Der Berner Gabirano Guinand, 22 Jahre alt, ist ein sympathischer junger Mann, mit viel Witz und ursprünglich grossen Plänen. Vor einem Jahr sagte er im Interview mit watson, irgendwann wolle er im ausverkauften Hallenstadion auftreten. Die Chance, dass er den Durchbruch auf der Bühne schaffen könnte, stand damals gut. Gabirano hatte sich in jüngeren Jahren mit lustigen Kurzvideos im Internet eine beachtliche Fan-Basis aufgebaut und war daran, sich als ernstzunehmender Comedian einen Namen zu machen.
Doch im Verlauf des vergangenen Jahres schien der Komiker seine Zukunftspläne mehr und mehr aus den Augen verloren zu haben. Seltener veröffentlicht Gabirano Comedy-Videos, immer mehr spricht er in seinen Instagram-Posts über das politische Weltgeschehen, die Coronakrise und die Suche nach dem inneren Licht. Je länger die Pandemie andauert, umso öfter sind seine Beiträge gespickt mit kruden Verschwörungsmythen über Kinder-Entführungsnetzwerke, angebliche Gesundheitsheilbringer oder eine mächtige Weltelite, die hinter allem Bösen steht. Er kritisiert die Maskenpflicht im gleichen Atemzug wie Junkfood. Früchte seien die absoluten Heilsbringer. Darum ernähre er sich seit Ende Februar hauptsächlich noch von selbst gepressten Fruchtsäften.
Dieser Wandel ist zwar bedauerlich, wäre aber nicht weiter relevant – hätte Gabirano nicht abertausende Follower, die sein Abdriften in Echtzeit mitverfolgen. Als vielversprechendes Comedytalent folgten ihm vor einem Jahr noch 180'000 Personen. Seine Videos wurden teilweise über 100'000 Mal angeklickt. Mittlerweile springen zwar immer mehr Fans ab, doch aktuell bringt er es noch auf knapp 134'000 Follower.
Einige Fans kritisieren Gabiranos Aussagen, sorgen sich gar um dessen psychische Gesundheit. Gleichzeitig erhält er auch Zuspruch. Viele bedanken sich, eine Userin kommentiert: «Viele Menschen sind für die Wahrheit einfach nicht empfänglich, darum lehnen sie diese ab, weil sie ihnen Angst macht und ihr Bewusstseinszustand noch nicht in den höheren Frequenzen schwingt, um das grosse Ganze zu sehen.» In einem eigens eröffneten Telegram-Chat lädt Gabirano die User, «die es wirklich ernst meinen» ein, weiterzudiskutieren. Über den richtigen Weg, die bösen Mächte und frisch gepressten Wassermelonensaft.
Das ist nicht unproblematisch. Denn gerade für junge Instagram-Nutzerinnen und Nutzer spielen Influencer eine wichtige Rolle in der Meinungsbildung. Sie gelten als eine Art Vorbild. Medienpsychologe Daniel Süss beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Social-Media-Nutzung von Jugendlichen. Die Wirkung von Gabirano auf seine Followerschaft schätzt er als durchaus stark ein. «Weil er als Comedian Beliebtheit erlangt hat und damit viel Sympathie und eine gewisse Glaubwürdigkeit geniesst. Auf dieser Basis verbreitet er nun seine zum Teil fragwürdigen Inhalte.»
Allerdings dürfe man die kritische Distanz von Jugendlichen nicht unterschätzen, so Süss. Er könne sich gut vorstellen, dass viele solche Inhalte konsumieren, weil sie es unterhaltend finden und sich daran belustigen. Aber es gebe auch solche, die diese Inputs aufnehmen und sich beeinflussen lassen. «Wichtig ist dabei das Umfeld, in dem sich Jugendliche bewegen und ob sie mit Freunden oder der Familie über die Inhalte, die sie im Netz sehen, kritisch sprechen.»
Im Telefongespräch schwärmt Gabirano von den unzähligen unterstützenden Nachrichten, die er bekomme: «Ich erhalte Mitteilungen von Leuten, die mir sagen, sie tränken seit drei Wochen Organgensaft und es ginge ihnen seither viel besser. Das zu hören freut mich sehr.» Ihm sei wichtig, dass die Jungen ihre eigene Erfahrung machen. «Ich habe es auch nicht geglaubt, bis ich es ausprobiert habe. Und jetzt merke ich: Es ist die Lösung für alles.» Das Safttrinken habe ihn verändert. Er sei fitter, könne besser aufstehen, fühle sich selbstsicherer.
Über seine Verantwortung gegenüber jungen Followern sagt er: «Ich nehme das sehr ernst. Früher habe ich Werbung gemacht für Cola, Fanta und McDonalds. Jetzt sage ich ihnen, wie giftig diese Sachen sind und helfe ihnen, auf die richtige Spur zu finden.»
Die Empfehlung, Fruchtsäfte zu trinken, sei grundsätzlich kein Problem, sagt Medienpsychologe Süss. Schwierig sei vielmehr, dass hier ein Gesundheitstrend, für den gerade Jugendliche in der Tendenz offen sind, mit Verschwörungserzählungen verknüpft werden. «Gerade das ist eines der wichtigsten Merkmale von Fake News: Sie knüpfen an etwas an, das durchaus eine Berechtigung hat, das auch sinnvoll sein kann, stellen dann aber eine Assoziation her zu Folgerungen, die fragwürdig oder gar unsinnig sind», sagt Süss.
Gefährlich werde das Verbreiten von Unwahrheiten dann, wenn Jugendliche besonders empfänglich für solche Nachrichten sind und keine Anknüpfungspunkte mehr haben zu zusätzlichen Quellen, die solche Inhalte kritisch hinterfragen. Süss sagt, hier müsse man sicherlich die Verbreiter von Social-Media-Inhalten in die Pflicht nehmen und sie auf ihre grosse Verantwortung aufmerksam machen, die sie als Influencer innehaben. Andererseits müsse man auch auf der Nutzerseite das Bewusstsein für Falschnachrichten oder gefährliche Trends schärfen.
Jugendlichen, die sich von Instagram-Stories wie jenen von Gabirano beeindrucken lassen, rät Süss: «Wenn ihr auf scheinbar unglaubliche Nachrichten stösst oder euch eine radikale Änderung des Lebensstils empfohlen wird, solltet ihr mit euren Vertrauenspersonen darüber sprechen. Fragt, ob es andere Meinungen dazu gibt, sucht euch weitere Quellen zu solchen Aussagen heraus und bildet euch dann eine Meinung.»
Dass man einen Künstler oder Sportler für seine Leistungen bewundert, ist normal. Auch, dass man als Jugendlicher Fussball spielen will "wie Ronaldo".
Aber wieso sollte man die gleiche Sonnenbrille tragen wollen? Oder das gleiche Zitronengras als Deko aufstellen wie irgend eine Tussi auf Instagram?