Schweiz
Energie

Abstimmungen 2024: Bundesrätin Baume-Schneider hat viel Arbeit vor sich

Bundespraesident Alain Berset, rechts, und seine Nachfolgerin Bundesraetin Elisabeth Baume-Schneider tauschen Geschenke aus, am Freitag, 22. Dezember 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Da hatte sie noch gut lachen: Kurz vor Weihnachten übernahm Elisabeth Baume-Schneider von Alain Berset den «Schlüssel» zum Departement des Innern.Bild: keystone

Das Abstimmungsjahr 2024 ist ein «Albtraum» für Baume-Schneider

Nach einer längeren «Flaute» muss das Stimmvolk 2024 über eine ganze Reihe von eidgenössischen Vorlagen befinden. Hart trifft es die neue Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider.
04.01.2024, 04:5604.01.2024, 09:07
Mehr «Schweiz»

Die Schweiz gilt als Land der vielen Volksabstimmungen. In letzter Zeit aber traf dieses Klischee auf eidgenössischer Ebene kaum noch zu. 2023 wurde nur am 18. Juni über drei Vorlagen abgestimmt: die OECD-Mindeststeuer, das Klimaschutz- und das Covid-Gesetz. Zuvor waren bereits zwei Termine mangels abstimmungsreifer Vorlagen gecancelt worden.

Nur ein Abstimmungssonntag in 18 Monaten: Das ist ungewöhnlich, lässt sich aber auch damit erklären, dass in der zweiten Hälfte eines Wahljahres in der Regel nicht über Sachthemen abgestimmt wird. Das hat zu einem «Pendenzenberg» geführt, der 2024 abgetragen werden muss. Das Stimmvolk ist gefordert, ebenso der Bundesrat.

Die neu gewaehlten Bundesraete Elisabeth Baume-Schneider SP-JU, links, und Albert Roesti, SVP-BE, freuen sich zusammen nach der Ersatzwahl in den Bundesrat durch die Vereinigte Bundesversammlung, am M ...
Albert Rösti wird neben Elisabeth Baume-Schneider die meisten Vorlagen zu vertreten haben.Bild: keystone

Zwei Mitglieder stechen dabei heraus: UVEK-Vorsteher Albert Rösti (SVP) wird bis zu drei Vorlagen vertreten müssen. Richtig schwer aber wird es für Elisabeth Baume-Schneider (SP), die gerade Alain Berset im Departement des Innern (EDI) abgelöst hat. Im Extremfall muss sie siebenmal antreten, in vier Fällen gegen die eigene linksgrüne Wählerschaft.

Im März geht es um die Rente

Von einer 100-Tage-Schonfrist kann die Jurassierin nicht einmal träumen. Schon am 3. März ist sie bei zwei delikaten Vorlagen gefordert, der Volksinitiative des Gewerkschaftsbunds für eine 13. AHV-Rente und der Initiative der Jungfreisinnigen, die das Rentenalter auf 66 Jahre erhöhen und danach an die Lebenserwartung koppeln will.

Sie wird es beim Stimmvolk schwer haben. Die Aussicht auf eine 13. AHV-Rente hingegen stösst in den ersten Umfragen sogar bei der Basis der bürgerlichen Parteien auf grossen Zuspruch. Die Genfer SVP-Kantonalsektion hat die Ja-Parole beschlossen. Und schon am nächsten Dienstag wird das Initiativkomitee seinen Abstimmungskampf eröffnen.

Es folgt die BVG-Reform

Elisabeth Baume-Schneider muss somit gleich zu Beginn ihrer Amtszeit im EDI eine heikle Gratwanderung absolvieren und die Nein-Parole von Bundesrat und Parlament vertreten. Ein ähnliches Problem hatte Albert Rösti mit dem Klimaschutz-Gesetz. Er «löste» es, indem er den Einsatz für ein Ja auf ein für die SVP verträgliches Minimum beschränkte.

Für EBS aber ist die 13. AHV-Rente nur der Anfang. Auch bei der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) muss sie gegen SP und Gewerkschaften antreten. Sie bekämpfen die komplexe Vorlage mit dem Referendum und dürften die «Rentenklau»-Kampagne von 2010 neu aufleben lassen. Die Abstimmung wird im Juni oder im September stattfinden.

Zweimal Gesundheit im Juni

Ziemlich sicher am 9. Juni wird über zwei Volksbegehren zur Gesundheitspolitik abgestimmt: die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei und die Prämienentlastungs-Initiative der SP. In der Planung der Bundeskanzlei waren sie eigentlich für den 3. März vorgesehen. Die Initiativkomitees mussten bereits ihre Texte für das Abstimmungsbüchlein einreichen.

Die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat aber bevorzugte in letzter Minute die Initiativen zur Altersvorsorge. Die Spitzen von Mitte und SP wetterten und witterten einen «Komplott». Mit der Verschiebung auf den Juni verbinde der Bundesrat die Hoffnung, der Zorn über den Anstieg der Krankenkassenprämien werde bis dann einigermassen «verraucht» sein.

VPOD bekämpft EFAS-Reform

Derartige Verzögerungs-Manöver aber haben schon in früheren Fällen nicht funktioniert, etwa bei Thomas Minders Abzocker-Initiative. Auch die SP-Initiative hat eine beträchtliche Erfolgschance, denn selbst der Mittelstand spürt die Belastung durch die stetig steigenden Krankenkassenprämien. Es ist ein weiterer heikler Fall für Baume-Schneider.

