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Transmutex: Wie ein Start-up das Atommüll-Problem entschärfen will

Teaserbild AKW Leibstadt
Blick auf das AKW Leibstadt im Oktober 2021. Das Start-up Transmutex will hochradioaktive AKW-Abfälle reduzieren – und gleichzeitig Strom erzeugen. Bild: watson / imago-images.de

Wie ein Schweizer Start-up die Welt retten könnte – und das ausgerechnet mit Kernkraft

Ein in der Schweiz entwickelter, neuartiger Thorium-Reaktor soll sicher und umweltschonend sein und das Problem des «ewig» strahlenden Atommülls lösen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
24.05.2024, 20:0025.05.2024, 15:34
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Einst wollten Alchemisten künstlich Gold herstellen – und scheiterten kläglich. Der Grund: Sie versuchten das Edelmetall mit chemischen Prozessen zu gewinnen. Gold ist aber keine chemische Verbindung, sondern ein Element. Und Elemente lassen sich durch Chemie nicht produzieren. Hierzu braucht es die Physik.

Und damit sind wir bei Transmutex. Das Schweizer Start-up will nicht weniger als die Welt retten. Und dies mit einer revolutionären Reaktor-Technologie, die nebenbei auch das Problem mit dem Atommüll löse.

Hier erfährst du das Wichtigste.

Warum ist das wichtig?

Das Schweizer Start-up Transmutex arbeitet an einer revolutionären Reaktor-Technologie, die aus hochradioaktivem Atommüll «saubere» Energie und Spaltprodukte erzeugt, die viel weniger lang gefährlich bleiben.

«Heute, da wir mit dem erschütternden Ausmass der notwendigen Veränderungen in unserer Gesellschaft konfrontiert sind, um den Klimawandel einzudämmen, ist es eine Notwendigkeit geworden, etwas völlig Neues auszuprobieren.»
Transmutex

Braucht es kein Schweizer Tiefenlager mehr für den Atommüll?

Bevor wir zur Funktionsweise des Transmutex-Reaktors und weiteren Fragen kommen, müssen wir über den Elefanten im Raum reden: Die Schweiz wird trotz der vielversprechenden neuen Technologie ein sicheres Tiefenlager für radioaktiven Atommüll brauchen.

Dies erklärte Franz Strohmer von Transmutex diese Woche an einem Referat im zürcherischen Stadel. Dort will die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, kurz Nagra, bekanntlich die Oberflächenanlage für das Schweizer Tiefenlager hinbauen.

Der öffentliche Auftritt des Transmutations-Experten wurde von «LoTi» organisiert, einer Vereinigung kritischer Bürgerinnen und Bürger aus dem Zürcher Unterland und benachbarter Regionen, die sich intensiv mit den Schweizer «Endlager»-Plänen auseinandersetzen.

Und damit zu den guten Nachrichten:

Was sind die grössten Vorteile?

Die folgenden Angaben stammen von Franz Strohmer und weiteren Verantwortlichen (siehe Quellen).

