Schweiz
Zürich

Crack in Zürichs Bäckeranlage – Bistromitarbeiter fürchtet sich

Crack in Zürichs Familienpark: «Bei uns lagen schon Drogen auf dem Wickeltisch»

Über 30 Jahre nach der Schliessung des Platzspitzes kämpft Zürich erneut gegen eine offene Drogenszene. Schauplatz ist die Bäckeranlage im Zürcher Kreis 4. Was verändert sich hier gerade?
22.09.2025, 09:5923.09.2025, 10:34
Deborah Stoffel und Michael Graber / ch media

Wenn er morgens um 7 Uhr die Tür zum Restaurant aufschliesse, habe er ein mulmiges Gefühl, sagt der Mitarbeiter des Bistro Brot in der Bäckeranlage. Die Süchtigen, meist Männer zwischen 20 und 45 Jahren, seien unberechenbar. «Man weiss nie, was einen erwartet, ist es ein Kuss oder eine Faust.»

Bäckeranlage Zürich
Crack verändert das Gesicht der Zürcher Bäckeranlage. Dealer und Drogensüchtige sind im Park neben Familien und Anwohnern sichtbar.bild: andrea zahler

Der Zürcher Park unweit der Langstrasse ist eigentlich ein Ort für Familien. Es gibt hier Schaukeln, ein Klettergerüst, einen Brunnen, der im Sommer zum Spiel mit dem Wasser einlädt.

In den letzten Jahren aber sind die Süchtigen im Park immer sichtbarer geworden. Vor allem am Morgen und am Abend. «Tagsüber hat sich die Situation gebessert, seit die Polizei ihre Präsenz erhöht hat», sagt der Bistromitarbeiter. «Aber sobald es eindunkelt, übernehmen die Süchtigen den Park. Und bei uns lagen schon Drogen auf dem Wickeltisch.»

Neue Droge, neue Intensität

Zwischenzeitlich schien Zürich seinen Ruf als Drogenstadt abgelegt zu haben. Natürlich war Zürich nie clean, aber es wurde im Verborgenen konsumiert. Die Drogenpolitik mit ihren vier Säulen – Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression – trug ihren Teil dazu bei.

War es in den 80er-Jahren noch eine Heroinepidemie, die Zürich heimsuchte, gibt heute eine neue Droge den Takt vor: Crack. Die rauchbare Form von Kokain hat alles beschleunigt. Die Wirkung tritt in wenigen Sekunden ein und hält nur ein paar Minuten an. Der Rausch ist hart, und auch die Landung. Und die Droge ist vergleichsweise günstig.

Der Preis von Kokain und seiner Derivate ist in den letzten Jahren stark gefallen. Das hängt vor allem mit der Verfügbarkeit zusammen: Kokain gelangt in hohen Mengen nach Europa. Mittlerweile mischen immer mehr südamerikanische Banden im Geschäft mit, die Produktionsmenge steigt. Kokain hat einst den Ruf, eine Droge der Reichen zu sein, mittlerweile ist es zur Volksdroge geworden.

Beim Heroin ist die Entwicklung umgekehrt. Es war lange Zeit die prägende Substanz der offenen Drogenszene. Doch seit die Taliban wieder an der Macht sind, wurde in Afghanistan der Opiumanbau verboten. Es gelangt immer weniger Heroin nach Europa, die Preise explodieren. Crack ist die günstige Alternative für suchtkranke Menschen. Hauptsache Rausch.

Die Süchtigen seien so zugedröhnt, dass die nicht mehr wüssten, was sie machen, erzählt eine Mutter in der Bäckeranlage. Einmal sei einer nackt im Brunnen gelegen, neben den spielenden Kindern. Als sie ihn bat, sich wenigstens etwas anzuziehen, habe er sie massiv beschimpft.

A drug addict smokes crack cocaine in a downtown area popularly known as "Crackland" in Sao Paulo, Tuesday, May 20, 2025. (AP Photo/Andre Penner)
Brazil Sao Paulo Crackland
Kurzes Hochgefühl, harte Landung: Crack beschleunigt den Kreislauf von Rausch und Beschaffung.Bild: keystone

Auch Mitarbeiterinnen der benachbarten Kita werden immer wieder zum Ziel von Aggressionen. Viele Bewerberinnen hätten ihr deshalb schon abgesagt, erzählte die Kita-Leiterin kürzlich der NZZ. Mit Anwohnern hat sie eine Initiative gegründet, sie schreiben Beschwerden und räumen Abfälle weg. Aber Crack mache es schwierig, etwas zu verbessern. «Im Vergleich dazu sind Heroinabhängige wie Teddybären.»

