Der Ärger über Daniel Jositsch ist in der SP gross. So gross, dass die Geschichte über die Bundesratskandidatur von Jean Studer die Runde macht.
Studer und Jositsch. Der Neuenburger Studer ist wie Jositsch Jurist, er politisierte ebenfalls im Ständerat, wollte unbedingt Bundesrat werden und fühlte sich benachteiligt gegenüber Frauen. Studer bewarb sich 2002 für die Nachfolge von Bundesrätin Ruth Dreifuss; die Parteileitung wollte nur Kandidatinnen aus der Westschweiz.
Studer hielt fest, man könne doch die Männer nicht auf Dauer von der Bundesratswahl ausschliessen. Die «Weltwoche» schrieb von einem Egotrip zur falschen Zeit: «Das einzige vernünftige Argument, das für die Bundesratskandidatur von SP-Ständerat Jean Studer spricht, ist seine persönliche Karriereplanung.»
Gewählt wurde Micheline Calmy-Rey. Studer schaffte es nicht auf das Ticket. In der SP wird diese Geschichte wieder kolportiert. Jositsch werde es ergehen wie Studer. Er werde bei der Bundesratswahl nur eine einzige Stimme bekommen – nämlich seine eigene. Nun, Studer bekam in Tat und Wahrheit deren elf.
Was natürlich auch wenig ist.
Jositsch kämpft dafür, als Mann überhaupt kandidieren zu dürfen. Zumindest zwischen den Zeilen schwingt mit, dass er besser wäre als die Frauen auf dem Kandidatenkarussell. «Die entscheidende Frage ist doch: Wer sind die Geeignetsten?», fragte er im «Tages-Anzeiger».
Wie gut ist Jositsch also wirklich? Wer sich umhört im Parlament, bekommt verschiedene Antworten.
Unbestritten ist: Jositsch ist ein brillanter Rhetoriker, analytisch stark, Floskeln seziert er in wenigen Sätzen. Mit «Bullshit» müsse ihm niemand kommen, sagt ein Ratskollege. In der Sommersession behandelte die kleine Kammer die Reform des Sexualstrafrechts, in deren Zentrum die Frage steht, ob es für Geschlechtsverkehr eine explizite Zustimmung braucht («Ja heisst Ja»).
SVP-Ständerat Werner Salzmann hielt ein längliches Votum, sprach über eine halbe Stunde. Jositsch replizierte kühl: «Nach dem juristisch ausserordentlich hochstehenden, tiefgreifenden und interessanten Votum von Kollege Salzmann bin ich nicht sicher, ob es richtig war, durch parlamentarische Umstellungen zu erreichen, dass er in die Sicherheitspolitische Kommission und nicht in die Kommission für Rechtsfragen gekommen ist.»
Peng. Zu viel «Bullshit».
Jositsch ist Rechtsprofessor an der Universität Zürich. Seine juristische Brillanz ist anerkannt. In der Rechtskommission spielt er eine wichtige Rolle. «Diese Rechtsthemen sind keine Gassenhauer», sagt eine Parteikollegin. Doch Jositsch verstehe es, auch trockene Geschichten anschaulich zu erklären.
Wer ihn mag, beschreibt Jositsch als extrem gradlinig, mutig, sich und seinen Prinzipien treu. Beim Sexualstrafrecht verficht er etwa das «Nein heisst Nein». Das ist in linken Kreisen keine populäre Position. Für Jositsch indes juristisch die einzig richtige. Wie Jositsch nun um seine Bundesratskandidatur kämpft, sei also durchaus typisch für ihn.
Doch das ist eben auch die Seite des Rechtsprofessors. Ein guter Politiker würde im Hintergrund Allianzen schmieden, in der eigenen Fraktion Unterstützung suchen, statt den Kampf für seine Kandidatur öffentlich auszufechten. Und hier setzen seine Kritiker an. Jositsch ist nicht bekannt für die politische Kleinarbeit, Allianzen zu schmieden, Überzeugungsarbeit zu leisten. «Mit dem Auftritt im Rat ist die Arbeit nicht erledigt», sagt einer, der ihn gut kennt.
Gibt es eine Reform, ein Geschäft – ausserhalb des Strafrechts –, das Jositsch massgeblich geprägt hat? Nein, heisst es allenthalben. Seine Steckenpferde sind eben das Recht. Und der Tierschutz. Letzteres sei auch das einzige Themengebiet, wo Jositsch emotional werde. Wo der Rechtsprofessor zum Politiker wird.
Dabei hat Jositsch durchaus ein gutes Standing im Ständerat und auch in der Fraktion. Als Gruppenchef der SP in der kleinen Kammer gehört er zum Leitungsgremium seiner Partei. Und hier agiert er als Teamplayer. Überliess seinem Genfer Kollegen Carlo Sommaruga etwa das Präsidium der Rechtskommission, weil dieser sonst bei der Vergabe der attraktiven Kommissionsposten übergangen wurde.
Und er ging auch nicht auf die Barrikade, als er Elisabeth Baume-Schneider den Vortritt für die Ständeratspräsidentinnen-Laufbahn überlassen musste. Vielleicht, weil er damals noch vom Bundesrat träumte. (aargauerzeitung.ch)