Einst wollten Alchemisten künstlich Gold herstellen – und scheiterten kläglich. Der Grund: Sie versuchten das Edelmetall mit chemischen Prozessen zu gewinnen. Gold ist aber keine chemische Verbindung, sondern ein Element. Und Elemente lassen sich durch Chemie nicht produzieren. Hierzu braucht es die Physik.
Und damit sind wir bei Transmutex. Das Schweizer Start-up will nicht weniger als die Welt retten. Und dies mit einer revolutionären Reaktor-Technologie, die nebenbei auch das Problem mit dem Atommüll löse.
Hier erfährst du das Wichtigste.
Das Schweizer Start-up Transmutex arbeitet an einer revolutionären Reaktor-Technologie, die aus hochradioaktivem Atommüll «saubere» Energie und Spaltprodukte erzeugt, die viel weniger lang gefährlich bleiben.
Bevor wir zur Funktionsweise des Transmutex-Reaktors und weiteren Fragen kommen, müssen wir über den Elefanten im Raum reden: Die Schweiz wird trotz der vielversprechenden neuen Technologie ein sicheres Tiefenlager für radioaktiven Atommüll brauchen.
Dies erklärte Franz Strohmer von Transmutex diese Woche an einem Referat im zürcherischen Stadel. Dort will die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, kurz Nagra, bekanntlich die Oberflächenanlage für das Schweizer Tiefenlager hinbauen.
Der öffentliche Auftritt des Transmutations-Experten wurde von «LoTi» organisiert, einer Vereinigung kritischer Bürgerinnen und Bürger aus dem Zürcher Unterland und benachbarter Regionen, die sich intensiv mit den Schweizer «Endlager»-Plänen auseinandersetzen.
Und damit zu den guten Nachrichten:
Die folgenden Angaben stammen von Franz Strohmer und weiteren Verantwortlichen (siehe Quellen).
Erraten, es gibt mehrere.
Die Nagra bringt die Fakten auf den Punkt:
Anzumerken ist, dass die aufgeführten Punkte gemäss den Transmutex-Verantwortlichen kein unüberwindbares Hindernis darstellen. Im Gegenteil: Sie gehen davon aus, schon in den 2030er-Jahren einen funktionsfähigen Reaktorprototyp in Betrieb nehmen zu können.
Wichtig: Im Gegensatz zu anderen vielversprechenden neuen Reaktor-Technologien, wie dem von der EU geförderten Projekt MYRRHA, brauche es für die Umsetzung des Transmutex-Reaktors keine forschungstechnischen Durchbrüche. Alles sei bereits vorhanden und die Kernkomponenten hätten sich zum Teil seit vielen Jahren bewährt. Es gehe noch darum, sie zu kombinieren.
Die erste Anlage wird wohl im europäischen Ausland gebaut, wahrscheinlich in Frankreich. Der Bundesrat und weitere Verantwortliche in Bundesbern scheinen bislang nicht gewillt, das Pilotprojekt hier umzusetzen.
Immerhin: Wie die «Sonntagszeitung» Ende 2023 berichtete, sollen sich sowohl die Axpo, der grösste Schweizer Energieversorger, als auch das Umwelt- und Energiedepartement von Bundesrat Albert Rösti bereits mit der neuen Reaktor-Variante befassen.
In der Schweiz wären zwei Gesetzesänderungen nötig, weil der Bau neuer Kernkraftwerke sowie die Atommüll-Aufarbeitung nicht erlaubt seien, so die NZZ.
Sicher ist: Sollte die neue Technologie wie geplant für den industriellen Einsatz massentauglich gemacht werden können, winkt den Schweizer Erfindern und den Investoren ein Multimilliardengeschäft.
Mit Transmutation ist ein physikalischer Prozess gemeint, bei dem ein Element (wie zum Beispiel Uran) in ein anderes umgewandelt wird.
Zur Erinnerung: Ein chemisches Element ist ein sogenannter Reinstoff, der nur mit physikalischen Methoden in andere Stoffe umgewandelt werden kann.
Das von Transmutex entwickelte, neuartige Verfahren sieht vor, das hochradioaktive Material in einem Spezialreaktor mit einem Protonenstrahl zu beschiessen. Und dieser Strahl wird durch einen in der Schweiz bereits getesteten Teilchenbeschleuniger erzeugt.
Was die Sicherheit betrifft, unterscheidet sich das Transmutex-Konzept grundlegend von herkömmlichen AKW-Reaktoren: Der neuartige Thorium-Reaktor laufe nur, solange der zugeführte Brennstoff aktiv mit dem hochenergetischen Protonenstrahl beschossen werde.
