Der Rücktritt von Viola Amherd hat viele überrumpelt, nicht zuletzt ihre Mitte-Partei, die sich mit der Nachfolgesuche schwertut. Zwei Monate ist sie als Verteidigungsministerin noch im Amt. Der Walliserin droht ein holpriger Abgang. Mehrfach geriet ihr Departement VBS in den letzten Wochen in die Kritik wegen Friktionen bei Beschaffungsprojekten.
Kurz vor Weihnachten schickte die sechsköpfige Finanzdelegation des Parlaments Amherd einen Brief. Darin benennt sie bei sieben Schlüssel- und Topprojekten in den Bereichen Rüstung und Informatik gröbere Probleme und grosse Risiken. Letzte Woche doppelte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) nach. Sie kritisierte vor allem ein israelisches Drohnenprojekt.
Damit nicht genug: Als Nationalrat Markus Ritter am Dienstag seine Bewerbung für die Amherd-Nachfolge bekanntgab, äusserte er sich auf eine Weise über das VBS, die hart an der Grenze zum Affront gegenüber der Parteikollegin war. Auch das «CH Media»-Interview des Zuger Mitte-Ständerats Peter Hegglin liest sich wie eine Abrechnung mit der VBS-Chefin.
Feind, Todfeind, Parteifreund: Dieses Bonmot muss Viola Amherd angesichts solcher Voten durch den Kopf gegangen sein. Am Freitag suchte sie an einer Medienkonferenz zu den kritisierten Projekten den Befreiungsschlag, flankiert von Armeechef Thomas Süssli und Rüstungschef Urs Loher. Sie gab sie sich selbstkritisch: «Wir haben zu wenig informiert.»
Armeechef Süssli erklärte, die Gruppe Verteidigung arbeite an 160 Grossprojekten zur Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit. Sie habe «das allergrösste Interesse», dass sie erfolgreich seien. Man teile die Sorge wegen der sieben von der Finanzdelegation kritisierten Projekte, meinte Süssli, es seien «keine Steuergelder verschwendet worden».
Am Vorabend hatte der Armeechef ein ziemlich düsteres Bild von der Verteidigungsfähigkeit der Schweiz gezeichnet. In Meilen an der Zürcher Goldküste hielt er die Festrede an einem Gedenkanlass zum 100. Todestag von Ulrich Wille, der die Armee im Ersten Weltkrieg als General befehligt hatte und «alles andere als unumstritten» war.
Das war nett formuliert, denn der in Deutschland geborene Wille ist eine kontroverse Figur, an der sich die Geister scheiden. «Er foutierte sich um politische Grenzen, was mir nicht unbekannt ist», witzelte der heutige Armeechef, der in Meilen geboren wurde und einige Jahre dort gelebt hat – ausgerechnet an der General-Wille-Strasse.
Sein Vortrag war ein Plädoyer für eine internationale Zusammenarbeit auch in Fragen der Verteidigung, was einige der illustren Gäste am Festakt (Christoph Blocher, Thomas Matter, Mario Fehr) nicht sonderlich goutiert haben dürften. Doch Thomas Süssli sprach Klartext: «Wir brauchen den Austausch mit anderen Armeen.»
Indirekt gab der 58-jährige Korpskommandant zu verstehen, dass die Schweiz seiner Ansicht nach den Ernst der Lage durch die «Zeitenwende» nicht wirklich erkannt hat: «Noch nie war die Bedrohung so hoch, und noch nie war die Armee in einem so schlechten Zustand.» Süssli geht davon aus, dass 2027 «das gefährlichste Jahr» sein wird.
Es sei unwahrscheinlich, dass russische Panzer am Bodensee stehen würden, doch in Osteuropa, speziell in Polen und Estland, fürchte man, dass Wladimir Putin die NATO «testen» könnte. Gleichzeitig sei die Schweizer Armee kaum kriegstauglich: «Was wir heute noch haben, entspricht international einer Brigade», sagte Süssli.
Die Schweiz habe keine Luftverteidigung, die diesen Namen verdiene, so der Armeechef: «Deshalb müssen wir uns international austauschen.» Gleichzeitig sei es entscheidend, dass das Parlament den Zahlungsrahmen für die Armee erhöhe. Dass die damit verbundene Aufrüstung kein Spaziergang ist, wurde am Freitag vor den Medien betont.
Die Nachfrage bei den Herstellern habe stark zugenommen, und Schweizer Bestellungen hätten im internationalen Markt «keine Priorität», sagte Rüstungschef Urs Loher. Wegen der kleinen Stückzahlen muss die Schweiz in der Nahrungskette hinten anstehen. Auch deshalb müsse die Schweiz in Zukunft möglichst auf «Helvetisierungen» verzichten, sagte Loher.
Das gilt weniger für den sensiblen IT-Bereich. Thomas Süssli verteidigte einmal mehr die Neue Digitalisierungsplattform (NDP). Sie sei die einzige in der Schweiz, die gegen kinetische Angriffe, Cyberangriffe und vor Stromausfall geschützt sei. Deshalb müsse das Luftraumüberwachungssystem Skyview «zwingend» in die NDP integriert werden.
Mit anderen Worten: Das VBS anerkennt, dass nicht alles rund läuft. Doch die Aufrüstung (Thomas Süssli spricht lieber von Ausrüstung) der seit dem Kalten Krieg «abgespeckten» Armee ist ein Kraftakt, bei dem Schwierigkeiten kaum zu vermeiden sind. Wegen der Steuergelder habe die Bevölkerung ein Recht auf Information, anerkannte die Verteidigungsministerin.
Amherd griff auch die vom Parlament geäusserte Kritik an einer fehlenden Strategie für die mit den höheren Armeebudgets verbundenen Beschaffungen auf. Das Parlament habe im letzten Dezember erstmals eine Armeebotschaft verabschiedet, deren Planungshorizont nicht wie bisher für ein Jahr, sondern gleich für die nächsten zwölf Jahre ausgelegt sei, betonte sie.
Viola Amherd verbarg nicht, wie sehr sie sich gerade bei diesem Punkt über die kritischen Stimmen nervt, im Parlament wie in den Medien. Im Endeffekt geht es um ihr «Erbe» als Vorsteherin des VBS. Und für Armeechef Thomas Süssli vielleicht um seinen Job.
Unsere Nachbarländer haben nicht auf die 🇨🇭gewartet um uns Rüstungsgüter zu liefern oder uns kostenlos Schutz zu geben🤷♂️.
Zudem glaube ich Amherd, wenn sie sagt, zuständige Stellen informiert zu haben. Die Überraschung dürfte eher politisches Theater sein - besonders bei Rechtspopulistenwählern kommt das ja gut an.