Seit Jahren fordern Grüne und Linke in der Schweiz ein Verbot von Verbrennermotoren. Durchsetzen konnten sie sich bislang nicht. Nun haben sie jedoch kampflos gewonnen – dank der EU. Das EU-Parlament will den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor nämlich ab 2035 verbieten. Das entschied eine Mehrheit der Abgeordneten am Mittwoch in Strassburg. Noch muss ein Kompromiss mit den EU-Staaten ausgehandelt werden, doch das Verbot wird kommen.
Das EU-Verbot bedeutet auch ein faktisches Verbot in der Schweiz. Ganz egal, ob es hierzulande offiziell übernommen wird. Denn auch hiesige Neuwagen müssen den EU-Typgenehmigungen entsprechen und damit auch die europäischen Abgasvorgaben erfüllen. Zudem würden europäische Hersteller kaum mehr Autos mit Verbrennungsmotor für die Schweiz produzieren, dafür sei der Markt zu klein, sagte der Automobil-Experte Peter Fuss gegenüber «20 Minuten».
Stellt sich die Frage: Ist die Schweiz bereit für die Elektro-Revolution?
Bevor wir uns der Zukunft widmen, folgt ein kleiner Realitätscheck. Die Elektromobilität erobert die Schweiz momentan im Sturm. Auch wenn es insgesamt eher noch einer Brise ähnelt.
2021 wurden in der Schweiz 32'000 E-Autos verkauft. Satte 63 Prozent mehr als 2020. Gut 13 Prozent der verkauften Neuwagen waren im letzten Jahr reine Elektroautos. Zudem war das meistverkaufte Auto der Schweiz ein Stromer: der Tesla Model 3.
Der Trend zeigt in eine eindeutige Richtung: Fahrzeuge mit alternativem Antrieb (dazu zählen auch Hybrid-Autos) werden immer beliebter. Ihr Marktanteil lag 2021 bei 44 Prozent. Der Anteil benzinbetriebener Neuzulassungen sank hingegen seit 2019 von 61 auf 42 Prozent, gemeinsam mit den Dieselfahrzeugen kommen die Verbrenner allerdings weiterhin auf 56 Prozent.
Eine Analyse des TCS aus dem letzten Jahr ging davon aus, dass der Anteil rein elektrischer Neuzulassungen noch vor dem Jahr 2030 mehr als die Hälfte ausmachen wird. 2035 werden es nun 100 Prozent sein müssen – denn auch Hybride oder Fahrzeuge mit synthetischem Treibstoff sollen verboten werden.
Bis hierzulande jedoch nur noch elektrisch angetriebene Fahrzeuge auf den Strassen herumkurven, wird es noch eine Weile dauern. Bereits zugelassene Verbrenner dürfen nämlich weiterhin benutzt werden. Und auch der jetzige Elektro-Boom verändert das Strassenbild nur sehr langsam. Denn zoomt man etwas heraus und betrachtet das ganze Bild, so sieht man: Die Schweizer Fahrbahnen werden nach wie vor von Benzinern und Dieselfahrzeugen beherrscht. Von den über 4,5 Millionen Personenwagen sind hierzulande erst rund 70'000 elektrisch. Das sind knapp 1,5 Prozent.
Im Vergleich zum Rest Europas steht die Schweiz damit im vorderen Mittelfeld. Länder wie Island, die Niederlanden, Schweden oder Dänemark liegen mehr oder weniger knapp vor der Schweiz. Mit riesigem Abstand an der Spitze steht jedoch Norwegen: Über 15 Prozent aller Fahrzeuge sind dort rein elektrisch.
Geschafft hat Norwegen das mit enormen Anreizen, die den Kauf von emissionsfreien Autos attraktiv macht. So entfällt beim Kauf eines Stromers die 25-prozentige Mehrwertsteuer. Und die Hälfte der Mautgebühren. Stromer dürfen zum Teil die Busspuren benutzen und gratis parkieren. Auch die Zulassungsgebühr, die bis zu 10'000 Euro betragen kann, fällt weg. Zudem ist das Netz an Ladestationen in Norwegen sehr gut ausgebaut.
Das führt uns zu den Baustellen, die der Schweiz bevorstehen. Denn mit dem unausweichlichen, enormen Anstieg an Elektroautos muss auch die Anzahl Ladestationen wachsen.
Dabei sind einige wichtige Unterscheidungen zu machen. Einerseits zwischen öffentlichen und privaten Ladestationen, andererseits zwischen Schnellladestationen und herkömmlichen.
Beginnen wir bei den öffentlichen: Trotz fehlender Förderprogramme des Bundes kann die Schweiz eines der dichtesten Ladenetze weltweit vorweisen. Pro 10'000 Einwohner stehen rund neun Ladestationen zur Verfügung. Umgerechnet heisst das: Derzeit müssen sich knapp sieben Elektroautos eine öffentliche Ladestation teilen. Diese sind jedoch noch recht ungleichmässig verteilt.
International steht die Schweiz damit gut da. Lediglich Länder wie die Niederlande, Norwegen oder Luxemburg können eine höhere Quote aufweisen. Auch steigt die Anzahl öffentlicher Ladestationen rasant.
