Wahrscheinlich gibt es kaum einen Verlag in der Schweiz, der nicht schon einmal die Juristenkeule von Erwin Kessler zu spüren bekommen hat. Sobald der extreme Tierschützer aus der Ostschweiz als Rassist oder Antisemit bezeichnet wird, setzt er sich sofort mit einer Klage zur Wehr. Nun haben auch die amerikanischen Gesellschaften Facebook und Wikimedia Foundation Erwin Kessler kennengelernt.
Der VGT-Präsident war bis vor ein paar Tagen auf der Online-Enzyklopädie Wikipedia auf einer Liste von Judenhassern aufgeführt. Diesen Eintrag in der Kategorie «Personen des Antisemitismus» versuchte Kessler immer wieder selber zu löschen. Erfolglos, weshalb er Ende Juli beim Bezirksgericht Münchwilen ein Löschbegehren einreichte. Der Einzelrichter verfügte superprovisorisch die vorsorgliche Löschung aufgrund einer als glaubwürdig beurteilten Klage wegen Persönlichkeitsverletzung. Die Verfügung aus dem Thurgau zeigte Wirkung: Der Eintrag auf der Plattform wurde von der verantwortlichen Gesellschaft Wikimedia Foundation deshalb vor ein paar Tagen gelöscht.
Auch gegen einen Post auf Facebook, auf dem Kessler von einem anderen Tierrechtler ebenfalls als Antisemit bezeichnet wurde, ging der VGT-Präsident gerichtlich vor. Zuerst belangte er den Urheber des Posts direkt. Weil dieser auf das richterliche Löschungsurteil nicht reagierte, schoss Kessler daraufhin direkt gegen Facebook. Auch hier mit Erfolg: Seit ein paar Tagen ist der entsprechende Eintrag auf dem sozialen Netzwerk gelöscht.
In einem Schreiben einer Anwaltskanzlei aus Genf, das watson vorliegt, wird Kessler nach der Löschung des Posts nun aufgefordert seine Klage vor dem Bezirksgericht Münchwilen zurückzunehmen. Laut dem Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger, der auf Recht im digitalen Raum spezialisiert ist, würden Portale wie Facebook, Snapchat oder Twitter regelmässig versuchen, sich aus der Verantwortung zu nehmen.
«Ich ziehe die Klage nicht zurück», wie Kessler gegenüber watson sagt. «Ich werde nun einen Abschreibungsbeschluss wegen Gegenstandslosigkeit beantragen, unter Kostenauflage an Facebook.» Auch die Wikipedia-Betreiberin solle für die entstandenen Gerichtskosten aufkommen, so der 74-Jährige, der schon mit Novartis, der Post oder dem liechtensteinischen Fürsten gerichtliche Händel ausgetragen hat.
«Insgesamt musste ich beim Wikipedia-Fall drei Unterfirmen einklagen», nervt sich der streitbare Tierfreund. «Die verstecken sich hinter Firmenbezeichnungen in verschiedenen Ländern und betreiben so ein rechtsmissbräuchliches Verwirrspiel.» Die US-Platformen würden alles daransetzen, um die Rechtswege zu verschleiern, bestätigt auch der Basler Rechtsanwalt Jascha Schneider. «Das Verhalten der Internet-Giganten kann nur System haben», analysiert Schneider, der für seine Klienten auch schon gegen Facebook vorging. Bei Urheberverletzungen würden Klagen gegen Twitter, Google und Co. nämlich jeweils viel schneller behandelt.
Will jemand in der Schweiz wegen eines persönlichkeitsverletzenden Posts oder einer ungerechtfertigten Bewertung klagen, braucht es heute einen langen Schnauf und viel Geld. «Die meisten Leute haben aber nicht die gleichen Möglichkeiten wie Erwin Kessler», moniert Rechtsanwalt Martin Steiger. «Auch wenn Kessler für Anliegen kämpft, die häufig umstritten sind,bringt er die Schweizer Rechtsprechung auf seine hartnäckige Weise in vielen Fällen weiter.»
Es sei jetzt Zeit diese Plattformen an die Kandare zu nehmen, sagen Steiger und Schneider. Der grüne Nationalrat Balthasar Glättli hat in einer Motion verlangt, dass grosse ausländische Internetplattformen in Zukunft ein obligatorisches Schweizer Zustellungsdomizil angeben müssen. Dies, damit man im Falle einer Persönlichkeits- oder Datenschutzverletzung als User rascher und klarer die Gerichte gegen solche Grosskonzerne anrufen kann. Die Motion Glättli sollte in einer der nächsten Sessionen des Parlaments besprochen werden.