In sechs Wochen ist es soweit: Das Schweizer Stimmvolk entscheidet, ob es sich von der Atomenergie lossagen, oder am Betrieb der Kernkraftwerke festhalten will. Kaum hat der Abstimmungskampf begonnen, wird mit scharfer Munition geschossen.
Die Gegner der Initiative warnen davor, die Versorgungssicherheit zu gefährden. Mehr Strom aus dem Ausland zu importieren, bedeute, mehr dreckigen Strom zu importieren – ein Schildbürgerstreich. Ausserdem seien die Schweizer AKW die sichersten weltweit.
Gegner des Atomstroms hingegen werben dafür, dass der geordnete Ausstieg einen vernünftigen Zeitplan schaffe und machbar sei – die neuen Technologien hätten sich bewährt. Ausserdem, und das ist wohl das populärste Argument der Initiativ-Befürworter, seien AKW ein massiv unterschätztes Sicherheitsrisiko. Es sei fahrlässig, die AKW noch laufen zu lassen.
Soweit bekannt. Was die Initiativ-Befürworter bislang noch nicht ins Feld führten, ist der Unmut gegenüber der Zuständigkeitsfrage zur Sicherheit. Diese sei bei Weitem nicht beantwortet, heisst es bei der Aktivistengruppe «Mahnwache ENSI» (ENSI ist das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat).
«Aufsichtsbehörde und Politik schieben sich den Schwarzpeter gegenseitig zu, wenn es um die Sicherheit und Schutzmassnahmen der AKW geht», sagt Jean-Pierre Jaccard von der «Mahnwache ENSI». Die AKW als sicher zu bezeichnen, sei deshalb eine irreführende Behauptung.
So beschloss der Ständerat bei den Beratungen zur Energiestrategie vor einem Jahr, die AKW-Betreiber nicht zu einem Langzeitbetriebskonzept (festgelegte Laufzeiten und erhöhte Sicherheitsvorschriften) zu verpflichten, wie es die Aufsichtsbehörde ENSI verlangt hatte, sagte aber gleichzeitig, die AKW sollen so lange laufen, «wie die Aufsichtsbehörde ENSI sie als sicher einstuft.»
Energieministerin Doris Leuthard fügte damals an, das ENSI könne auch ohne gesetzliche Regelung erhöhte Sicherheitsvorschriften verlangen. Dies obwohl in der Verfassung steht, dass die Regierung über Sicherheitsmassnahmen entscheidet:
Das ENSI auf der anderen Seite distanziert sich schon seit Jahren von dieser Zuständigkeit. 2012 sagte Anne Eckhardt Scheck, damalige Präsidentin des ENSI-Rats, dass das ENSI lediglich aufgrund politischer und juristischer Vorgaben die Sicherheit von Kernkraftwerken und Atommülllagerung beurteile. «Wie sicher sicher genug ist», müsse die Politik entscheiden. Es sei also nicht Aufgabe des ENSI, zu definieren, was sicher sei. Und zudem nicht Aufgabe des ENSI, Schutzmassnahmen anzuordnen.
Die «Mahnwache ENSI» habe Recht, sagt SP-Nationalrat Cédric Wermuth dazu. Das ENSI habe ein Langzeitbetriebskonzept für mehr Sicherheitsmassnahmen und festgelegte AKW-Laufzeiten unterstützt, weil ihm sonst die rechtliche Handhabung fehle. Es sei zudem «ein Hohn zu sagen, die alte Technologie sei langfristig sicher.»
Hans-Ulrich Bigler, FDP-Nationalrat und Präsident des Nuklearforums, hält das für «nichts anderes als billige Polemik». Solange ein AKW eine Bewilligung habe, sei es per se sicher, sagt Bigler. Den Antrag auf Entzug der Bewilligung könne auch das ENSI stellen, welches sonst Aufgaben übernehme, die von der Projektierung über den Betrieb bis zu der Stilllegung der Anlagen und Entsorgung der radioaktiven Abfälle reichen würden.
Als Bundesrätin Leuthard am Dienstag vor der Presse Stellung zur Atomausstiegsinitiative bezieht, ist kein Vertreter des ENSI anwesend. Suzanne Thoma, BKW-CEO, sagt, es gebe eine «dauernde Inspektion», das ENSI verschärfe die Sicherheitsanforderungen stetig und der Verwaltungsrat entscheide, ob die Investitionen getätigt werden – oder nicht.
Über die Zuständigkeitsfrage zur Sicherheit wird denn auch nicht gesprochen. Leuthard präsentiert wie erwartet die Argumente gegen die Initiative: Für den Ausstieg brauche es mehr Zeit. Der fehlende Anteil könne nicht rasch genug mit Strom aus einheimischen erneuerbaren Energien ersetzt werden. Ausserdem warnte sie vor Entschädigungsklagen der AKW-Betreiber für nicht amortisierte Investitionen, welche die Betreiber auf Basis des geltenden Rechts mit unbefristeter Betriebsbewilligung getätigt haben.
Das ENSI sagt auf Anfrage, die Aufsichtsbehörde äussere sich nicht zu politischen Fragen. Es nehme deshalb auch nicht an den Debatten um die Atomausstiegsinitiative teil. Generell könne das ENSI sagen, dass alle derzeit in der Schweiz in Betrieb stehenden Kernkraftwerke die vorgeschriebenen Sicherheitsanforderungen erfüllen und gesetzeskonform betrieben würden.