Sobald die «Protonenkanone» abgestellt werde, stoppe auch die Spaltung des Materials augenblicklich, wie erklärt wurde. Der Reaktor könne «ohne aktiven Beschuss» physikalisch gar nicht weiterlaufen. Die Anlage werde innert Sekunden abgeschaltet.
Auch in herkömmlichen Atomkraftwerk-Reaktoren wird das Brennmaterial – Uran oder Plutonium – mit einem Neutronenstrahl beschossen. Transmutex will hingegen Thorium als Haupt-Brennstoff verwenden. Dabei handelt es sich um ein schwach radioaktives Metall, das in Gesteinsschichten vorkommt. Rund um den Globus.
Maurice Bourquin, ehemaliger Rektor der Universität Genf und Ex-Präsident des CERN-Rates:
Es klingt tatsächlich fast zu gut, um wahr zu sein. Doch hinter der neuartigen Technologie stecken keine Fantasten, sondern seriöse Forscherinnen und Forscher und renommierte wissenschaftliche Institute.
Transmutex residiert seit 2019 in Vernier im Kanton Genf – unweit vom CERN, der Europäische Organisation für Kernforschung und dem weltweit grössten Teilchenphysiklabor. Aus gutem Grund: Transmutex greift auf Technologie zurück, die am CERN entwickelt wurde. Von dort stammt aber auch das revolutionäre Konzept, das dem Thorium-Reaktor zugrunde liegt – und zwar vom Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia.
Der Kernphysiker Federico Carminati, wissenschaftlicher Direktor von Transmutex, erinnert sich gemäss einem Swissinfo.org-Bericht, wie Rubbia ihn 1990 angerufen und gefragt habe, ob er an der Entwicklung eines neuen Kernreaktortyps mitwirken wolle.
30 Jahre später war die Zeit reif und Carminati gründete zusammen mit dem französischen Unternehmer Franklin Servan-Schreiber das Start-up Transmutex. Ihr ehrgeiziges Ziel: Die wegen verschiedener Probleme massiv in Verruf geratene Kernenergie völlig neu zu erfinden.
Wissenschaftliche Partner von Transmutex in der Schweiz sind nun auch das Paul Scherrer Institut (PSI), das grösste Forschungszentrum für Natur- und Ingenieurwissenschaften hierzulande, und die Eidgenössisch-Technische-Hochschule Lausanne (EPFL).
Die Verantwortlichen bei Transmutex legen Wert darauf, in dieser Phase ihres Vorhabens unabhängig zu bleiben. Sie streben zwar eine Kooperation mit interessierten Staaten in Europa und Übersee an, bei der Finanzierung setzen sie hingegen rein auf private Investoren.
Eine erste Finanzierungsrunde wurde Anfang dieses Jahres erfolgreich abgeschlossen. Nun sollen bis im Winter weitere Investoren an Bord geholt werden – das Start-up will so rund 200 Millionen Franken einsammeln.
Wie die NZZ schreibt, kostet ein Prototyp des Reaktors laut den Transmutex-Berechnungen etwa 1,5 Milliarden Euro. In der Serienproduktion werde sich der Betrag auf rund 700 Millionen Euro reduzieren. Ähnlich teuer sei die Anlage für die Auftrennung des Atommülls.
Um den hochradioaktiven Abfall aus den Schweizer AKWs zu verwerten und zu entschärfen, müssten sechs Transmutex-Kleinreaktoren gebaut werden. «Nach 50 Jahren hätten sie den gesamten Bestand an abgebrannten Brennelementen verarbeitet.»
Die Nagra will im November 2024 beim Bund ein Rahmenbewilligungsgesuch für das im Zürcher Unterland geplante Endlager einreichen – dann ist es an der nationalen Politik, darüber zu entscheiden. Falls sich auch die Schweizer Stimmberechtigten in einer wahrscheinlich folgenden Volksabstimmung für das Projekt aussprechen, sollen voraussichtlich ab 2050 die schwach- und mittelaktiven Abfälle in Stadel vergraben werden. Der hochradioaktive Atommüll wäre ab 2060 dran.
Transmutex bleibt also noch genügend Zeit, um auch die grössten Skeptiker zu überzeugen. Zudem soll der im zukünftigen Tiefenlager versenkte Atommüll (bis zur Verschliessung) noch jahrelang «rückholbar» sein.