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BVG-Reform: Frauen würden besonders profitieren

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Vorteil Frauen: Sie werden mit der Reform der Beruflichen Vorsorge bessergestellt.Bild: imago

Neue Studie zeigt: Die Frauen sind die Gewinnerinnen der Pensionskassenreform

Im Herbst steht die nächste grosse Abstimmung zur Altersvorsorge an. Die Reform der beruflichen Vorsorge ist stark umstritten. Besonders auch unter Frauen. Nun zeigt eine Studie erstmals, wie viele Frauen eine höhere Pensionskassenrente bekämen.
02.04.2024, 14:47
Doris Kleck / ch media
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Es ist eine Reform, welche die Frauen entzweit: die Berufliche Vorsorge (BVG). Im Herbst kommt die Pensionskassen-Vorlage an die Urne, weil Linke und Gewerkschaften das Referendum ergriffen haben. Besonders viel zu reden gibt das Thema im Frauendachverband Alliance F. Der Verband hat sich im Parlament für eine Reform eingesetzt mit dem Ziel, dass tiefe Einkommen und Teilzeitpensen besser abgesichert werden.

Eine Abstimmungsempfehlung hat Alliance F aber noch nicht abgegeben: Die Parole werden die Delegierten am 20. April fassen. Klar ist: die SP Frauen sind dagegen. Sie hatten zwischenzeitlich gar die Mitgliedschaft bei Alliance F sistiert wegen unterschiedlicher Auffassungen zur BVG-Reform. Die Sozialdemokratinnen finden, dass die Reform den Frauen zu wenig bringt.

Grafik Gewinner und Verlierer der BVG-Reform
Es braucht eine Erklärung.Bild: chmedia

Populär ist ein Beispiel, das SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer immer wieder bringt: Eine 50-jährige Frau mit einem Einkommen von 4500 Franken müsse mit der Reform künftig 150 Franken mehr Rentenbeiträge bezahlen, bekäme aber monatlich acht Franken weniger Rente.

Unbestritten ist: Die Reform ist komplex, es gibt verschiedenste Parameter, die verändert werden, und je nach persönlicher Situation gibt es auch Verlierer und Verliererinnen. Gegner und Befürworter greifen sich gerne jene Einzelbeispiele heraus, die ihre Argumentation stützen. Doch wie wirkt sich die BVG-Reform insgesamt für die Frauen aus? Dazu hat das volkswirtschaftliche Beratungsunternehmen BSS im Auftrag von Alliance F eine Analyse gemacht. Die Ergebnisse liegen dieser Redaktion vor.

Die Probleme der Beruflichen Vorsorge

Doch vorneweg, weshalb braucht es die Reform überhaupt? Die Berufliche Vorsorge hat ein Problem mit der Demografie. Die Pensionierten leben länger, das heisst, die versprochenen Renten müssen länger ausbezahlt werden. Zudem schwächelt wegen tieferer Renditen und instabiler Finanzmärkte der dritte Beitragszahler. Der gesetzliche Umwandlungssatz von 6,8 Prozent im obligatorischen Teil der Pensionskassen ist zu hoch und soll auf 6 Prozent gesenkt werden.

Das heisst, bei einem Altersguthaben von 100'000 Franken gibt es nur noch eine Rente von 6000 statt 6800 Franken pro Jahr. Das entspricht einer Einbusse von 12 Prozent. Um diese auszugleichen, sollen die Versicherten während ihres Arbeitslebens mehr Alterskapital ansparen. Und für jene 15 Übergangsjahrgänge, denen die Zeit vor der Pensionierung dafür nicht mehr reicht, sind Rentenzuschläge vorgesehen.

Die Reform zielt zudem darauf, die Situation der Frauen zu verbessern. Denn während in der AHV die Frauen und Männer in etwa eine gleich hohe Rente erhalten, gibt es in der beruflichen Vorsorge einen grossen Unterschied. 2022 erhielten Männer im Durchschnitt eine Pensionskassenrente von 2585 Franken pro Monat; die Frauen 1583 Franken. Grund dafür sind tiefere Löhne und tiefere Pensen.

Doch hält die Reform für die Frauen, was sie verspricht?

Wer mehr bezahlt, wer mehr bekommt

Grundlage der BSS-Studie sind Lohnstrukturerhebung sowie Interviews mit Pensionskassenexperten. Vorab ist wichtig zu wissen, dass rund 85 Prozent der Versicherten von der Reform nicht betroffen sind. Es handelt sich um all jene, die im Überobligatorium versichert sind – dort ist der Umwandlungssatz heute schon tiefer; im Durchschnitt liegt er bei 5,75 Prozent.

Die Studienautoren kommen zu folgenden Ergebnissen:

- 359 '000 Personen erhalten eine höhere Rente, der Grossteil davon sind Frauen (77 Prozent). Darunter sind viele Versicherte mit tiefen Einkommen. Für einen Teil könnte es indes ein Nullsummenspiel werden, weil die Erhöhung der BVG-Rente mit einer Kürzung der Ergänzungsleistung verbunden ist.

