Auf den ersten Blick sieht das Smartphone aus wie ein ganz gewöhnliches modernes Samsung-Handy: flach, eckig, schwarz umrundet und mit fünf Kameras auf der Rückseite. Beigelegt ist ein Stift.
Der zweite Blick aber macht stutzig. Das Handy zeigt auf dem Display ein sicheres Mail an, einen sicheren Browser, einen sicheren Messenger, ein privates Android-Betriebssystem, ein eigenes ChatGPT namens Lasa und sogar einen eigenen App-Store.
Es ist die Ruag MRO, das Rüstungsunternehmen, das als technischer Dienstleister der Schweizer Armee fungiert, welches das sichere Schweizer Handy entwickelt hat – in enger Zusammenarbeit mit Wisekey, einem Genfer Unternehmen für Cybersecurity. Das bestätigt die Ruag.
«Guardian» basiert auf einem serienmässig produzierten Samsung-Handy mit Android-Betriebssystem. Um es sicher zu machen, wurde es massiv bearbeitet. Ruag-Sprecherin Kirsten Hammerich sagt: «Alle Elemente, die nicht verifiziert werden können, die keine Anforderungen an Produktivität beinhalten, die eine Verbindung zu Dritten herstellen oder Daten an Dritte senden, werden aus dem Betriebssystem entfernt.» Alle für einen Kunden erforderlichen Elemente würden durch selbstverwaltete Alternativen ersetzt, «um die vollständige Kontrolle über die Geräte zu gewährleisten». Niemand soll das Smartphone anzapfen können. Es ist so konzipiert, dass es die Klassifizierung «vertraulich» der Armee erfüllt.
«Guardian» existiert als Prototyp und befindet sich in der Pilotphase. Das Handy soll – so der Plan der Ruag – zum Herzstück der sicheren Kommunikation von Armee, Polizei, Behörden, Grenzwacht, Feuerwehr, Sanität, Zivilschutz und Behörden in der Schweiz werden.
Das neue sichere Smartphone kann sich nicht nur mit einem 5G-Mobilfunknetz verbinden, sondern auch mit einem Satellitennetzwerk. «‹Guardian› sei ein «Baustein in einem möglichen Gesamtkonzept zur Satellitenkommunikation», betont Hammerich.
Für die Schweizer Armee ist das besonders wichtig. Sie plant den Gang ins Weltall und arbeitet an einem Grundlagenpapier dazu, das bald publiziert werden soll. Operativ will die Armee ein Kommando «Space» schaffen, analog zum Kommando «Cyber».
Dafür sind Satelliten unabdingbar. Das weiss Verteidigungsministerin Viola Amherd genauso wie der Gesamtbundesrat. In ihrem Bericht «Verteidigungsfähigkeit und Kooperation» vom 31. Januar 2024 heisst es: «Heute sind nahezu alle komplexeren militärischen Systeme für Positionierung, Zeitsynchronisation, Kommunikation, Aufklärung oder Wettervorhersage von Satelliten abhängig.» Die Satelliten würden «in hohem Tempo» weiterentwickelt und verkleinert. Dies eröffne für kleinere Länder wie die Schweiz viele Möglichkeiten – «weil die Preise sinken».
Bei den Satellitensystemen ist in der Tat eine Demokratisierung feststellbar. Kostete die Entwicklung eines Satelliten vor einigen Jahren noch 20 Millionen Franken, sind es heute 300'000 Franken, wie Carlos Creus Moreira sagt, Gründer und CEO von Wisekey. Es stellt seit drei Jahre via Wisesat und das spanische Unternehmen Fossa auch Satelliten her. In zwei Jahren werde die Entwicklung gar nur 60'000 Franken kosten, sagt Moreira und erklärt: «Weil das Grossraketenprojekt Starship mit zehnmal grösseren Behältern deutlich mehr Satelliten transportieren kann. Das reduziert die Kosten.»
Die Demokratisierung hilft der Schweiz. Hinter den Kulissen arbeiten die Ruag MRO, die Schweizer Armee, das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) und – in enger Kooperation – das private Unternehmen Wisekey an einem Einstieg in den Weltraum.
Ziel ist ein souveränes Schweizer Satellitenkonstellationssystem. Das geht aus der Broschüre hervor, welche die Ruag im September zum «Nationalen mobilen Sicherheitskommunikationssystem MSK» publiziert hat. Das Projekt MSK soll bis 2030 Polycom ersetzen, ein flächendeckendes Funk-Sicherheitsnetz für Behörden, Grenzwacht, Polizei, Feuerwehr, Sanität, Zivilschutz und Armee, das an sein Lebensende kommt.
Recherchen zeigen, dass Ruag und Armee Pläne wälzen, maximal 40 Kleinsatelliten in der niedrigen Erdumlaufbahn zu platzieren. Mit diesem Netzwerk könnte die Armee die zentralen Anforderungen erfüllen, welche sich ihr im Weltraum stellen: Aufklärung und Überwachung, Satellitenkommunikation mit hoher Geschwindigkeit, welche die Kommunikation am Boden ergänzt und jederzeit genaue Geopositionierungssignale liefert, weil militärische Systeme und Präzisionswaffen immer stärker darauf angewiesen sind.
