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Für mehr Ärztinnen und Ärzte aus der Schweiz: Der Numerus clausus fällt

Für mehr Ärztinnen und Ärzte aus der Schweiz: Der Numerus clausus fällt

Bundesrat Guy Parmelin wehrte sich zwar gegen seine Abschaffung, doch das Parlament liess nicht locker: Es will eine Alternative zum Numerus clausus für angehende Schweizer Ärztinnen und Ärzte.
23.09.2024, 22:10
Anna Wanner / ch media
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Wer heute eine Hausärztin sucht, muss je nach Wohnort warten. Viele Praxen sind überlastet und nehmen keine neuen Patientinnen auf. Tausende Hausärzte stehen kurz vor der Pensionierung, der hierzulande ausgebildete Nachwuchs wird diese Lücke in der Zukunft nicht füllen können. Die Schweiz rekrutiert darum fleissig Fachkräfte aus dem Ausland. Die zuständige Behörde des Bundes hat letztes Jahr 3364 ausländische Arztdiplome anerkannt, die Zahl steigt kontinuierlich.

Medizinstudenten der Universitaet St. Gallen HSG legen einem menschlichen Phantom eine Magensonde, aufgenommen am Donnerstag, 7. April 2022, in St. Gallen. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Medizinstudenten der Universität St. Gallen legen einem menschlichen Phantom eine Magensonde.Bild: KEYSTONE

Dieser Praxis will das Parlament nun einen Riegel schieben. Der Numerus clausus, die Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium, soll abgeschafft werden. Mit einer deutlichen Mehrheit von 32:9 Stimmen hat der Ständerat am Montagabend einem entsprechenden Antrag zugestimmt. Weil der Nationalrat bereits Ja gesagt hat, ist das Ende des Numerus clausus nun beschlossen.

An der Aufnahmeprüfung scheitern jährlich zwei von drei Personen, die Medizin studieren wollen. Die Zahlen sind eindrücklich. 2022 haben sich auf 2172 Studienplätze 6147 Personen beworben.

100 Millionen für 400 Plätze

Bundesrat Guy Parmelin erklärte, es sei besorgniserregend, dass die Schweiz zu wenige Ärzte ausbilde. Er verstehe darum das Anliegen. Trotzdem warb der Bildungsminister für die Ablehnung der Forderung und versuchte allzu grosse Hoffnungen zu dämpfen: Alleine mit der Abschaffung der Prüfung sei die Ausbildung zusätzlicher Ärztinnen und Ärzte nicht geschafft. «Die Anzahl der klinischen Studienplätze ist begrenzt, darum können nicht alle zugelassen werden, die studieren wollen», erklärte Parmelin.

Bundesrat Guy Parmelin spricht zur Kleinen Kammer, an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 12. September 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Bundesrat Guy Parmelin wollte den Numerus clausus nicht abschaffen.Bild: keystone

Unterstützt wurde er nur von Kommissionssprecher Matthias Michel: Der Zuger FDP-Ständerat argumentierte, der Bund stelle über die Bildungsbotschaft bereits zusätzlich 50 Millionen Franken für die Ausbildung von Humanmedizinern bereit. Wer den Numerus clausus abschaffen wolle, müsse sich bewusst sein: Der Bund wird weitere finanzielle Verantwortung übernehmen müssen – und das in Zeiten üppiger Sparprogramme.

Welcher Effort nötig ist, um zusätzliche Ärztinnen und Ärzte auszubilden, lässt sich am Sonderprogramm ablesen, das der Bund ab 2016 mit 100 Millionen Franken unterstützte, um die Diplome in der Humanmedizin von 900 auf gut 1300 im Jahr 2025 zu erhöhen. Das Ziel ist noch nicht erreicht, die Schweiz bildet aktuell knapp 1200 Ärztinnen und Ärzte aus. Laut Parmelin werden es 2025 tatsächlich 1300 Personen sein.

