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Überraschende Wende: Die Schweiz hat kaum Strom gespart

Überraschende Wende: Die Schweiz hat kaum Strom gespart

Im September sah es so aus, als ob Schweizer Haushalte und Firmen 13 Prozent weniger Strom als üblich konsumiert hätten. Dem war aber nicht so. Wie es zur Ernüchterung kam.
21.11.2022, 16:36
Mark Walther / ch media
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Es war eine erfreuliche Nachricht: Die Schweizer Haushalte und Firmen senkten ihren Stromverbrauch im September markant im Vergleich zu den letzten sieben Jahren. Zahlreiche Medien haben diese Nachricht verbreitet, darunter auch CH Media. Schon im ersten Monat nach dem Start der Energiesparkampagne des Bundesrats schien klar: Die Botschaft ist in der Bevölkerung angekommen.

Stromstecker stecken in einer Stromleiste auf einem Buerotisch im Medienzentrum des Bundeshauses, am Mittwoch, 24. August 2022 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Verlässliche Zahlen zu den Stromsparbemühungen fehlen noch immer.Bild: keystone

Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile in Luft aufgelöst. Der Spareffekt hat so nicht stattgefunden.

Die Aussagen basierten auf der Energieübersicht der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid, die monatlich aktualisiert wird. In der Publikation Mitte Oktober wurde für den September eine endverbrauchte Energie von 3710 Gigawattstunden ausgewiesen - 13 Prozent weniger als im September vor einem Jahr. Bei der nächsten Veröffentlichung am vergangenen Dienstag gab es dann aber eine Überraschung: Swissgrid bezifferte den September-Verbrauch plötzlich auf 4220 Gigawattstunden. Der Spareffekt schmolz von rund 13 auf 1.1 Prozent, was im Bereich üblicher Schwankungen liegt.

Hinweis von Website entfernt

Swissgrid-Mediensprecherin Stephanie Bos erklärt die Differenz auf Nachfrage mit Nachmeldungen, die ungewöhnlich hoch ausfielen. Nachträgliche Korrekturen sind in der Energieübersicht nichts Ungewöhnliches. Swissgrid erhält die Daten von den rund 650 Stromversorgungsunternehmen in der Schweiz geliefert, stellt sie zusammen und veröffentlicht sie. Die Unternehmen können die Daten bis sechs Monate nach der erstmaligen Publikation anpassen. Erst dann sind sie wirklich belastbar. Darauf wies Swissgrid stets hin.

Allerdings liegen die Unterschiede üblicherweise im Promille-Bereich. Das hiess es bis vor kurzem ebenfalls auf der Swissgrid-Website. Nachmeldungen verändern die Werte demnach nur geringfügig. Mittlerweile wurde der Satz von der Website entfernt.

Welche Unternehmen für den September wie viel nachgemeldet haben, ist unklar. Swissgrid analysiert die Daten selber nicht. Da man den Verbrauch der Haushalte und der Schweizer Wirtschaft nicht überwache, verfolge man allfällige Differenzen nicht, sagt Bos.

Andere Datenquelle zeichnete ein anderes Bild

Die Swissgrid-Daten sind insofern interessant, als sie zeitnah über den Stromverbrauch der Haushalte und der Wirtschaft Auskunft geben. Die definitive Strombilanz der Schweiz veröffentlicht das Bundesamt für Energie (BFE) erst einige Monate später. Um eine drohende Mangellage dennoch rechtzeitig antizipieren zu können, arbeitet der Bund an einem Monitoring zum Strom- und Gaskonsum. Teile davon sollen bald der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen: Das BFE wird voraussichtlich ab Dezember ein öffentlich zugängliches Dashboard mit Kennzahlen publizieren.

Es gibt allerdings Echtzeitdaten, aus denen man schon Anfang Oktober lesen konnte, dass die Schweiz kaum Strom sparte. Dabei handelt es sich um Werte, die vom Verband europäischer Übertragungsnetzbetreiber (Entso-E) tagesaktuell publiziert werden.

Pikant: Der Verband erhält die Daten von Swissgrid gemeldet. Die Aussagekraft ist aber offenbar beschränkt: Laut Bos handelt es sich um Prognosedaten, die nicht einer Messung entsprechen. Sie seien statistisch nicht belastbar.

Oktoberwerte dürften ebenfalls angepasst werden

Im Oktober lag der Endkundenverbrauch gemäss Energieübersicht 13 Prozent unter dem Durchschnitt der letzten sieben Jahre. Swissgrid rechnet jedoch erneut mit Nachmeldungen in ähnlicher Grössenordnung wie im September. Die Entso-E-Zahlen zeigen hingegen einen Minderverbrauch von rund vier Prozent. Der vielerorts wärmste Oktober seit Beginn der Aufzeichnungen dürfte zum gesunkenen Verbrauch beigetragen haben.

Wie gut die Sparbemühungen in der Schweiz sind, lässt sich weiterhin nicht in harten Zahlen ausdrücken. (aargauerzeitung.ch)

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193 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gin Toni
21.11.2022 16:51registriert Oktober 2020
Das ist die gleiche Symbolgeste wie mit dem Verbot der Plastik-Röhrli. Wir schalten zu Hause schneller das Licht ab, heizen den Backofen nicht mehr vor, legen fein säuberlich jeweils einen Deckel auf den Topf, entfernen unnötige Apps, lüften wie man lüften solle (kurz und auf Durchzug), stellen den Kühlschrank ab und nutzen eine Styroporbox auf dem Balkon, nutzen wieder das normale Zahnbürstli statt die Elektro, stellen den Radio 2 Stufen runter, schauen TV nur noch mit einem Auge und drehen 3 von 5 Glühbirnen aus dem Kronleuchter. Und wo sparen die grossen Verbraucher der Industrie?
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Pitch Black
21.11.2022 16:46registriert März 2022
Also Swissgrid hat eigentlich keine Ahnung wieviel Strom wir verbrauchen. Wie soll man das Stromnetz und eine Mangellage managen können wenn man nicht einmal den Stromverbrauch sinnvoll messen kann?
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derEchteElch
21.11.2022 17:02registriert Juni 2017
Wundert mich kein bisschen, wenn alle Schaufenster und die Strassen um 3 Uhr morgens hell beleuchtet sind.
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