Geld, Egos, Interessenkonflikte: Streit um Bucherer-Milliarden entbrannt
Das dürfte sich Jörg Bucherer nicht so vorgestellt haben. Der 2023 im Alter von 87 Jahren kinderlos verstorbene Luzerner Juwelier hatte in seinem Testament verfügt, dass sein Vermögen grösstenteils in eine Stiftung fliessen soll. Gefördert werden sollen Projekte in den Bereichen Musik, Kunst, Literatur, Pflege, Tourismus, Forschung und Technologie. Doch noch vor Beginn der Fördertätigkeit ist ein wüster Streit ausgebrochen. Es geht um angebliche Interessenkonflikte, angekratzte Egos und Geld. Viel Geld.
Gegen 5 Milliarden Franken stecken in der Jörg-G.-Bucherer-Stiftung – es ist eine der grössten im Land. Die Stiftung wurde mehrheitlich von Rolex alimentiert; Jörg Bucherer hatte seinen gleichnamigen Uhrenhändler kurz vor seinem Tod an den Genfer Luxusuhrenhersteller verkauft. Diese Nachfolgeregelung wurde reihum als weitsichtig gelobt.
In der Folge nahm die Stiftung Formen an. Diskret, wie man es im Bucherer-Umfeld kennt. Es drangen kaum Informationen nach aussen. Bis im August dieses Jahres die Öffentlichkeit von einem Zwist Kenntnis nahm: Der Geschäftsführer hatte nach wenigen Monaten gekündigt – und im Stiftungsrat herrschte dicke Luft. In diesem Gremium sitzen der langjährige Bucherer-Vertraute und Willensvollstrecker Urs Mühlebach als Präsident, sein Kanzleikollege und Ersatzwillensvollstrecker Sören Schwieterka sowie Jessica De Ry, Bucherers Cou-Cousine.
Die Entlöhnung steht im Mittelpunkt
Wie verschiedene Quellen sagen, soll die Machtfülle von Urs Mühlebach im Stiftungsrat bei der Familienvertreterin nicht gut angekommen sein. Sie habe sich oft übergangen gefühlt, sei über wesentliche Vorgänge nicht informiert worden. Personen, die den 78-Jährigen gut kennen, beschreiben ihn als durchsetzungsstark und selbstbewusst. «Es ist offensichtlich, dass er sehr selbstsicher auftritt und dadurch Neider hat», sagt ein Intimus. Im kleinen Stiftungsrat prallten die unterschiedlichen Charaktere aufeinander.
Das zeigt sich im Fall der Spende für die ETH Zürich: Obschon die Stiftung ihre Fördertätigkeit offiziell erst 2026 aufnimmt, hat sie im vergangenen Sommer beschlossen, der ETH über einen Zeitraum von zehn Jahren 100 Millionen Franken für ein Erdbeobachtungszentrum im Kanton Luzern zu spenden. Mühlebach und sein Kanzleikollege votierten im Stiftungsrat für diese Spende, Jessica De Ry enthielt sich.
Ein zentraler Punkt des Zwists ist aber ein anderer. Es geht um Mühlebachs Entlöhnung. Aus seinem Umfeld wird betont, er kassiere für seine Funktion als Stiftungsratspräsident keinen Rappen. Allerdings trägt er als Anwalt und Willensvollstrecker weitere Hüte. Wie dem Testament zu entnehmen ist, beträgt das Honorar für die Willensvollstreckung sowie die rechtliche Beratung und Betreuung der Stiftung 1200 Franken pro Stunde.
Vor allem aber ist Urs Mühlebach der Architekt hinter dem Verkauf von Bucherer an Rolex. Für diesen 3-Milliarden-Deal soll er laut Quellen einen tiefen, zweistelligen Millionenbetrag erhalten haben. Seine Kritiker sagen, es sei unklar, welche Beträge aus welchen Töpfen für welche Dienstleistung genau geflossen seien. Sein Sprecher sagt dazu, er kommentiere keine Spekulationen.
«Potenziell gravierende Interessenkonflikte»
Bucherers Cou-Cousine Jessica De Ry hatte irgendwann genug. Sie schaltete die renommierte Zürcher Anwaltskanzlei Homburger und die Eidgenössische Stiftungsaufsicht (ESA) ein. Der Hauptvorwurf: Urs Mühlebach soll sich als Willensvollstrecker, Anwalt und Stiftungsratspräsident in einem Interessenkonflikt befinden.
Die ESA fackelte nicht lange. Sie hat in diesen Tagen zwei unabhängige Sachwalter eingesetzt, die «das ordnungsgemässe und unabhängige Funktionieren der Stiftung» überprüfen und begleiten sollen, wie es bei der ESA heisst. Dem Handelsregister ist zu entnehmen, dass es sich dabei um zwei Anwälte der Kanzlei CMS von Erlach aus Zürich handelt; es sind Spezialisten im Bereich Erbrecht und Stiftungsrecht.
Die Einsetzung von Sachwaltern ist gemäss ESA eine aufsichtsrechtliche Massnahme, die von der ESA rund 20 bis 30 Mal pro Jahr angeordnet wird – im Verhältnis zur Zahl von rund 5500 Stiftungen, die unter der ESA-Kontrolle stehen.
Zur Begründung für die Massnahme verweist die ESA auf «Hinweise auf potenziell gravierende strukturelle und personelle Interessenkonflikte im Stiftungsrat». Ziel sei es, die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit der Stiftung zu sichern und das Vertrauen in eine korrekte Stiftungsführung zu gewährleisten.
Die staatlich eingesetzten Aufpasser werden nun also bald am Sitz der Stiftung in Meggen LU aufkreuzen, jede Handlung kontrollieren und Fragen stellen. Gemäss Verfügung ist die Massnahme zeitlich nicht begrenzt. Das bedeutet, dass alle geplanten Vorhaben hinterfragt werden – womöglich auch der Plan, Ende Jahr ein Internetportal für Vergabegesuche einzurichten. Ob dieses wirklich lanciert wird, ist derzeit offen.
Aufsicht kann Stiftungsräte absetzen
Diverse Ausgänge sind nun möglich: Die ESA kommt zum Schluss, dass es gar keine Probleme gibt, zieht die Sachwalter ab und die Stiftung kann ihre Fördertätigkeit wie geplant aufnehmen. Oder sie behebt die Probleme und zieht sich danach ebenfalls zurück. Eine dritte Variante ist, dass die ESA auf Änderungen pocht, die von einzelnen Stiftungsräten nicht akzeptiert werden. In diesem Fall kann die Aufsicht die Schraube anziehen.
Die ESA hat nämlich vorerst eine milde Herangehensweise gewählt: Die Sachwalter haben derzeit keine Entscheidungskompetenzen in Bezug auf die Fördertätigkeit oder die Vermögensanlage der Stiftung. Diese Bereiche bleiben in der alleinigen Verantwortung des Stiftungsrats. Sie verfügen auch nicht über Zeichnungsberechtigungen und führen die Stiftung nicht selbst. Das alles wäre aber gesetzlich möglich. Die ESA kann auch Stiftungsräte suspendieren oder absetzen.
Dass es so weit kommt, hofft niemand im Umfeld der Stiftung. Die Fördertätigkeit soll wenn immer möglich nächstes Jahr so aufgenommen werden, wie es sich Jörg Bucherer vorgestellt hatte. Die Uhr tickt. (aargauerzeitung.ch)