«Wichtiger ist jedoch, was für Ladestationen wo gebaut werden», sagt Krispin Romang, Geschäftsführer von Swiss eMobility. Nebst dem dichten Netz an öffentlichen Ladepunkten brauche es vor allem Infrastrukturen mit hoher Leistung, sogenannte Schnellladestationen.
Bei diesen gibt es noch Nachholbedarf. Über 80 Prozent der bestehenden e-Zapfsäulen in der Schweiz sind langsame mit bis zu 22 Kilowatt Leistung. Solche mit über 100 Kilowatt machen erst acht Prozent aller Ladestationen aus.
Über das öffentliche Ladenetzwerk macht sich Krispin Romang allerdings keine Sorgen. Denn neben der bereits hohen Ladenetzdichte verfügen die Fahrzeuge über immer mehr Reichweite. Es sind die privaten Anschlüsse, die problematisch seien. «Wir haben die schwierigsten Voraussetzungen in ganz Europa, weil wir den höchsten Anteil an Mietern haben», sagt Romang.
Für Mieter und Stockwerkeigentümer gäbe es hohe Hürden, um Heimladestationen einzurichten, da sie auf den Goodwill von Immobilienbesitzern und Verwaltungen angewiesen seien. Diese würden es häufig nicht erlauben, eine Ladestation auf einem gemieteten Parkplatz einzubauen. Dabei seien diese elementar. «Man soll sein Auto dort laden, wo es am längsten steht», so Romang.
Swiss eMobility fordert deswegen ein sogenanntes «Recht auf Laden», wie es zum Beispiel Deutschland bereits kennt. GLP-Präsident Jürg Grossen, seines Zeichens auch Präsident von Swiss eMobility, forderte den Bundesrat letztes Jahr in einer Motion dazu auf, «gesetzlichen Grundlagen für einen Anspruch von Mietern und Stockwerkeigentümern auf den Zugang zu einer Ladestation für Elektroautos zu schaffen».
Der Bundesrat will davon jedoch nichts wissen. In seiner Antwort verweist er auf die Kantone, welche die Bauvorschriften auf die kommende Elektrifizierungswelle ausrichten sollen. «Neue Bauvorschriften kommen nur bei Neubauten zum Tragen. Davon profitieren die allermeisten Mieter noch über sehr lange Zeit nicht», entgegnet Romang.
Doch der Bundesrat ist der Ansicht, dass es keine gesetzlichen Regelungen braucht. Die Anzahl Heimladestationen würde schon aus rein ökonomischen Gründen steigen, «beispielsweise zur Steigerung des Werts einer Liegenschaft und zur Verbesserung der Vermietbarkeit eines Mehrparteienhauses».
Ein weiteres, bislang ungelöstes Problem sind Strassenparkierer, wie es sie in Städten häufig gibt. Diese haben bislang praktisch keine Möglichkeit, ihr Fahrzeug über Nacht zu laden. Es gibt zwar Pilotprojekte in blauen Zonen mit Ladestationen oder Ideen wie das Laternenladen – hierbei kann man sein Auto an einer Laterne anschliessen – diese Lösungen sind jedoch nur schwer umsetzbar. Auch weil sich Ladestationen kaum rentieren für private Anbieter. Schon gar nicht, wenn man sein Auto in der blauen Zone abstellt und dann eine Woche lang die Ladestation besetzt.
Für Krispin Romang ist dieses Problem allerdings vernachlässigbar. «Das schlechteste Szenario eines E-Autos entspricht dem besten eines Verbrenners: Man fährt zur Ladestation.»
Machen wir einen Schritt zurück. Für die Flut an neuen E-Autos muss nicht nur das Ladenetzwerk stark ausgebaut werden, es braucht auch bedeutend mehr Strom, um die Autos überhaupt zu laden.
In einer Analyse von Swiss eMobility geht man davon aus, dass bis im Jahr 2035 rund 2,5 Millionen Elektrofahrzeuge auf den hiesigen Strassen herumkurven werden. Stand heute wären das über 50 Prozent des gesamten Personenwagen-Bestandes. Swiss eMobility geht davon aus, dass dafür zwischen 5,4 und 6,7 Terawattstunden mehr Strom produziert werden müsste. Eine Berechnung der ETH geht von rund sieben Terawattstunden aus. Das entspricht über zehn Prozent des heutigen Stromverbrauchs in der Schweiz. Oder der jährlichen Produktionsleistung eines Atomkraftwerks.
Die sollen aber bekanntlich abgeschaltet werden. Der Bund warnt zudem vor drohenden Strommangellagen in naher Zukunft. Wie der erhöhte Strombedarf also gedeckt werden soll, ist fraglich. Geht es nach Romang, so müsse man selber verantwortlich sein, vor allem mit raschem Ausbau der Solarenergie. «Eine eigenversorgte Schweiz ist möglich. Dafür müssen wir aber ein paar Gänge zulegen.» Aber auch wenn eine komplette Strom-Autarkie anfangs nicht möglich wäre: Eine teilweise Abhängigkeit vom Ausland sei nach wie vor besser als eine totale, wie dies bei Verbrennern der Fall wäre. Auch seien E-Autos immer noch um Längen effizienter als solche mit Wasserstoff- oder syntethischem Kraftstoffantrieb.
