300 Millionen aus dem Nichts – dieser Kanton wirbelt die Bundesfinanzen durcheinander
Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul – heisst es. Doch wenn der Bund plötzlich Mehreinnahmen von 600 bis 800 Millionen Franken vermeldet, ist ein genauer Blick nötig. Denn der Geldsegen aus dem Kanton Genf wirbelt die nationale Finanzplanung auf. Wir erklären, was hinter den Zahlen steckt – und welche nationalen Folgen sie haben.
Wie kam es zum Steuer-Puff?
Wegen des Kriegs in der Ukraine stiegen die Rohstoffpreise – und damit die Gewinne der Rohstoffhändler. Im Kanton Genf, wo viele global tätige Firmen in diesem Sektor angesiedelt sind, sprudelten die Steuereinnahmen. Auch der Bund profitiert davon: Er ging ursprünglich von Mehreinnahmen in der Höhe von 2,5 Milliarden Franken für die Jahre 2025 bis 2028 aus. Am Montag wurde diese Schätzung um 600 bis 800 Millionen Franken nach oben korrigiert. Der Grund: Der Bund hat erfahren, dass der Kanton Genf in den Jahren 2019 bis 2024 mehr Unternehmen als bisher angenommen keine provisorischen Steuerrechnungen ausgestellt hat. Das sei rechtswidrig, heisst es in einer Mitteilung der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Die Ausstellung provisorischer Steuerrechnungen ist für sie wichtig, um Planungssicherheit zu erhalten.
Gibt der Kanton Genf Fehler zu?
Die Genfer Finanzverwaltung anerkennt, dass die angewandte Praxis «verbesserungsfähig» ist. Sie hält jedoch fest, dass es unter bestimmten Umständen sinnvoll sei, auf die Ausstellung provisorischer Steuerrechnungen zu verzichten. Aktuell ist dies beispielsweise der Fall, wenn für eine Firma während der letzten fünf Jahre keine definitive Besteuerung erfolgte, etwa wegen hängigen Einsprachen. Dann drohe eine provisorische Steuerrechnung die Realität nicht mehr abzubilden, so die Finanzverwaltung. Sie betont: «Der Kanton Genf hat stets Transparenz gezeigt, indem er der Eidgenossenschaft kontinuierlich alle seine Prognosen zur Verfügung gestellt hat. Der vom Bund verwendete Begriff der Illegalität ist daher unangemessen.»
Was sind die kurzfristigen Folgen?
Für 2026 stehen dem Bund 290 Millionen Franken mehr zur Verfügung als gedacht. Der Bundesrat hat das Budget zwar bereits verabschiedet. Er wird darum voraussichtlich am Mittwoch eine Nachmeldung an das Parlament beschliessen. Dieses hat dadurch mehr Handlungsspielraum bei der Budgetdebatte. Insider glauben, dass nun «der grosse Basar losgeht».
Wohin mit den zusätzlichen Millionen für nächstes Jahr?
SP-Nationalrätin Sarah Wyss spricht von einer «Bewährungsprobe»: «Alle, die bisher zum Sparen aufgerufen haben, könnten nun so ehrlich sein und die beschlossenen Kürzungen wieder rückgängig machen.» Für den Abbau gebe es keine Notwendigkeit, sagt die Baslerin. Sie fordert, die gestrichenen Mittel insbesondere in der Entwicklungszusammenarbeit und im Gesundheitsbereich wieder aufzustocken. Betroffen sind zum Beispiel Gelder für die Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten.
Der Berner SVP-Nationalrat Lars Guggisberg warnt dagegen: «Wir dürfen die zeitlich begrenzten Mehreinnahmen nicht zum Anlass nehmen, um alles über den Haufen zu werfen. Das Ausgabenproblem bleibt bestehen.» Er fordert, die 290 Millionen Franken zum Schuldenabbau zu verwenden – oder damit ausserordentliche Ausgaben im Budget 2026 in den ordentlichen Haushalt zu überführen. Als Beispiel nennt er die Kosten für den Schutzstatus S von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern.
Muss die Schweiz ab 2027 weniger sparen?
Am strukturellen Defizit der Bundeskasse ändert der Genfer Geldsegen nichts. So überraschend das klingen mag: Ab 2027 muss der Bund sogar mehr sparen als erwartet. Denn die Zunahme bei den Mehreinnahmen aus Genf fällt vornehmlich 2025 (+1460 Millionen statt +900 Mio.) und 2026 (+1220 Mio. anstatt +850 Mio.) an, wobei jeweils ein Kantonsanteil von 21,2 Prozent abzuziehen ist. 2027 dürften dagegen nur noch 460 Millionen statt 550 Millionen in die Bundeskasse fliessen. 2028 beträgt der Rückgang der erwarteten Genfer Mehreinnahmen gar 200 Millionen Franken.
Wie kann das sein?
Aus Genf fliessen mehr Steuereinnahmen nach Bern, aber auch zu einem früheren Zeitpunkt als gedacht. Grund dafür ist, dass der Kanton ab sofort für alle Unternehmen provisorische Steuerrechnungen ausstellen muss. Vereinfacht gesagt werden die Steuern dadurch früher eingeholt als bisher, erklärt ein Sprecher der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Das hat Folgen für die Beratung des Entlastungspakets 27, welches das Parlament diese Wintersession in Angriff nimmt. Der Bundesrat möchte 2027 2,4 Milliarden und 2028 und 2029 drei Milliarden einsparen. Nach den Enthüllungen aus Genf müssten die Abgeordneten im Prinzip noch weitere Ausgaben im Umfang von einigen 100 Millionen Franken sparen. (aargauerzeitung.ch)
