleg dafür, dass der Umbau richtig war, auch wenn er betont, der Prozess sei «nicht abgeschlossen». Während des Transformationsprozesses musste die Partei teilweise «Top-Down» geführt werden. Bregy will diesen Prozess nun in die Breite tragen, doch auch dies sei «kein Sprint, sondern ein Marathon».
Inhaltlich will der neue Parteichef den Schwerpunkt auf das Thema Sicherheit legen, und das nicht nur im engeren Sinn. Also nicht nur in Bereichen wie Geopolitik oder Kriminalität. Für die Mitte gehe es auch um finanzielle Sicherheit (etwa bei Gesundheitskosten und Wohnraum) und sichere Arbeitsplätze. Ein Schwerpunkt sei auch die sichere Altersvorsorge.
«Das sind alles bürgerliche Themen, aber es braucht eine soziale Komponente», erklärt der neue Mitte-Präsident. Bürgerlich und sozial – es ist die «Marktlücke» im politischen Spektrum, in dem sich die Mitte positionieren will. Und abgrenzen von der «Erzrivalin» FDP, die unter dem Präsidium von Thierry Burkart zunehmend nach rechts abgedriftet ist.
Es ist ein pikanter Kontrast. Vor neun Jahren waren die Freisinnigen unter ihrem hemdsärmeligen Präsidenten Philipp Müller (er bezeichnete Abzocker-Manager auch mal als «A…loch») in Topform, während die CVP taumelte. Jetzt ist es genau umgekehrt. Die Mitte ist gefestigt, während die FDP orientierungslos wirkt, nicht zuletzt in der Europapolitik.
Das Thema droht die Partei zu zerreissen und gilt als einer der Gründe für Burkarts Abgang. Die Mitte geht es vorsichtiger an. Ihre Position in der Vernehmlassung zum neuen EU-Vertragspaket wird anders als bei der FDP nicht von den Delegierten, sondern wie üblich vom Präsidium verabschiedet, sagt Bregy. Danach gehe es im parlamentarischen Prozess um die innenpolitische Umsetzung.
«Philipp Bregy ist kein Euro-Turbo», sagt eine mit dem Dossier vertraute Person. Er sei in der Europafrage aber wesentlich offener als der ewige EU-Skeptiker Gerhard Pfister. «Wir brauchen stabile, gute Beziehungen mit Europa», meint dessen Nachfolger. Spricht man mit ihm über die geopolitischen Turbulenzen, merkt man, dass dies keine Floskel ist.
Kann er den positiven Trend fortsetzen, spricht einiges dafür, dass die Mitte der FDP einen Sitz im Bundesrat abnehmen kann. Gemäss einer Simulation des Lausanner Politologen Sean Müller für die «NZZ am Sonntag» dürfte die Mitte bei den Wahlen 2027 vor der FDP liegen. Und in Bundesbern kursiert das Gerücht, FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter werde am Ende der Legislaturperiode zurücktreten.
Der neue Präsident hält den Ball flach. «Wir müssen weiter arbeiten, wachsen und nicht zu stark nach links und rechts schauen, dann ist alles möglich.» Gleichzeitig betont Bregy, dass «die Rechte im Bundesrat aktuell übervertreten ist, die Linke es aber mit drei ebenfalls wäre». Stimmt nach den Wahlen 2027 die Konstellation in der Bundesversammlung, ist ein Angriff der Mitte auf die FDP absehbar.
Vorerst stellt sich die Partei personell neu auf. Sie hat mit Martin Pfister einen neuen Bundesrat und mit Philipp Bregy einen neuen Präsidenten. Seine Nachfolge an der Spitze der Fraktion wird wohl eine Frau antreten (die Zürcher Nationalrätin Yvonne Bürgin hat sich in Stellung gebracht), und Generalsekretärin Gianna Luzio dürfte ebenfalls aufhören.
Nicht alles läuft rund bei der Mitte. Ihre machtbewussten Ständeräte gehen manchmal eigene Wege, und die Regelung der Nachfolge von Viola Amherd verlief suboptimal. Die Rücktrittsankündigung der Bundesrätin im Januar, nur wenige Tage nach jener des Parteipräsidenten, wurde intern mit einigem Unmut aufgenommen.
Anders als vor neun Jahren aber stellt sich die Frage nicht ob es die Mitte noch braucht. «Die Politik hat sich stark polarisiert, deshalb braucht es Kräfte im Zentrum, die auf Lösungen hinarbeiten, einen dritten Pol», sagt der neue Präsident Philipp Matthias Bregy. Oder wie der Walliser es bildlich ausdrückt: «Ein Stuhl kann nicht auf zwei Beinen stehen.»
Die Mitte;
Für die Linken zu rechts für SVP und FDP zu links = ??
Ab und zu ist die Mitte immerhin das (kleine) soziale Gewissen der Bürgerlichen.