«Ich habe mich entschieden, meine Priorität dort zu setzen, wo mein Herz am stärksten schlägt: im Wallis.» Das sagte Christophe Darbellay in einer schmucklosen Mehrzweckhalle im Wallis.
Es ist Schlussspurt auf der verzweifelten Suche nach Bundesratskandidaturen. Weil die Mitte mit einem Schwall an Absagen kämpft, richteten sich am zweitletzten Tag des Anmeldefensters alle Blicke auf Charrat. Normalerweise brausen im Unterwalliser Dorf die Interregio-Züge zwischen Martigny und Sion nur so vorbei, doch an diesem Sonntagabend stand der 2000-Seelen-Ort für einmal im nationalen Scheinwerferlicht. Der hier aufgewachsene Walliser Staatsrat und einstige CVP-Parteipräsident Christophe Darbellay informierte über seine Zukunftspläne. Beziehungsweise darüber, dass er derzeit keine Wechselgelüste hat.
Wieder also eine Absage. Nachdem schon die komplette Mitte-Führungsriege – von Parteipräsident Gerhard Pfister über Fraktionschef Philipp Bregy bis Vizepräsidentin Yvonne Bürgin – ihren Verzicht bekannt gegeben haben, tut es ihnen das Aushängeschild der früheren CVP gleich. Darbellay führte die Partei von 2006 bis 2016. Er war 2003 im jungen Alter von 32 Jahren in den Nationalrat gewählt worden, ehe er 2016 den Nationalrat in Richtung Wallis verliess. Und dort will er nun auch bleiben.
Der Entscheid sei ihm nicht leichtgefallen, sagte der 53-Jährige vor den Medien. Den Ausschlag für die Absage gegeben hätten verschiedene Faktoren. Darbellay nennt die Beziehung zu seinen Kindern und den Umstand, dass im Bundesrat das Verteidigungsdepartement frei werde und er in diesem Bereich nicht ein «grosser Spezialist» sei. Hinzu komme, dass er als Walliser Staatsrat noch viel vorhabe. Und vor allem das schlechte Timing.
Im Wallis wird nämlich im März die Kantonsregierung neu gewählt. Der erste Wahlgang findet am 2. März statt – zehn Tage vor den Bundesratswahlen durch das Parlament. Darbellay hätte also gleichzeitig um die Gunst der Walliser Bevölkerung als auch um die Stimmen in Bundesbern buhlen müssen. Es wäre ein heisser Poker gewesen, ob das Stimmvolk das Doppelspiel goutiert hätte. Darbellay erzielte bei den letzten Staatsratswahlen vor vier Jahren das schlechteste Ergebnis aller Gewählten.
Ein Schelm, wer denkt, dass dahinter ein politischer Schachzug im Wahlkampf steht. Sich öffentlichkeitswirksam eine Bundesratskandidatur überlegen und dann ein pathetisches Bekenntnis zum Heimatkanton abgeben. «Das ist Mumpitz», winkt Darbellay ab. «Die Leute, die mich kennen, wissen: Ich habe die Kandidatur von A bis Z geprüft und mich auf beide Szenarien vorbereitet. Es war eine ernsthafte Sache.»
Ernst ist die Lage nun auch für die Mitte, die mit Bauernpräsident und Nationalrat Markus Ritter bislang nur einen einzigen Kandidaten für die Nachfolge von Viola Amherd vorweisen kann. Die Partei wird deswegen von anderen Parteien zunehmend unter Druck gesetzt, wie diese Zeitung am Samstag berichtete. FDP-Fraktionschef Damien Cottier forderte «eine Auswahl an qualifizierten Kandidierenden», Grünen-Parteipräsidentin Lisa Mazzone ein Ticket mit mindestens einer Frau.
Und SP-Nationalrat Roger Nordmann ging so weit, die Wahl einer Grünliberalen auf Kosten des Mitte-Sitzes ins Spiel zu bringen, sollte es bei einem Einerticket bleiben. In seiner Partei zirkuliert der Name von GLP-Ständerätin Tiana Angelina Moser. Die Zürcherin erteilte einer wilden Wahl in der Zwischenzeit jedoch eine Absage. «Ich bin glücklich im Ständerat, der Sitz steht der Mitte zu», liess Moser im «Sonntagsblick» verlauten.
Derweil gibt es in der Mitte-Partei erste Stimmen, die ein Einerticket fordern – auch wenn Parteipräsident Gerhard Pfister wiederholt beteuerte, man wolle dem Bundesparlament eine Auswahl bieten. «Ich würde es begrüssen, wenn Markus Ritter als alleiniger Kandidat vorgeschlagen wird», sagte der Schwyzer Alt-Mitte-Nationalrat Alois Gmür in der «Sonntagszeitung». Alles andere seien «Alibiübungen», da gegen den Bauernpräsidenten «niemand eine Chance» habe.
Anderer Ansicht ist Christophe Darbellay. Auch wenn er Markus Ritter sehr schätze, sei es riskant, nur einen Kandidaten aufzustellen, sagte er in Charrat. «Den anderen Parteien gefällt das nicht.» Ein Einerticket mache eine wilde Wahl wahrscheinlicher. Darbellay muss es wissen, gilt er doch als einer der Köpfe hinter der Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher im Jahr 2007.
Letztlich entscheiden über die Ticketgrösse werden aber weder Darbellay noch Gmür, sondern die Mitte-Bundeshausfraktion, und zwar am 21. Februar. Wobei: Am Ende bestimmt allenfalls das Angebot das Ticket beinahe von selbst.
Noch bleibt ein wenig Zeit – und damit die Hoffnung, dass sich doch noch ein Mitte-Politiker oder eine Mitte-Politikerin zu einer Kandidatur durchringt. Bis am Montagmittag müssen die Kantonalparteien Bewerbungen aus ihrer Region einreichen. Wie zu hören ist, versuchen Mitte-Frauen die Zürcher Nationalrätin Nicole Barandun von einer Kandidatur zu überzeugen. Die Rechtsanwältin will am Montag über ihren Entscheid informieren. Gleiches gilt für die Nationalrätinnen Marie-France Roth Pasquier (FR) und Elisabeth Schneider-Schneiter (BL). Auch der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister hat seinen Entscheid noch nicht kommuniziert.
Vielleicht taucht auch eine Überraschungskandidatur auf. So lädt die Tessiner Mitte-Kantonalpartei um 13 Uhr zu einer Medienkonferenz nach Lugano, ohne Angabe von Gründen. Der Schlussspurt könnte durchaus noch einmal spannend werden. (aargauerzeitung.ch/lyn)
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