  • Dank des von Transmutex entwickelten Verfahrens könne der gefährlichste Atommüll – die hochradioaktiven AKW-Brennstäbe – massgeblich entschärft werden: Statt für unvorstellbar lange 500'000 Jahre (oder gar 1 Million Jahre) müsse das Material nur 500 Jahre sicher gelagert werden. Dann sei es harmlos und strahle nur noch wie natürliches Uranerz.
  • Das Verfahren könne auf alle AKW-Abfälle der Schweiz angewendet werden, auch auf bereits vorhandene, verglaste Abfälle.
  • Das Volumen der hochradioaktiven Abfälle, die bislang in einem Zwischenlager (Zwilag) lagern, könne zudem signifikant reduziert werden. Um den Faktor 5. Sprich: Der Platz in dem von der Nagra geplanten Tiefenlager würde sogar dann reichen, falls wegen einer Laufzeitverlängerung der bestehenden Schweizer AKWs zusätzlicher Atommüll anfallen würde.
Laut Transmutex kann der hochradioaktive Schweizer Atommüll um 80 Prozent reduziert werden – und er würde nur noch 500 Jahre gefährlich strahlen.
  • Das neue Verfahren sei absolut sicher, AKW-Unfälle wie in Fukushima, mit dem Austritt von Radioaktivität in die Umwelt, seien wegen der Funktionsweise des Transmutex-Reaktors ausgeschlossen. Es könne nicht zu unkontrollierten Kettenreaktionen kommen.
  • Umweltschonende Stromerzeugung: Die mit den sicheren Reaktoren erzeugte Energie könne ins Schweizer Stromnetz eingespeist werden. Und dies bevorzugt in den Wintermonaten, wenn es hierzulande mit der Stromgewinnung durch umweltfreundliche erneuerbare Energien, insbesondere Solarkraft, hapert.
  • Weiterer positiver Nebeneffekt: Für die Industrie wichtige Inhaltsstoffe wie Cäsium, Strontium, Krypton, Rhodium würden so nutzbar gemacht.
  • Es könnten über 80 Prozent des Urananteils in den abgebrannten Brennstäben (aus den AKWs) als Brennstoff rezykliert werden.
  • Im Transmutex-Reaktor könne auch Material aus Atomwaffen verarbeitet werden, sagte Strohmer. Das Schweizer Start-up könnte also zu einer zukünftigen atomaren Abrüstung beitragen.

Und der Haken?

Erraten, es gibt mehrere.

Die Nagra bringt die Fakten auf den Punkt:

  • Noch sei Transmutation «nur eine theoretische Möglichkeit, das Volumen und die Langlebigkeit von hochradioaktiven Abfällen zu reduzieren».
  • Die heutige Gesetzgebung der Schweiz lasse die Einführung einer solchen Technologie nicht zu.
  • Zudem können die weniger gefährlichen, schwach- und mittelaktiven, Abfälle gemäss derzeitigem Forschungsstand nicht transmutiert werden.

Anzumerken ist, dass die aufgeführten Punkte gemäss den Transmutex-Verantwortlichen kein unüberwindbares Hindernis darstellen. Im Gegenteil: Sie gehen davon aus, schon in den 2030er-Jahren einen funktionsfähigen Reaktorprototyp in Betrieb nehmen zu können.

Es existiert bereits ein «digitaler Zwilling» des Transmutex-Reaktors. Eine Computersimulation, die dank der heute verfügbaren Rechenleistung in der Lage ist, den Betrieb realistisch durchzuspielen.

Wichtig: Im Gegensatz zu anderen vielversprechenden neuen Reaktor-Technologien, wie dem von der EU geförderten Projekt MYRRHA, brauche es für die Umsetzung des Transmutex-Reaktors keine forschungstechnischen Durchbrüche. Alles sei bereits vorhanden und die Kernkomponenten hätten sich zum Teil seit vielen Jahren bewährt. Es gehe noch darum, sie zu kombinieren.

Die erste Anlage wird wohl im europäischen Ausland gebaut, wahrscheinlich in Frankreich. Der Bundesrat und weitere Verantwortliche in Bundesbern scheinen bislang nicht gewillt, das Pilotprojekt hier umzusetzen.

Immerhin: Wie die «Sonntagszeitung» Ende 2023 berichtete, sollen sich sowohl die Axpo, der grösste Schweizer Energieversorger, als auch das Umwelt- und Energiedepartement von Bundesrat Albert Rösti bereits mit der neuen Reaktor-Variante befassen.

In der Schweiz wären zwei Gesetzesänderungen nötig, weil der Bau neuer Kernkraftwerke sowie die Atommüll-Aufarbeitung nicht erlaubt seien, so die NZZ.

Sicher ist: Sollte die neue Technologie wie geplant für den industriellen Einsatz massentauglich gemacht werden können, winkt den Schweizer Erfindern und den Investoren ein Multimilliardengeschäft.

«Das Unternehmen will bis 2035 eine Zulassung der US-Nuklearbehörde erhalten. Auf dieser Basis will es dann in weiteren Ländern eine Bewilligung anstreben.»
quelle: nzz.ch

Wie funktioniert's?

Mit Transmutation ist ein physikalischer Prozess gemeint, bei dem ein Element (wie zum Beispiel Uran) in ein anderes umgewandelt wird.