Eine neue Generation von Süchtigen

Unter den Süchtigen gibt es viele neue Gesichter. So erzählte es Florian Meyer, Leiter Kontakt- und Anlaufstellen Stadt Zürich dem SRF. In den letzten fünf Jahren habe die Zahl der Konsumenten um 250 auf etwa 1000 zugenommen, darunter viele Cracksüchtige.

Die neuen Konsumenten seien jünger, so Meyer. Das Durchschnittsalter sei von 52 auf 38 Jahre gesunken. Es gebe eine neue Generation von abhängigen Menschen, die in die öffentlichen Räume komme.

Gesicherte Zahlen zu der Anzahl an Crack-Konsumenten gibt es nicht, auch nicht auf nationaler Ebene. Es ist von einem «sprunghaften Anstieg» die Rede, oder von einer «starken Zunahme». Dabei muss aber auch berücksichtigt werden, dass Süchtige, die vorher andere Substanzen konsumiert haben, auf Crack umgestiegen sind. In den Konsumationsräumen wird mittlerweile vielerorts zu grössten Teilen Crack und Freebase geraucht, ebenfalls eine Form von Kokain.

Anders als bei früheren Suchtepidemien konzentriert sich das Phänomen nicht nur auf die grossen Städte. Auch in Chur, Brugg, Yverdon, Luzern und weiteren Orten haben sich offene Drogenszenen gebildet. Die Dealer sind mittlerweile mobiler, die Verteilung ist einfacher.

Vieles, was in den Konsumräumen verschwunden war, ist durch den Crack-Boom wieder sichtbar geworden. Die stetige Suche nach der nächsten Dosis treibt die Süchtigen in die Öffentlichkeit. Auch ist der Zerfall deutlich. Crack macht nicht nur aggressiv, auch die körperlichen Auswirkungen sind sichtbar.

Nicht dasselbe: auswärtige und einheimische Süchtige

Es sind veränderte Umstände. Zürich hat seine Drogenpolitik aber nicht grundlegend angepasst. Das international genutzte Viersäulenmodell bestimmt weiterhin das Vorgehen. Die Stadt hat jedoch ihre sozialen Begleitmassnahmen ausgeweitet. Sie wird im Oktober einen neuen Suchtraum eröffnen, der sich an Auswärtige richtet. Der Standort in der Enge scheint allerdings nicht optimal, ob die Süchtigen den Weg dahin finden, bleibt abzuwarten.

Bäckeranlage
Der neue Konsumraum an der Bederstrasse in Zürich Enge wird im Oktober eröffnet. Er richtet sich an auswärtige Abhängige.bild: andreas becker

Die Trennung in Zürcher und Nicht-Zürcher entspricht dem Grundsatz, dass jede Gemeinden selbst für ihre randständigen Mitglieder sorgen soll. In der Enge werden Süchtige von ausserhalb registriert und an ihre Gemeinden verwiesen. Der Subtext aber ist klar: Zürich soll nicht noch einmal zur Drogenhauptstadt der Schweiz werden.

Die Menschen, die die Angebote der Stadt nutzen, sind laut Meyer in einem psychosozial guten Zustand. Auch Crack-Konsumierende könnten mit dem Angebot gut erreicht werden. Weil die bestehenden Suchträume gut ausgelastet sind, sucht die Stadt Zürich schon seit letztem Jahr nach einem zusätzlichen Standort.

Auch die nationale Politik sucht nach Lösungen. Mittlerweile fanden mehrere runde Tische statt. So einig sich alle über das Problem sind, so unterschiedlich sind die Lösungsansätze. Mal soll Repression helfen, mal setzen die Behörden auf Toleranz. Eine Gruppe des Schweizerischen Städteverbands hat einen Wegweiser zum Thema veröffentlicht. So resignativ es klingt: Eine gewisse Toleranz sei nötig. Es lohne sich nicht, jeden Kleindealer zu jagen. Die Suche nach den Hintermännern sei das Ziel.