Konkrete Angaben könne die Ruag dazu noch nicht machen, sagt Sprecherin Hammerich. Klar ist: Ruag und Armee betrachten das Projekt MSK als ideales Sprungbrett fürs Weltall. In ihrer Broschüre schreibt die Ruag, sie entwickle in Zusammenarbeit mit der Armee «ein Satellitensystem als Ersatz für die terrestrischen Infrastrukturen von Polycom». Das sei «signifikant kostengünstiger, effizienter und zuverlässiger».
Auch die Armee prüft «eine massgeschneiderte weltraumgestützte Telekommunikationsfähigkeit als Ersatz für bodengestützte Systeme in allen Lagen», wie sie bestätigt. Zurzeit würden Studien erarbeitet und Demonstratoren getestet, um Entscheidungsgrundlagen zu schaffen. «Falls diese Studien einen gangbaren Weg aufzeigen», schreibt die Gruppe Verteidigung, «kann mit der Armeebotschaft 2026 ein allfälliger Antrag an das Parlament für einen ersten Fähigkeitsaufbau gestellt werden.»
Die Armee testet die direkten Verbindungen zwischen Smartphones und Satelliten in der niedrigen Erdumlaufbahn. Die Tests sollen in eine Studie einfliessen, die Armasuisse parallel dazu vorbereitet.
Für das Projekt MSK will der Bundesrat 2,9 Milliarden Franken aufwerfen. «Ein noch zu bestimmender Teil davon könnte in den Weltraumbereich fliessen», schlägt Mitte-Nationalrätin Isabelle Chappuis vor, die sich intensiv mit Weltraumfragen beschäftigt. Im erläuternden Bericht des Bundesrats zu MSK sei für die Zukunft auch eine Zusammenarbeit mit Satellitenanbietern und eine allfällige Weltraumkommunikation der Armee vorgesehen.
Hinter den Kulissen scheint es aber einen Kampf um die Ausrichtung von MSK zu geben. Zuständig ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz, und dieses sagt gegenüber CH Media, Satellitentechnologie sei zwar eine Option. Derzeit stehe aber eine Variante ohne Einbezug von Satelliten im Zentrum der Diskussionen.
Dem Vernehmen nach sehen das viele Parteien und Organisationen anders, die an der Vernehmlassung teilnahmen, die bis am 24. Oktober dauerte. Sie wünschen sich eine sofortige Integration der Satellitenkommunikation.
Das befürwortet auch Mitte-Nationalrätin Chappuis. «Die Schweiz muss vorwärtsmachen mit einem eigenen, souveränen Satellitensystem, einem eigentlichen Swiss Stars System», sagt sie. «Mit Donald Trump und Elon Musk im Weissen Haus ist davon auszugehen, dass die globalen Weltraum-Aktivitäten künftig sehr militärisch werden.»
Es war Trump, der in seiner ersten Präsidentschaft 2019 die United States Space Force schuf, die Raumfahrtabteilung der US-Streitkräfte. Und Musk baute mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX das Satellitennetzwerk Starlink auf mit 6697 Satelliten – das weltweit mit Abstand grösste Netzwerk.
Für die Schweiz als bedeutenden Wirtschaftsstandort sei es «sehr zentral, dass das Land eine eigenständige und souveräne Satellitenkonstellation» habe, sei es für Banken, Industrie, Wissenschaft oder Armee, sagt Carlos Moreira, Gründer von Wisekey. «Es wäre fatal, in diesen Krisenzeiten auf andere Länder wie etwa die USA angewiesen zu sein.»
Wisekey selbst hat damit begonnen, eine eigene Satellitenkonstellation zu entwickeln. 17 Satelliten sind bereits im Weltall, im Endausbau soll das Netz 105 Satelliten umfassen, wie RTS berichtete. Sie sollen die Erde in einer Entfernung von 160 bis 2000 Kilometern umrunden. Damit kann Wisekey alle fünf Minuten Satellitenbilder der Schweiz generieren. Diese Konstellation biete sichere und kostengünstige «Internet-of-Thing»-Anwendungen für vernetzte landwirtschaftliche Prozesse und für Energie und Logistik, sagt Moreira. Die Anforderungen der Armee dürfte es hingegen nicht erfüllen.
Dennoch hat Wisekey einen leicht modifizierten Satelliten zu Testzwecken für die Armee entwickelt. Er ist blau-weiss, 50 Zentimeter lang, 20 Zentimeter tief und mit Mikroprozessoren der neusten Generation bestückt, die einen Satelliten gegen Computerangriffe verteidigen können.
L'armée se prépare à utiliser une constellation de satellites 100% suisseshttps://t.co/bX16lTQaH6 #wisesat #spaceX #satellites pic.twitter.com/yvYimp3IDt
— WISeKey (@WISeKey) November 15, 2024
Dieser Satellit wird am 16. Januar 2025 in Kalifornien ins Weltall geschossen. Da kommt es für das Smartphone «Guardian» zum Ernstfall – zu einem Test in Echtzeit mit einem Satelliten im Weltall. (aargauerzeitung.ch)