Zur Erinnerung: Ein chemisches Element ist ein sogenannter Reinstoff, der nur mit physikalischen Methoden in andere Stoffe umgewandelt werden kann.

Transmutex will AKW-Atommüll entschärfen.
«Unterkritische Transmutation» heisst, dass der hochradioaktive AKW-Abfall in einem Prozess verarbeitet wird, der nicht aus dem Ruder laufen kann. Screenshot: Transmutex

Das von Transmutex entwickelte, neuartige Verfahren sieht vor, das hochradioaktive Material in einem Spezialreaktor mit einem Protonenstrahl zu beschiessen. Und dieser Strahl wird durch einen in der Schweiz bereits getesteten Teilchenbeschleuniger erzeugt.

Was die Sicherheit betrifft, unterscheidet sich das Transmutex-Konzept grundlegend von herkömmlichen AKW-Reaktoren: Der neuartige Thorium-Reaktor laufe nur, solange der zugeführte Brennstoff aktiv mit dem hochenergetischen Protonenstrahl beschossen werde.

Sobald die «Protonenkanone» abgestellt werde, stoppe auch die Spaltung des Materials augenblicklich, wie erklärt wurde. Der Reaktor könne «ohne aktiven Beschuss» physikalisch gar nicht weiterlaufen. Die Anlage werde innert Sekunden abgeschaltet.

So könnte die Transmutex-Anlage aussehen:

Transmutex entwickelt neuartigen Thorium-Reaktor, der Atommüll entschärfen soll.
Visualisierung des neuartigen Transmutex-Reaktors (orange), rechts daneben der Teilchenbeschleuniger (grün).grafik: Transmutex

Auch in herkömmlichen Atomkraftwerk-Reaktoren wird das Brennmaterial – Uran oder Plutonium – mit einem Neutronenstrahl beschossen. Transmutex will hingegen Thorium als Haupt-Brennstoff verwenden. Dabei handelt es sich um ein schwach radioaktives Metall, das in Gesteinsschichten vorkommt. Rund um den Globus.

Maurice Bourquin, ehemaliger Rektor der Universität Genf und Ex-Präsident des CERN-Rates:

«Thorium ist als Brennstoff viel weniger problematisch als Uran. Die Thorium-Vorräte sind viel grösser, der Abbau weniger schmutzig und unbrauchbar für Atomwaffen.»

Wer hat's erfunden?

Es klingt tatsächlich fast zu gut, um wahr zu sein. Doch hinter der neuartigen Technologie stecken keine Fantasten, sondern seriöse Forscherinnen und Forscher und renommierte wissenschaftliche Institute.

Transmutex residiert seit 2019 in Vernier im Kanton Genf – unweit vom CERN, der Europäische Organisation für Kernforschung und dem weltweit grössten Teilchenphysiklabor. Aus gutem Grund: Transmutex greift auf Technologie zurück, die am CERN entwickelt wurde. Von dort stammt aber auch das revolutionäre Konzept, das dem Thorium-Reaktor zugrunde liegt – und zwar vom Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia.

Der Kernphysiker Federico Carminati, wissenschaftlicher Direktor von Transmutex, erinnert sich gemäss einem Swissinfo.org-Bericht, wie Rubbia ihn 1990 angerufen und gefragt habe, ob er an der Entwicklung eines neuen Kernreaktortyps mitwirken wolle.

«Die Euphorie für das Projekt war gross, aber die Idee eines Thoriumreaktors in Kombination mit einem Teilchenbeschleuniger landete gleichwohl in der Schublade. Die Atomindustrie zeigte wenig Interesse an einer Neuentwicklung; aus ihrer Sicht war auch das Problem der radioaktiven Abfälle und deren Lagerung nicht so dringend.»
quelle: swissinfo.org

30 Jahre später war die Zeit reif und Carminati gründete zusammen mit dem französischen Unternehmer Franklin Servan-Schreiber das Start-up Transmutex. Ihr ehrgeiziges Ziel: Die wegen verschiedener Probleme massiv in Verruf geratene Kernenergie völlig neu zu erfinden.