Die Gegner des Aufnahmetests liessen sich nicht beirren. Mitte-Ständerätin Marianne Maret bezeichnete die zusätzlichen Plätze als «erfreulich». «Sie reichen aber nicht.» Als Grund nannte sie auch die Teilzeitarbeit, die unter Ärzten immer verbreiteter sei. «Wir können die Verantwortung nicht aufs Ausland abschieben, die Schweiz muss die Ärzte selber ausbilden.»

Die Studienplätze vermehren sich nicht plötzlich

Doch was hat das alles mit der Art der Aufnahmeprüfung zu tun? Sehr viel, erklärte Mitte-Ständerätin Andrea Gmür. «Der Numerus clausus prüft rein kognitive Fähigkeiten, aber eine Ärztin muss auch soziale und kommunikative Kompetenzen haben, sowie über Resilienz und Belastbarkeit verfügen.» Das werde heute nicht getestet. Der Fokus soll auf jenen Studierenden liegen, die den Beruf auch ausüben wollen. Gmür verlangt «zwingend neue Massstäbe», etwa ein Praktikum, das die Eignung der Studenten prüft.

Die wiedergewaehlte Luzerner Staenderaetin, Andrea Gmuer, Mitte Partei, bei den Staenderatswahlen des Kanton Luzern im Regierungsgebaeude von Luzern anlaesslich den Eidgenoessischen Wahlen, am Sonntag ...
Andrea Gmür fordert neue Ansätze bei der Zulassung zum Medizinstudium.Bild: keystone

Auch darum findet FDP-Ständerat Hans Wicki, eine Selektion sei erst nach zwei Jahren Studium angebracht. Heute fänden allzu viele ausgebildete Ärzte ihre Work-Life-Balance nicht und würden sich trotz teurem Studium für einen anderen Beruf entscheiden. Und auch zu allfälligen Mehrausgaben des Bundes meinte er: «Konsequenterweise müssen wir Gelder sprechen. Wir müssen Prioritäten setzen.»

Bildungsminister Guy Parmelin versuchte vergebens, noch Gegensteuer zu geben: «Wir können die Auslandabhängigkeit senken, aber nicht lösen.» Weil viele Ärzte den Beruf aufgeben, seien zusätzliche Ärzte aus dem Ausland auch weiterhin nötig. «Deshalb müssen auch die Arbeitsbedingungen der Ärzte verbessert werden.»

Der Auftrag ist indes klar: Der Bundesrat muss eine Alternative zum Numerus clausus präsentieren. (aargauerzeitung.ch)

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95 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Neruda
23.09.2024 23:03registriert September 2016
«Wir können die Auslandabhängigkeit senken, aber nicht lösen.»

Was für eine richtig dümmliche Aussage 🤦

Als eines der reichsten Länder sollten wir zumindest die Ambition haben unsere Ärzte selber auszubilden und nicht von ärmeren Länder die teuer ausgebildeten Ärzte zu klauen. Und wenn ihr euch fragt, warum wir die Kohäsionsmilliarde zahlen müssen, dann genau wegen sowas. Oder warum sollten ärmere Länder unser Gesundheitssystem finanzieren?
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Marius98
23.09.2024 23:09registriert April 2023
Ich verstehe es nicht ganz. Fällt der Numerus clausus jetzt komplett weg, und jeder mit Matura kann Medizin studieren? Oder wird der Test verändert und durch Praktika ergänzt? Praktika scheinen mir jedoch nicht sehr objektiv zu sein. Eine Selektion erst nach zwei Jahren ist aus Sicht der Studierenden ebenfalls sehr ungünstig.
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Walter Sahli
23.09.2024 22:46registriert März 2014
Das Problem hört nicht bei den fehlenden klinischen Studienplätzen auf, sondern zieht sich bis zu fehlenden Weiterbildungsplätzen weiter. Man kann Oberärzt-innen nicht zumuten, dass sie plötzlich zehn Assistent-innen weiterbilden, weil alle Teilzeit arbeiten wollen. Das Problem ist ein real existierender gordischer Knoten.
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