Aktivistinnen von Naturschutzorganisationen reichen in einer symbolischen, Covid-tauglichen Aktion die Unterschriften zur Biodiversitaetsinitiative und der Landschaftsinitiative bei der Bundeskanzlei  ...
Die im September 2020 eingereichte Biodiversitäts-Initiative dürfte im Juni vors Volk kommen.Bild: keystone

Und der nächste folgt sogleich: Die im Dezember verabschiedete einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen im Gesundheitswesen und in der Pflege (EFAS) wird von der Gewerkschaft VPOD bekämpft. Die Gesundheitsministerin wird besonders gefordert sein, denn die Reform wurde als grosser Durchbruch gefeiert.

«Impfpflicht» und Biodiversität

Vielleicht wird die Abstimmung erst 2025 stattfinden, denn noch eine Vorlage aus dem EDI ist abstimmungsreif: die von Corona- und Impfskeptikern lancierte Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Sie bekämpft eine imaginäre Impfpflicht und wird von Bundesrat und Parlament ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfohlen.

Albert Rösti als Chef des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) bekommt dieses Jahr ebenfalls einiges zu tun, wenn auch nicht so viel wie Kollegin Baume-Schneider. Am 9. Juni dürfte die Biodiversitäts-Initiative vors Volk kommen, auch weil ein moderater Gegenvorschlag am Widerstand der Bauern gescheitert ist.

Referendum zum Mantelerlass

Nächste Woche wird zudem das unter Führung des VCS lancierte Referendum gegen den vom Parlament beschlossenen Autobahn-Ausbau eingereicht. Die Abstimmung dürfte im Juni oder September stattfinden. Trotz einer breiten linksgrünen Gegnerschaft könnte die Vorlage laut einer watson-Umfrage angenommen werden.

Noch offen ist, ob das Referendum gegen den sogenannten Mantelerlass für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zustande kommt. Es wird «nur» von kleineren Umweltorganisationen getragen. Einzig die Fondation Franz Weber verfügt über eine gewisse Schlagkraft. Die Zeit ist knapp, denn die Referendumsfrist endet am 18. Januar.

Änderung des Mietrechts

Bundesrat Rösti hat gegenüber Baume-Schneider den Vorteil, dass er bei keiner Vorlage gegen die eigenen Leute antreten muss. Eine Nein-Parole der SVP zum Mantelerlass wäre zwar möglich, ist aber ziemlich unwahrscheinlich. Gewichtige Exponenten sehen die Vorlage kritisch, doch eine Mehrheit der Fraktion votierte in der Schlussabstimmung mit Ja.

Neben den beiden «Schwerarbeitern» ist in diesem Jahr beim heutigen Stand nur ein Bundesrat gefordert: Wirtschaftsminister Guy Parmelin muss die vom Parlament beschlossene Änderung des Mietrechts verteidigen, nachdem der Mieterinnen- und Mieterverband gegen zwei Teilaspekte das «Doppel-Referendum» gestemmt hat.

Anderes in der Pipeline

Andere Abstimmungen sind nicht absehbar. Mehrere Volksinitiativen wurden eingereicht, befinden sich aber in der Frühphase der Behandlung durch Bundesrat und Parlament. Eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes wurde vom Parlament im Grundsatz beschlossen, doch nun muss der Bundesrat erst die entsprechende Revision ausarbeiten.

Es könnte sein, dass es nach dem Abstimmungsmarathon 2024 vorerst etwas ruhiger wird. Für Elisabeth Baume-Schneider ist der Grosseinsatz auch gegen die eigenen Leute Fluch und Segen zugleich. Er könnte das Verhältnis zu ihrer Partei beschädigen, bietet aber die Chance, ihr Image als Fehlbesetzung im Bundesrat nachhaltig zu korrigieren.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Bundesratsfotos seit 1993
1 / 39
Die Bundesratsfotos seit 1993
Bundesratsfoto 2024 mit Bundespräsidentin Viola Amherd.
quelle: https://www.guntern.studio / sina guntern
Auf Facebook teilenAuf X teilen
AHV und Rente erklärt in 120 Sekunden
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
142 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
aglaf
04.01.2024 06:35registriert März 2019
Ich dachte, das EDI sei Baume-Schneiders Herzensdepartement, wofür sie das EJPD nach einem Jahr verlassen hat. Das "Albtraum"-Jahr 2024 muss ihr bekannt gewesen sein und sie hat es in Kauf genommen. Jetzt kann sie zeigen ob, und was sie drauf hat.
1542
Melden
Zum Kommentar
avatar
Fairness
04.01.2024 07:33registriert Dezember 2018
Seit zehn oder sogar zwanzig Jahren wurde Vieles aufgeschoben. Irgendwann kommt halt die Quittung. Nun kommt noch die geopolitische Lage obendrauf mit den daraus resultierenden Mehrkosten. Selber schuld. Digitalisierung usw. hätte man längst angehennkönnen. Alles wird verschlafen und verzögert. Gar nicht gut!
698
Melden
Zum Kommentar
avatar
Raketenwissenschaftler
04.01.2024 07:26registriert Januar 2023
Nein, das ist kein Alptraum, sondern eine Win Win Situation für Baume Schneider. Wenn das Volk gegen den Bundesrat stimmt, entspricht es ihrer Überzeugung, wenn der Bundesrat gewinnt hat sie auch gewonnen. Warum wird sie nur ao unterschätzt?
7213
Melden
Zum Kommentar
142
200 Franken Busse: Bundesrat will Nazisymbole in der Öffentlichkeit verbieten

Der Bundesrat will das Verwenden von Nazisymbolen in der Öffentlichkeit verbieten. Wer dagegen verstösst, soll künftig mit 200 Franken gebüsst werden. Erst in einem zweiten Schritt will der Bundesrat auch andere extremistische und gewaltverherrlichende Zeichen untersagen.

Zur Story