Wie konnte dies passieren?
Alex Bristol: Ganz genau wissen wir das noch nicht, wir sind noch immer mit der Untersuchung der Ursache beschäftigt. Einfach gesagt: Ein Switch, der für die Datensendung vom einen zum anderen Computer zuständig ist, hat nicht funktioniert. Der zweite, redundante Switch hat dies nicht realisiert und die Daten immer wieder zurückgeschickt.
In der Aviatik wird Redundanz grossgeschrieben. Wenn ein Flugzeug einen Triebwerk-Ausfall hat, muss es mit einem weiterfliegen können. Bei Skyguide ist dies offensichtlich nicht der Fall.
Normalerweise ist das der Fall. Und unsere Fluglotsen wissen genau, was zu tun ist, wenn Daten so wie heute verschwinden. Und nochmals: Wir haben sehr wohl Redundanzen im System. Nur hat eine in diesem Fall nicht funktioniert. Wir müssen nun so rasch wie möglich wissen, weshalb. Zu 99.9 Prozent können wir aber einen Cyber-Angriff ausschliessen.
Die Panne ist doch einfach peinlich!
Natürlich ist diese Panne peinlich, so wie jede andere grosse Panne auch. Aber ich möchte betonen: Die Schweizer Flugsicherung ist an sich immer sicher und zuverlässig. Auch heute war sie sicher, aber leider für einmal nicht zuverlässig.
Seit wann sind Sie auf den Beinen?
Ich wurde um 3.41 Uhr per SMS geweckt und war dann rasch hellwach. Ich fuhr dann von Fribourg nach Genf in unsere Zentrale und um 4.20 wurde unser Krisenstab aufgeboten. Das ist aber natürlich nichts im Vergleich zum Ärger und der entstandenen Umtriebe, mit denen die betroffenen Passagiere konfrontiert wurden. Bei ihnen möchten wir uns in aller Form für diese Panne entschuldigen.
Die Flugsicherung der Schweizer Armee war nicht betroffen. Weshalb konnte dieses System nicht aushelfen?
Wenn die Situation sicherheitsrelevant gewesen wäre, hätte das Armee-System übernehmen können. Und auch wenn die Panne zwei oder drei Stunden länger gedauert hätte, hätten wir wohl das Militär um Hilfe gebeten. Aber unsere Priorität war es, unser eigenes System so rasch wie möglich auf Vordermann zu bringen, um den Tag so gut wie möglich noch zu retten.
Der Schweizer Flugraum war mehrere Stunden gesperrt, von 4 Uhr bis 8.30 Uhr. Da hätten Sie doch früher beim Militär anklopfen können.
Das ist nicht so einfach, denn wir haben ein anderes System, für das die Militär-Leute nicht vorbereitet sind.
Sie sind seit vielen Jahren in der Aviatik. Haben Sie schon mal etwas Ähnliches erlebt?
Als ich in Grossbritannien arbeitete, gab es auch Ausfälle, aber aus anderen Gründen. Aber in der Schweiz habe ich eine solche Panne mit einer landesweiten Flugraumsperrung noch nie erlebt. Das ist historisch.
Zeigt der Fall nicht, dass es eine einheitliche europäische Flugüberwachung bräuchte, oder zumindest eine engere Kooperation, sodass zum Beispiel Deutschland aushelfen könnte?
Hätte die Panne mehr als einen Tag lang gedauert, hätten wir sehr wohl unsere Nachbarländer und deren Flugsicherungsgesellschaften um Hilfe gebeten. Allerdings gibt es auch da offene Fragen, zum Beispiel inwiefern der Funk mit den Piloten funktionieren würde. In der Schweiz sind virtuelle Tower für die Flugsicherung geplant, sodass in zwei bis drei Jahren Überschneidungen von unseren Zentren in Genf und Dübendorf obsolet werden. Und nochmals vier bis fünf Jahre später sollten dann auch unsere Nachbarländer auf diesem Stand sein. Dann sollten solche Situationen eher vermeidbar sein.
Und wie stellen Sie unmittelbar sicher, dass dies nicht mehr passiert?
Wir werden nun unsere Energie in die Untersuchung des Hergangs investieren, auch heute Nacht. Unser Ziel ist es, dass in den nächsten 24 Stunden klar ist, was genau passiert ist, um entsprechende Massnahmen einleiten zu können.
Hat der Bundesrat Sie schon in die Pflicht genommen?
Ich war mit den Generalsekretären des Verkehrs- und des Verteidigungsdepartements in Kontakt. Deren Vorsteherinnen, Frau Sommaruga und Frau Amherd, sind natürlich völlig im Bild.
Wie gut konnten die sich in der Luft befinden Flugzeuge umgeleitet werden?
Die meisten Flugzeuge landeten in möglichst nahen Destinationen wie München, Mailand und Lyon, und natürlich am Euroairport in Basel, dessen Flugsicherung von Frankreich aus gesteuert wird. Wir hatten insofern Glück im Unglück, als wir die Flugraumsperrung bereits kurz vor vier Uhr morgens einleiteten, also noch bevor die ersten Flugzeuge in Genf und Zürich starten und landen. Wäre sie erst um 7 Uhr nötig gewesen, wären die Auswirkungen auf den Flugplan viel grösser gewesen.
Und wie viele Flüge waren insgesamt betroffen?
Da haben wir keine Übersicht. Aber ich kann sagen, dass es nicht zu brenzligen Situationen gekommen ist. Die Sicherheit war nie infrage gestellt.
Der Schaden dürfte für Swiss und Co. in die Millionen gehen. Kommt Skyguide für den Schaden finanziell auf?
Nein. Das Gesetz in Europa ist so konstruiert, dass die Airlines die Passagiere selbst kompensieren müssen. Die EU wollte bei der Gesetzessprechung sicherstellen, dass die Flugsicherungsbehörden sich stets immer für die Sicherheit entscheiden, und der Entscheidungsprozess nicht von Geldaspekten beeinflusst wird. Somit bleibt der finanzielle Schaden bei den Airlines. Andererseits haben auch wir Einbussen, denn unsere Einnahmen hängen direkt von der Anzahl überwachter Füge ab.
Wie lange wird es dauern, bis sich der Flugplan wieder komplett normalisiert hat?
Wir hoffen, dass am Donnerstagmorgen alles wieder normal sein wird. Heute wird es aber sicher noch zu verspäteten Flügen kommen.
Wie wurde entschieden, welche Airlines zuerst wieder abheben konnten?
In erster Linie gemäss Flugplan, aber in der Praxis dann auch sehr dynamisch. Denn die Swiss hatte in Zürich überdurchschnittlich viele Flüge annulliert. Sie wollte sich auf die Flüge am Mittag und Nachmittag konzentrieren, um insbesondere ihre Langstreckenflüge in die USA durchführen zu können.
Bei den Airlines herrscht seit Monaten grosse Nervosität, weil der Personalengpass sie zu Flugannullationen zwingt. Droht ein Chaos-Sommer?
Das kann ich nicht sagen. Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass die Airlines starten und landen können und dass ein solcher Ausfall sich nicht wiederholt. Das wird von uns zurecht erwartet. Wir haben selbst aktuell wohl bis im Sommer 2023 genügend Fluglotsen. Für die Zeit danach klafft aber eine Lücke, es droht dann auch bei uns, so wie in ganz Europa, ein Personalengpass in der Flugsicherung. (saw/aargauerzeitung.ch)