Wissenschaftliche Partner von Transmutex in der Schweiz sind nun auch das Paul Scherrer Institut (PSI), das grösste Forschungszentrum für Natur- und Ingenieurwissenschaften hierzulande, und die Eidgenössisch-Technische-Hochschule Lausanne (EPFL).

Was kostet das?

Die Verantwortlichen bei Transmutex legen Wert darauf, in dieser Phase ihres Vorhabens unabhängig zu bleiben. Sie streben zwar eine Kooperation mit interessierten Staaten in Europa und Übersee an, bei der Finanzierung setzen sie hingegen rein auf private Investoren.

Eine erste Finanzierungsrunde wurde Anfang dieses Jahres erfolgreich abgeschlossen. Nun sollen bis im Winter weitere Investoren an Bord geholt werden – das Start-up will so rund 200 Millionen Franken einsammeln.

Wie die NZZ schreibt, kostet ein Prototyp des Reaktors laut den Transmutex-Berechnungen etwa 1,5 Milliarden Euro. In der Serienproduktion werde sich der Betrag auf rund 700 Millionen Euro reduzieren. Ähnlich teuer sei die Anlage für die Auftrennung des Atommülls.

Um den hochradioaktiven Abfall aus den Schweizer AKWs zu verwerten und zu entschärfen, müssten sechs Transmutex-Kleinreaktoren gebaut werden. «Nach 50 Jahren hätten sie den gesamten Bestand an abgebrannten Brennelementen verarbeitet.»

«Die Schweiz müsste für die Umsetzung des Konzepts also mit 6 Milliarden Euro rechnen. Die Anlagen würden nicht nur durch die Stromproduktion finanziert. Sie könnten laut dem Transmutex-Experten Strohmer Spaltprodukte liefern, die sich verkaufen lassen – etwa Cäsium-137, das bereits heute für die Bestrahlung von Tumoren verwendet wird.»
quelle: nzz.ch

Die Nagra will im November 2024 beim Bund ein Rahmenbewilligungsgesuch für das im Zürcher Unterland geplante Endlager einreichen – dann ist es an der nationalen Politik, darüber zu entscheiden. Falls sich auch die Schweizer Stimmberechtigten in einer wahrscheinlich folgenden Volksabstimmung für das Projekt aussprechen, sollen voraussichtlich ab 2050 die schwach- und mittelaktiven Abfälle in Stadel vergraben werden. Der hochradioaktive Atommüll wäre ab 2060 dran.

Transmutex bleibt also noch genügend Zeit, um auch die grössten Skeptiker zu überzeugen. Zudem soll der im zukünftigen Tiefenlager versenkte Atommüll (bis zur Verschliessung) noch jahrelang «rückholbar» sein.

Quellen

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Die endlose Geschichte des Schweizer Atommülls
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Die Schweiz hat ein Entsorgungsproblem, das auch hunderte, ja tausende Generationen nach uns betrifft und gefährden wird. Es ist der hochgiftige, stark strahlende Atommüll...
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Acai
24.05.2024 20:28registriert März 2017
500 Jahre statt 500‘000 Jahre? Wenn das tatsächlich möglich ist, müssen wir das tun. Der Menschheit zuliebe. Es ist zumindest knapp vorstellbar, dass wir 500 Jahre auf radioaktiven Abfall aufpassen. Alles andere ist sowas von verantwortungslos…
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Gen X
24.05.2024 20:35registriert August 2023
Klingt ja sehr schön und unproblematisch. Was mich vorsichtig werden lässt, keine Technologie ist unproblematisch.
Ich traue keiner eierlegenden Wollmilchsau.
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Pumpui
24.05.2024 22:07registriert August 2021
Also China hat einen Thorium Flüssigsalz Reaktor in der Wüste angefangen zu testen. Seit 2011 sind die Chinesen am forschen und seit 2018 hat der Bau des Reaktor begonnen. Kann man Googeln. Jetzt bin ich etwas verwirrt was da genau der Unterschied ist zur CH Startup Erfindung.
Ich denke ein Atomwissenschaftler wär jetzt nicht schlecht, der hier Auskunft geben könnte.
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