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FDP-Politiker wollen nicht mehr Geld für Synagogen-Schutz – zum Ärger des eigenen Chefs

FDP-Politiker wollen nicht mehr Geld für Synagogen-Schutz – zum Ärger des eigenen Chefs

Die bürgerliche Mehrheit der Finanzkommission will die Bundesmittel zum Schutz von jüdischen Einrichtungen nicht aufstocken. Das sorgt nicht nur links für Kritik: Thierry Burkart, Parteichef der FDP, will seine Fraktion umstimmen.
26.11.2023, 07:1826.11.2023, 07:18
Christoph Bernet / ch media
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2,5 Millionen Franken stellt der Bund jährlich für die Sicherheit von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen zur Verfügung. Über 95 Prozent dieses Beitrags fliesst an Sicherheitsmassnahmen von jüdischen Einrichtungen wie Synagogen oder Schulen. Doch das Geld reicht bei weitem nicht aus, um allen Gesuchen um Unterstützung nachzukommen, die die gesetzlichen Grundlagen erfüllen.

FDP-Parteipraesident und Staenderat Thierry Burkart, FDP-AG, besucht die Synagoge Endingen, anlaesslich eines Besuchs der Israelischen Botschafterin Ifat Reshef in Endingen und Lengnau, am Dienstag, 2 ...
FDP-Parteipräsident Thierry Burkart am 24. Oktober 2023 bei einem von ihm initiierten Besuch der israelischen Botschafterin Ifat Reshef in der Synagoge Lengnau AG.Bild: keystone

Die antisemitischen Vorfälle in der Schweiz haben seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und dem darauffolgenden Krieg im Gazastreifen in der Schweiz deutlich zugenommen. Der Nachrichtendienst des Bundes spricht von einer erhöhten Gefährdung für jüdische Einrichtungen.

Trotzdem lehnte die bürgerliche Mehrheit der Finanzkommission des Nationalrats (FK-N) einen Antrag von Nationalrätin Sarah Wyss (SP/BS) ab, den Beitrag zum Schutz bedrohter Minderheiten im nächsten Jahr auf 5 Millionen Franken zu verdoppeln. Gegen das Ansinnen stimmten die Vertreter von SVP, FDP und Mitte, dafür waren SP, Grüne und GLP.

Die wieder in den Nationalrat gewaehlte Sarah Wyss (SP, bisher) freut sich im Wahlforum fuer den Kanton Basel-Stadt an den Eidgenoessischen Wahlen in Basel, am Sonntag, 22. Oktober 2023. Die Schweizer ...
SP-Nationalrätin Sarah WyssBild: keystone

«Schutz der jüdischen Menschen in der Schweiz ist Aufgabe des Staates»

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der Dachverband der jüdischen Gemeinden der Schweiz, bedauert den Kommissionsentscheid in einem Communiqué sehr und verweist darauf, dass diese Mittel dringend benötigt würden, da der bislang zur Verfügung stehende Beitrag den Bedarf nicht abdecke. Die ungedeckten Kosten für die notwendigen und jüngst nochmals verschärften Sicherheitsmassnahmen belasteten die jüdischen Gemeinden und seien «mittelfristig aus eigenen Mitteln nicht bestreitbar».

Die jüdische Gemeinschaft befindet sich laut SIG seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel «in einer aussergewöhnlichen und herausfordernden Lage». Die von Nationalrätin Sarah Wyss beantragte deutliche Erhöhung der Mittel zu ihrem Schutz sei darauf die richtige Antwort.

Der Schutz der jüdischen Menschen in der Schweiz sei Aufgabe des Staates, und dieser müsse sich der Verantwortung stellen, schreibt der SIG. Der Nationalrat müsse den Vorentscheid seiner Finanzkommission bei der Budgetberatung korrigieren.

Auch im Parlament gibt der Entscheid der FK-N zu reden. Auf X zeigte sich SP-Co-Präsident Cédric Wermuth «erschreckt und enttäuscht». Es sei unverständlich, dass der Finanzkommission – die gleichentags die Mittel zur Förderung des Absatzes von Schweizer Wein um 6.2 Millionen Franken erhöhte – der Weinexport wichtiger sei «als der Schutz der Minderheiten und der Einrichtungen jüdischen Lebens».

Vor gut einem Monat unterzeichneten alle Parteipräsidenten eine gemeinsame Stellungnahme. Antisemitismus habe in der Schweiz keinen Platz, hiess es dort: «Es ist die gemeinsame Aufgabe von Behörden, Parteien, Verbänden und allen Bürgerinnen und Bürgern, mit Zivilcourage gegen antisemitische Vorfälle vorzugehen.»

