Vertrauliche Dokumente aus der Schweiz landen auf fremden Servern – wegen KI im Parlament
Eine zweisprachige Kommissionssitzung über den Streitbeilegungsmechanismus mit der EU? Der Redeschwall eines Tessiner Ratskollegen zum neuen Kostendämpfungspaket im Gesundheitsbereich? Oder die technischen Ausführungen einer Expertin zum neuen Solarförderungsmodell? Nicht nur in solchen Fällen greifen die eidgenössischen Parlamentarier gerne auf die Hilfe künstlicher Intelligenz zurück.
Gespräche mit Politikerinnen und Politikern aus allen Fraktionen zeigen: KI ist im Bundeshaus allgegenwärtig. Klassiker sind Übersetzungstools. Mit ihnen lässt sich mit ein paar Klicks der mehrsprachige Parlamentsbetrieb vereinfachen.
Mehrere Quellen bestätigen gegenüber dieser Zeitung noch heiklere Handlungen: Ratsmitglieder sollen ganze Kommissionsprotokolle in KI-Tools eingespeist haben, um sich diese zusammenfassen zu lassen. Die Zusammenfassungen sollen später beispielsweise als Handout für die Verbände dienen, deren Interessen sie im Parlament vertreten.
Das Problem: Auf diese Weise landen Parlaments-interne, ja vertrauliche Informationen in den Datenbibliotheken ausländischer Tech-Konzerne. Im Fall der Kommissionsprotokolle, in denen sich nicht selten auch der Bundesrat vertraulich zu Wort meldet, machen sich Parlamentarier dadurch sogar strafbar.
Sie begehen eine Amtsgeheimnisverletzung. «Der Rechtsrahmen ist selbstverständlich auch im Kontext der Nutzung von KI-Werkzeugen jederzeit zu beachten», schreiben dazu die Parlamentsdienste auf Anfrage.
Entsprechend sei «bei der Nutzung von öffentlicher KI die Eingabe von klassifizierten Informationen, die Eingabe von sonstigen sensiblen (wie namentlich durch das Amtsgeheimnis geschützten) Informationen sowie von Personendaten nicht erlaubt». Konkrete Fälle mit problematischem Einsatz von KI seien aber nicht bekannt, so eine Sprecherin.
Auch Parlamentsdienste sind betroffen
Nur: Auch die Parlamentsdienste selbst sind vor Verfehlungen nicht gefeit, und dabei muss KI noch nicht einmal eine Rolle spielen. Dieser Zeitung wurden Beispiele aus dem aktuellen Ratsbetrieb gezeigt, in denen Kommissionssekretariate Mails mit vertraulichen Dokumenten über den normalen Microsoft-Dienst verschickt haben.
Als «vertraulich» sind Dokumente klassifiziert, die – in falschen Händen – die innere und äussere Sicherheit der Schweiz «erheblich beeinträchtigen» können. Auch Informationen zu «wirtschafts-, finanz- und währungspolitischen Interessen der Schweiz» geniessen diesen speziellen Schutzstatus.
Der US-Techkonzern Microsoft hingegen steht seit Längerem für seine IT-Lösung M 365 in der Kritik. Der Grund ist ein amerikanisches Gesetz, der sogenannte Cloud-Act. Dieser besagt, dass US-Behörden wie das FBI oder die CIA auf Daten amerikanischer Firmen zugreifen dürfen, egal von wo auf der Welt diese stammen.
Vereinfacht gesagt: Werden vertrauliche Dokumente mit Outlook verschickt, besteht die Gefahr, dass US-Behörden mitlesen. Gerade in Zeiten von Zollstreitigkeiten und Sorgen um Rüstungsbeschaffungen eine innenpolitische Fährnis.
«Nicht auf der Höhe seiner Aufgabe»
Dieser Ansicht sind Politiker unterschiedlichster Parteien. «Kommissionsprotokolle in eine Cloud zu laden, geht unter keinem Titel», erbost sich etwa SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Auch Mitte-Nationalrätin Maya Bally und Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey kritisieren den liederlichen Umgang mit Datenschutzvorschriften: «Das bedeutet ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz», sagt Andrey.
Erst vor rund zwei Jahren hat die Verwaltungsdelegation neue Grundsätze für den Umgang mit Daten-Clouds im Parlament erlassen. Darin steht eindeutig: «Für Informationen der Schutzstufe 2 («vertraulich», Anm. der Red.) ist die Nutzung von Cloud-Dienstleistungen grundsätzlich nicht zulässig.» Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen dafür auf ein eigenes Netzwerk, das Parl-Net, zurückgreifen.
«Den besten Datenschutz erreicht man dann, wenn die Werkzeuge sicher ausgestaltet und gleichzeitig bequem bedienbar sind. Deshalb muss sich das Parlament endlich mit souveränen Alternativen beschäftigen», sagt Andrey. Das Parlament befinde sich «nicht auf der Höhe seiner Aufgabe».
In der sicherheitspolitischen Kommission war das bereits einmal Thema. Daraus entstand eine Kommissionsmotion, welche eine eigene KI für das Parlament fordert. «Der Handlungsbedarf ist offensichtlich», sagt Gerhard Andrey. Wie Tuena ist er Mitglied in der PIT, der Gruppe Parlaments-IT.
Diese kam aber zum Schluss, eine eigene KI für das Parlament sei zu teuer. Die Verwaltungsdelegation des Parlaments sowie das Büro des Nationalrats schlossen sich diesem Urteil an. Die Chancen stehen damit schlecht, dass die Motion in der laufenden Wintersession überwiesen wird. Und so werden noch lange heikle Informationen bei FBI und Co. landen.
(aargauerzeitung.ch)
