Voller Hoffnung schielen Kiffer nach Amerika, wo ein Staat nach dem andern den Cannabis-Konsum legalisiert. Den Gegenschlag planen jetzt Schweizer Politiker: Sie wollen die Ordnungsbussen abschaffen, welche die Polizisten seit Oktober 2013 gegen Kiffer aussprechen, die nicht mehr als zehn Gramm Cannabis auf sich tragen. Das würde zu härteren Strafen, mehr Einträgen im Strafregister und mehr Arbeit für die Ermittler sorgen. Für die Verschärfung kämpft an vorderster Front die Berner SVP-Nationalrätin und Präsidentin des Dachverbandes Drogenabstinenz, Andrea Geissbühler.
Im März debattieren die Parlamentarier darüber, ob sie die 100-Franken-Bussen neu im Ordnungsbussen- statt im Betäubungsmittelgesetz verankern wollen. Geissbühler will die Gunst der Stunde nutzen: «Bei dieser Debatte werde ich einen Antrag stellen, dass man die Ordnungsbussen wieder ganz abschafft und zum vorherigen System zurückkehrt.» Mit ihrem Anliegen ist die Drogengegnerin nicht allein: In der Rechtskommission der SVP weiss sie eine Mehrheit hinter sich. Auch Unterstützung aus anderen Parteien ist ihr sicher.
Denn in Drogenfragen entscheidet nicht immer das Parteibuch.
Gerade im Welschland befürworten Liberale die Repression. Ein Beispiel dafür ist eine Motion des Genfer FDP-Nationalrats Christian Lüscher, mitunterzeichnet von Politikern aus CVP, SVP, GLP und einem Genfer Grünen. Die Motion verlangte, dass alle Drogenhändler mindestens drei Monate hinter Gitter müssen – selbst Leute, die einem Kollegen etwas Cannabis für einen Fünfliber verkaufen. 2014 stimmte der Nationalrat dafür, der Ständerat dagegen.
Der Moment des neuerlichen Verschärfungsvorstosses von Andrea Geissbühler wird den Behörden nicht in den Kram passen: Die Bussen-Regel im Betäubungsmittelgesetz ist noch so jung, dass das Bundesamt für Gesundheit dessen Anwendung analysieren lässt. Denn die Kantone sprechen die Bussen unterschiedlich oft aus. Das zeigen die Zahlen: In Zug wurde 2014 jeder 192. Einwohner mit einer 100-Franken-Kiffer-Busse abgestraft, in Basel-Landschaft kamen hingegen 7962 Einwohner auf eine solche Busse. Mit der Analyse hat das Bundesamt für Gesundheit im Frühling 2014 die private Stiftung Sucht Schweiz beauftragt. Die Studie kostet 27540 Franken und soll aufzeigen, ob die Kantone das Gesetz unterschiedlich anwenden oder nicht. Die Studie liefert Grundlagen für eine allfällige Revision des Gesetzes, ist aber erst im Juni fertig. Dann sind die Bussen bereits abgeschafft, falls die SVP Erfolg hat.
Für Sven Schendekehl vom Verein «Legalize it» ist auch ohne Studie klar, dass die Kantone die Bussen anders anwenden. «Wenn Zürcher Polizisten einen Kiffer erwischen, sprechen sie häufig eine Busse aus und fertig. Ihre Berner Kollegen fragen den Kiffer, ob er in letzter Zeit schon einmal gekifft hat. Der gewöhnliche Kiffer bejaht diese Frage. Und schon gibt es ein Protokoll, ein richtiges Verfahren. In Bern ist das häufig die Strategie.» Für Schendekehls Theorie sprechen die Zahlen der letzten Kriminalstatistik: Der Kanton Bern hat pro Kopf am zweitwenigsten Kiffer-Bussen, aber am viertmeisten Anzeigen gegen Kiffer. Nicht nur die Kantone, auch die Sprachregionen unterscheiden sich: So haben Genf, Waadt, das Wallis und Freiburg im Verhältnis zur Bevölkerung am meisten Kiffer verfolgt, wenn man die Bussen und Anzeigen zusammenrechnet. «Es gibt einen regelrechten West-Ost-Graben», sagt Schendekehl.
Eine Nachfrage der «Nordwestschweiz» bei mehreren kantonalen Polizeikorps deckt weitere Unterschiede auf. Während in vielen Kantonen sowohl Gemeindepolizisten als auch Regional- und Kantonspolizisten Kiffer-Bussen aussprechen, tun das in Graubünden nur die Kantonspolizisten.
Die Baselbieter Polizei äussert sich als einzige zu den Unterschieden zwischen den Kantonen: «Die kantonalen Polizeikorps setzen das Gesetz aufgrund unterschiedlicher Anweisungen der kantonalen Staatsanwaltschaften unterschiedlich um.» Die Baselbieter Polizisten seien dazu angehalten, konsequent Bussen auszusprechen. Doch sie haben offenbar Wichtigeres zu tun – genau wie die Aargauer: «Bei Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz setzen wir den Fokus ganz klar auf den Handel und nicht auf den Konsum», sagte die Aargauer Polizei schon 2015. Die Solothurner Kantons- und Stadtpolizisten besuchen hingegen regelmässig zwei Betäubungsmittel-Schwerpunkte in den Städten Solothurn und Olten, um dort zu kontrollieren. Ähnlich ist es im Kanton Zug: An Orten, wo die Polizei bereits Drogenkonsumenten erwischt hatte, patrouilliert sie.
Auch erste noch nicht gesicherte Erkenntnisse der Studie von Sucht Schweiz gibt es bereits. «Mit grosser Wahrscheinlichkeit interpretieren die Kantone das Betäubungsmittelgesetz unterschiedlich», sagt der Sprecher Markus Meury. Ein Mitarbeiter eines grossen Schweizer Polizeikorps glaubt das aber nicht und kritisiert die Studie: «In den Zahlen stecken zu viele Faktoren.» Ein Beispiel seien Gemeinden mit Seeufern: «Die haben automatisch mehr Kiffer, solche Sachen schlagen sich auch in den kantonalen Statistiken nieder.»
Unzufrieden mit der heutigen Situation ist auch Toni Berthel, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Suchtfragen (EKSF). Diese Kommission berät den Bundesrat. Berthel stört sich weniger an den Kantonsunterschieden als überhaupt am Kiffer-Verbot. «Die Grundhaltung der EKSF ist nach wie vor, dass man für den Konsum nicht bestraft werden soll. Vielmehr braucht es ein Regulierungsmodell, das den Schwarzmarkt verhindert.»