Marco Chiesa sieht Schuld bei Linken und Muslimen

Weshalb lehnen die Vertreterinnen und Vertreter der bürgerlichen Parteien in der nationalrätlichen Finanzkommission einen verstärkten Schutz der durch Antisemitismus bedrohten jüdischen Einrichtungen ab? SVP-Parteipräsident Marco Chiesa gibt auf Anfrage schriftlich keine konkrete Antwort auf diese Frage. Er verweist darauf, dass die entsprechenden Mittel bereits per Anfang 2023 von 0,5 auf 2,5 Millionen erhöht worden seien. Ausserdem liege der Schutz jüdischer Einrichtungen und dessen Finanzierung grundsätzlich in der Hoheit der Kantone.

Staenderat Marco Chiesa, SVP-TI, verfolgt die Debatte an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 19. September 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
SVP-Präsident Marco Chiesa. Bild: keystone

Antisemitismus werde auch mit dem besseren Schutz jüdischer Einrichtungen leider nicht gestoppt. Dass dieser Schutz heute überhaupt nötig ist, sei Ausdruck des zunehmenden Antisemitismus. Besonders gefährlich sei die neue Verbindung aus «linkem Schreibtisch-Antisemitismus» sowie dem importierten Antisemitismus gewaltbereiter Muslime: «Dieses Gebräu muss deutlich benannt und auch bekämpft werden», schreibt Chiesa. Einerseits an den Universitäten, bei NGOs, in den Medien, dem Kulturbetrieb oder den Parteien, andererseits mit einem Stopp der Asylmigration von jungen muslimischen Männern inklusive Familiennachzug.

Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister, dessen Fraktion am Freitag ihre Strategie für die Bundesrats- und Bundeskanzlerwahl beraten hat, reagierte nicht auf eine Anfrage der «Schweiz am Wochenende».

FDP-Parteipräsident Thierry Burkart zeigte sich auf Anfrage wenig zufrieden mit dem Stimmverhalten seiner Parteikollegen in der nationalrätlichen Finanzkommission. «Ich unterstütze den Antrag für zusätzliche 2,5 Millionen klar», schreibt Burkart. Er werde sich auch in der Fraktion dafür einsetzen. Sollte ihm die FDP-Fraktion folgen, ergäbe sich zusammen mit den Stimmen von SP, Grünen und GLP während der Budgetberatung im Nationalrat eine knappe Mehrheit.

(aargauerzeitung.ch)

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56 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ökonometriker
26.11.2023 07:39registriert Januar 2017
Verkehrte Welt im Nationalrat.
Am Ende des Tages ist der Schutz der Bürger eine Pflicht des Staates. Oder sollen wir alle zum Waffenhändler und uns selbst schützen? Dann haben wir bald US-Verhältnisse...
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Dr. Haggis
26.11.2023 11:20registriert August 2018
Der Schutz der öffentlichen Sicherheit (und damit religiöser Einrichtungen) ist in der CH eine kantonale Aufgabe. Leider versagen die Kt. bei diesen (und andern) Aufgaben zunehmend, weil sie sich gegenseitg in ruinöser Steuerkonkurrenz befinden und möglichst wenig Geld ausgeben wollen. Deshalb springt der Bund hier (und anderswo: Kitaplätze, Heimatschutz….) ein, um das kantonale Versagen aufzufangen. Ergebnis: Das Bundesdefizit steigt, die Kt. schreiben Gewinne, senken weiter ihre Steuern, auf dass sie beim nächsten Mal ihre Aufgabe nicht wahrnehmen, damit der Bund einspringt. Ein Teufelskreis
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wasps
26.11.2023 11:16registriert Januar 2022
Liest man das Zitat von Chiesa zum „Gebräu“, könnte man meinen, ein Zitat von B. Höcke vorgesetzt zu erhalten. Sehr bedenkliches Niveau.
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Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende
Der Bundesrat sollte den F-35-Kaufvertrag kündigen. Die USA sind kein verlässlicher Partner mehr.

Dieses Zitat stammt von J.D. Vance, dem Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Er sagte, dass er sich vor allem Sorgen mache, weil sich Europa von seinen demokratischen Werten verabschiede. Ein Witz, wenn man bedenkt, in welch atemberaubender Geschwindigkeit er und Donald Trump gerade versuchen, in den USA die Demokratie abzuschaffen.

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