E-Autos sind jedoch nicht nur ein weiterer Stolperstein der hiesigen Energiepolitik. Paradoxerweise könnten E-Autos auch einen wichtigen Beitrag zur Behebung des Stromproblems leisten. Und zwar dann, wenn man sie als Stromspeicher nutzen würde. Ein Team um den Doktoranden Loris di Natale von der Empa und der ETH Lausanne (EPFL) hat das Potenzial von Elektroautos als Stromspeicher unter die Lupe genommen. Dadurch soll in der Schweiz produzierter Strom hier gehalten und gleichzeitig weniger Strom importiert werden müssen.
Das Resultat der Studie, die im Fachmagazin «Energies» erschienen ist: Im Jahr 2050 liessen sich die importierten Treibhausgasemissionen um rund 35 Prozent reduzieren, wenn Elektroautos als Stromspeicher genutzt würden. In Kombination mit Speicherseen und Pumpspeicherkraftwerken könnte gar eine Reduktion von 60 Prozent erreicht werden. Dabei würden Elektroautos insbesondere die täglichen Spitzen glätten, die Wasserspeicher die saisonalen Spitzen.
Die Forscher betonen jedoch, dass die Schweiz selbst bei vollständiger Ausschöpfung des Elektroauto-Speicherpotenzials die Schwankungen nicht vollständig ausgleichen können wird. Die Schweiz bleibe im Winter ein Nettoimporteur, im Sommer ein Nettoexporteur. Weiter bräuchte es genügend Lade- und Entladestationen sowie die rechtlichen Grundlagen, um Strom aus den Elektrofahrzeugen ins Netz einspeisen zu können.
Trotzdem: Mit 2,5 Millionen Elektroautos könnte man einen deutlichen Stromspeicher-Effekt erzielen und einen wertvollen Beitrag zur Netzstabilität leisten.
Bleibt die Frage: Wer soll sich ein E-Auto leisten können? Noch sind die Anschaffungskosten um einiges höher als bei herkömmlichen Verbrennern. Zudem sind elektrische Kleinwagen für die Hersteller noch kein gutes Geschäft. Diese konzentrieren sich daher vorläufig auf elektrische Ober- und Mittelklasseautos.
Das zeigt sich auch bei der Verteilung der Elektrofahrzeuge in der Schweiz. Bei den Gemeinden mit über 10'000 Einwohnern liegen Risch und Cham vorne, beide am Zugersee gelegen und bekannt als Ort für Besserbetuchte. Ebenfalls relativ hohe Anteile verzeichnen diverse Zürichsee-Gemeinden.
Dies dürfte sich jedoch bald ändern. Der TCS geht davon aus, dass Elektroautos auch ohne Subventionen in wenigen Jahren nicht mehr teuer als Benzin- und Dieselautos sein werden. Sie erreichen voraussichtlich, je nach Fahrzeugklasse, zwischen 2025 und 2027 die Preise von vergleichbaren Verbrennern. Laufend sinkende Akkupreise und Kosteneinsparungen mit grösseren Produktionsvolumen machen E-Autos in rund fünf Jahren bereits beim Anschaffungspreis konkurrenzfähig.
Kommt hinzu, dass neue Steckerfahrzeuge viel schneller auf den Markt kommen, als frühere Studien dies prophezeiten. Auch die Auswahl elektrischer Kleinst- und Kleinwagen wird voraussichtlich ab 2025 stark anziehen.
Fassen wir zusammen: Auch wenn die Schweiz bis jetzt nicht mitmacht beim Verbrenner-Verbot: Die E-Mobilität ist nicht aufzuhalten. Doch so erfreulich, wie dies aus Umweltperspektive ist: Die E-Welle bringt auch Herausforderungen mit sich. Es gibt ungelöste Fragen bei der Ladeinfrastruktur, der Stromversorgung und der Netzstabilität.
2035 sei "schlichtweg zu früh" sagt Auto-Lobbyistin Hildegard Müller. Die Hersteller planen den #Verbrenner - Ausstieg derweil so:
— Jo Schück (@joschueck) June 9, 2022
2028 Opel
2030 Fiat
2030 Ford
2030 Volvo
2030 Bentley
2031 Mini
2033-35 VW
2033-35 Audi
2031-35 Daimler
2035 Hyundai
Die Schweiz würde deswegen gut daran tun, sich auch auf ein Verbot zu einigen, findet Krispin Romang von Swiss eMobility. «Die Schweiz ist eines der letzten Länder Europas, die keinen Ausstieg geplant hat. Das zeugt von einer Ambitionslosigkeit. Das ist schade.» Zumal auch das EU-Verbot eigentlich reine Formsache sei. Die allermeisten grossen Autohersteller haben sich bereits dazu bekannt, vor dem Jahr 2035 komplett auf E-Autos umzusteigen. «Die Schweiz sollte nicht zur letzten Bastion der Verbrenner werden», sagt Romang.