Das bindet jedoch viele Ressourcen. So verfolgt die Kantonspolizei in Genf, wo die Situation wegen Crack 2023 als erste Schweizer Stadt eskalierte, ein klares Ziel: 35'000 Stunden pro Jahr werden für die Drogenrepression aufgewendet, über die Hälfte davon spezifisch gegen Crack. Umgerechnet sind pro Tag also mindestens sechs Polizisten Vollzeit für die Crackrepression im Einsatz. Die Erhöhung der Polizeiressourcen ist Teil eines dreijährigen Aktionsplans à sechs Millionen Franken, der die Situation in der Calvinstadt beruhigen soll. Ebenso wie die Erweiterung des Drogenkonsumraums am Bahnhof, der erst seit diesem Sommer wieder Crack-Konsumierende aufnimmt.

Genf Drogen
Auch Genf setzt auf eine Drogenpolitik, die den Süchtigen Angebote macht. Hier der Konsumraum beim Bahnhof (grün).bild: claudia meier

In Luzern haben Stadt und Kanton kürzlich die neu erarbeitete Crack-Strategie präsentiert. Zu den Massnahmen gehören die Schaffung eines Ortes in der Stadt, wo die Szene unter Auflagen akzeptiert wird, und der Aufbau eines aufsuchenden medizinischen Angebots für Konsumierende. Als erste Reaktion auf den gestiegenen Konsum wurden unter anderem die Öffnungszeiten der Kontakt- und Anlaufstelle sowie der Gassenküche ausgeweitet und die Polizei hat ihre Präsenz in der Stadt punktuell verstärkt.

Zunehmende Kontraste

Doch zurück in die Bäckeranlage in Zürich. Hier nehmen mit dem Elend auch die Kontraste zu. Die Umgebung der Langstrasse wertet sich unaufhaltsam auf. Der Städtebau, die vollen Staatskassen, die internationalen Konzerne treiben die Gentrifizierung voran.

In den letzten sechs Jahren hätten überall schicke Cafés eröffnet, Strassen wurden verkehrsberuhigt und Wohnungen saniert und teuer vermietet, sagt die Inhaberin eines Möbelgeschäfts. Gleichzeitig habe das Drogenproblem eher noch zugenommen. «Ich finde es krass, wie das nebeneinander geht, diese Gentrifizierung, und dass es überall so grusig ist. Das funktioniert wohl nur, weil das hier noch ein Ausgangsviertel ist.»

Auch eine Anwohnerin der Bäckeranlage beobachtet zunehmende Gegensätze. Sie sei in Basel aufgewachsen, mit dem Bewusstsein, dass es in der Stadt immer solche Szenen gebe, die sich auch nicht vertreiben liessen. Es sei eine Frage der Ideologie, ob man akzeptiere, dass es in einer Gesellschaft verschiedene Biografien gebe, auch gescheiterte. «Die Herausforderung ist, in gentrifizierten Gebieten ein Nebeneinander zu finden.»

Allerdings sieht sie auch Handlungsbedarf. «Die Drogen sind heute andere, der Rausch ist kurz und deshalb die Dringlichkeit für neuen Stoff erhöht, das macht die Süchtigen aggressiver. Ich hoffe, dass sich die Situation verbessert, wenn es mehr Suchträume gibt.»

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126 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ihre Dudeigkeit
22.09.2025 10:39registriert März 2014
Da rollt was auf uns zu … und zwar mit Vollgas. Erst kam Crack – lange galt das als zu hart, zu assi für die CH. Jetzt ist es da - oh Wunder. Ich bin ab und zu geschäftlich in Frankfurt, Hotel am Rand vom Bahnhofsviertel – und das ist wie ein Live-Action-Horrorfilm. Besonders im Sommer. Keine stillen Heroin-Junkies wie in den Zürcher 90ern. Nein, das hier sind laufende, aggressive Zombies – immer auf der Jagd nach dem nächsten „hit“.
Und wenn du denkst, schlimmer geht’s nimmer: Dann kommt Fentanyl. Die sind dann wieder ruhig. Willkommen bei The Walking Dead. Nur ohne Werbung!
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_Momo_
22.09.2025 10:28registriert August 2025
Erinnere mit gut an die Zeiten vom Platzspitz und Letten, grauenhaft diese Zustäne damals. Darum sofort eingreiffen bevor wie damals die halbe Schweizer Drogenszene sich dort breit macht.
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Perking
22.09.2025 10:19registriert Oktober 2020
In Chur ist es ganz schlimm :(

Crack passt völlig in unsere Zeit: schnell, krass, verfügbar.
Aber auch Absturz. Es ist ein schmaler Grat.
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