- 169'000 Personen werden eine tiefere Rente erhalten. Es sind Versicherte mit eher hohen Jahreseinkommen, die aber künftig trotzdem nur im BVG-Minimum versichert sind. Von Rentenkürzungen sind mehr Männer (60 Prozent) stärker als Frauen betroffen.

- Schliesslich gibt es noch eine Gruppe von Personen, die zwar im Überobligatorium versichert und nicht direkt von der Reform betroffen ist, aber dennoch Übergangszuschüsse erhalten. Unter diesen 393'000 Personen sind mehr Frauen (56 Prozent) als Männer.

Ob jemand gewinnt oder verliert, hängt im Wesentlichen von zwei Effekten ab. Die Senkung der Eintrittsschwelle sowie die Neugestaltung des Koordinationsabzugs führen dazu, dass auch tiefe Löhne und Teilzeitarbeit besser im BVG versichert werden. Das führt zu höheren Renten. Diese Änderungen helfen in der Tendenz den (teilzeitarbeitenden) Frauen stärker als den Männern. Auf der anderen Seite steht der Effekt des sinkenden Umwandlungssatzes und des reduzierten Beitragssatz ab 45 Jahren. Überwiegt dieser, sinken die Renten. Davon sind wiederum ältere Männer stärker betroffen als Frauen.

Die höheren Renten haben aber auch einen Preis. Aufgrund der Reform steigen die Pensionskassenbeiträge von etwas mehr als einer halben Million Versicherten. Gemäss BSS müssen 180'000 Männer und 340'000 Frauen sowie ihre Arbeitgeber mehr in die zweite Säule einbezahlen als heute. Umstritten ist die Frage, ob das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Betroffenen stimmt, weil die Renten aus dem BVG für Leute mit tiefen Einkommen auch mit der Reform niedrig bleiben – und sie das Geld lieber im Hier und Jetzt verwenden, als für das Alter zu sparen.

SP Frauen bleiben kritisch

SP-Nationalrätin Min Li Marti ist Mitglied des Vorstandes von Alliance F. Für sie sind die Ergebnisse der Studie wenig überraschend. «Es ist unbestritten, dass die Senkung des Koordinationsabzuges vorteilhaft ist für Frauen, die Teilzeit arbeiten», sagt Marti.

Die Reform sei aber komplex und unübersichtlich, es gebe halt auch Leute, die mehr bezahlen müssen und am Schluss weniger Rente bekommen. «Was nützt es einem Ehepaar, wenn die Rente der Frau steigt und jene des Mannes sinkt und sie am Ende gemeinsam weniger haben als heute?», fragt Min Li Marti. Für die Vertreterin der SP Frauen bei Alliance F ist die Gesamtbetrachtung entscheidend. Die Reform sei zu teuer und bringe zu wenig, auch wenn sie einräumt, dass das BVG heute teilzeitfeindlich sei.

Für die Co-Präsidentinnen von Alliance F ist aufgrund dieser Daten indes klar: Die Frauen gehören zu den Gewinnerinnen der BVG-Reform. Die Grüne-Ständerätin und Co-Präsidentin Maya Graf, sagt: «Für viele Frauen und insbesondere Teilzeitarbeitende bringt die Reform eine bessere Absicherung.» Damit werde auch die Rentenlücke verringert, sagt GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy: «Die Reform ist schlicht und einfach überfällig. Wenn hunderttausende Teilzeitangestellte eine faire 2. Säule bekommen, so ist das ein riesiger und wichtiger Schritt.»

Bertschy räumt auch ein, dass die höheren Renten im BVG dazu führen könnten, dass eine Person deswegen Anspruch auf Ergänzungsleistungen verliert. «Wir sollten aber grundsätzlich darauf hinarbeiten, dass Frauen künftig von ihrer Arbeit leben können und in der AHV wie im BVG existenzsichernde Rentenansprüche aufbauen, statt in Abhängigkeit von Ergänzungsleistungen zu bleiben.»

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58 Kommentare
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Chnebeler
02.04.2024 15:17registriert Dezember 2016
Ich werde jede BVG Reform ablehnen die zu geringeren Renten führt, solange der Koordinationsabzug nicht endlich abgeschafft wird. Wenn man geringe Einkommen besser Absichern will, macht man dies am besten, wenn bereits der erste Franken versichert ist! Und nicht der halbe Lohn von der Versicherung ausgenommen wird!

Dann sollten auch die Leistungen der AG besser harmonisiert werden. Es kann doch nicht sein, dass bei gleiche Lohn je nach AG und PK bis zur dreifachen Rente möglich sind und der AN ausser dem Stellenwechsel keinen Einfluss hat.
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