Schweiz
Gesellschaft & Politik

Abstimmungen: Darum drohen den bürgerlichen Parteien weitere Schlappen

Erhebliche Differenzen: Thierry Burkart, Gerhard Pfister, Marcel Dettling.
Erhebliche Differenzen: Thierry Burkart, Gerhard Pfister, Marcel Dettling.bilder: sandra ardizzone, severin bigler

Nach der Abstimmungspleite: Den Bürgerlichen drohen weitere Schlappen

Sie erreichen zusammen eine Mehrheit der Schweizer Wählerinnen und Wähler – aber SVP, FDP und Mitte stürzen bei wichtigen Volksabstimmungen immer wieder ab. Daran wird sich in nächster Zeit kaum etwas ändern.
26.11.2024, 06:11
Francesco Benini / ch media
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Sie kamen bei den Wahlen von 2023 zusammen auf einen Wähleranteil von 56,3 Prozent. Und sie haben bereits zum dritten Mal in diesem Jahr eine wichtige Abstimmung verloren. Das Nein der Stimmberechtigten zur Erweiterung der Autobahnen ist eine weitere Schlappe für die Bürgerlichen nach dem Ja zur 13. AHV-Rente und der abgestürzten Reform der beruflichen Vorsorge. Warum bringen SVP, FDP und Mitte ihre Projekte nicht durch? Was muss sich ändern, damit sich die Serie von Rückschlägen nicht fortsetzt?

Die Präsidenten der drei Parteien sind sich einig, dass die Kampagne unter der Führung des Gewerbeverbandes allzu brav war. Der vormalige Direktor Hans-Ulrich Bigler spitzte politische Botschaften gerne zu und schlug zuweilen gar aggressive Töne an. Nun leitete der neue Direktor Urs Furrer eine Kampagne, die aufregend war wie lauwarmer Kamillentee. Das offensichtliche Ziel war es, niemanden vor den Kopf zu stossen. Damit verpassten es die Befürworter aber, die eigenen Sympathisanten aufzurütteln.

Urs Furrer, Direktor Schweizerischer Gewerbeverband sgv, reagiert, beim Treffpunkt des Komitees "Ja zur Sicherung der Nationalstrassen" und "Bund fuer mehr Wohnraum", am Sonntag, 2 ...
Urs Furrer, neuer Direktor des Gewerbeverbands.Bild: keystone

SVP-Präsident Marcel Dettling sagt, dass die Anweisungen der Kampagnenleitung manchmal zu wenig klar gewesen oder zu spät erfolgt seien. «Es wurde zu wenig gepusht.» Dettling will aber nicht den Stab brechen über dem Gewerbeverband – bei nächster Gelegenheit werde er es sicher besser machen.

Gerhard Pfister hält sich auffallend zurück

Die drei Präsidenten der bürgerlichen Parteien waren selbst nicht besonders präsent im Abstimmungskampf. Vor allem Gerhard Pfister hielt sich zurück; am Ende lehnten viele Wählerinnen und Wähler der Mitte den Ausbau der Autobahnen ab. In der SVP und der FDP argwöhnen Politiker: Gerhard Pfister wolle Bundesrat werden, wenn Viola Amherd abtrete – und er setze in der Bundesversammlung auf die Stimmen von Mitte-Links. Darum achte er darauf, dass er es sich mit dem rot-grünen Lager nicht verscherze.

Gerhard Pfister entgegnet: «Von den vier Vorlagen, über die das Schweizer Stimmvolk am letzten Sonntag entschieden hat, stand für das Parteipräsidium der Mitte klar die Gesundheitsreform im Zentrum. Dafür haben wir uns als Partei vor allem engagiert.»

Gerhard Pfister, Praesident Die Mitte Schweiz und Nationalrat (ZG), spricht waehrend der Delegiertenversammlung der Mitte-Partei am Samstag, 25. Mai 2024, in Arbedo, Tessin. (KEYSTONE/Ti-Press/ Maria  ...
Engagierte sich vor allem für die Gesundheitsreform: Gerhard Pfister.Bild: keystone

Selbstkritisch in Bezug auf den Abstimmungskampf ist FDP-Präsident Thierry Burkart. Die linke Kampagnen-Maschinerie sei auf einem Top-Niveau, was Aktivitäten in den sozialen Medien und die Verwendung von Daten anbelange. Auch wenn die FDP-Basis im Gegensatz zu den anderen bürgerlichen Parteien sehr geschlossen gewesen sei, habe die FDP da einiges aufzuholen, um künftig stärker zu mobilisieren.

Eine laue Kampagne, mangelhafter Einsatz der Hauptexponenten – und Marcel Dettling spricht das Thema an, mit dem die SVP die anderen Parteien vor sich herzutreiben versucht: «Wenn man die Personenfreizügigkeit mit der EU weiter behandelt wie einen heiligen Gral, drohen den Bürgerlichen weitere Abstimmungsschlappen.»

Nach Ansicht Dettlings ist der Absturz der Autobahn-Vorlage unter anderem damit zu erklären, dass die Stimmbevölkerung ein Zeichen habe setzen wollen gegen die allzu hohe Zuwanderung. Die Schweizerinnen und Schweizer seien nicht grundsätzlich gegen einen Ausbau der Infrastruktur. Aber zuerst solle die Politik endlich dafür sorgen, dass die Zuwanderung in die Schweiz auf ein vernünftiges Mass reduziert werde.

Gerhard Pfister verwies in der Abstimmungssendung des Schweizer Fernsehens darauf, dass Dettlings Wohnkanton Schwyz als konservativ und zuwanderungskritisch gelte – und der Erweiterung der Autobahnen klar zugestimmt habe. Es sei darum nicht evident, dass die Analyse der SVP zutreffe.

Thierry Burkart stellt derweil fest, dass es in der Schweiz eine zunehmende «Wachstumsskepsis» gebe: Das Land habe einen hohen Wohlstand erreicht. Weiten Kreisen sei es nicht bewusst, dass die Schweiz auf Wirtschaftswachstum angewiesen sei, wenn das so bleiben solle. Voraussetzung dafür seien Investition in die Bildung und die Infrastruktur und weniger Bürokratie im Wohnungsbau.

Video: watson/Emanuella Kälin

Sowohl die FDP als auch die Mitte haben die hohe Zuwanderung in den vergangenen Monaten zum Thema gemacht: Die Freisinnigen fordern härtere Massnahmen im Asylbereich. Thierry Burkart ruft ausserdem nach einer griffigen Schutzklausel gegen eine hohe Zuwanderung im neuen Vertragspaket mit der EU.

Mitte-Präsident Gerhard Pfister pocht ebenso auf die Schutzklausel und will sie zur Not auch ohne Zustimmung der Europäischen Union konkretisieren.

Wachstumsskepsis auf der linken und der rechten Seite

Es ist also nicht so, dass FDP und Mitte der hohen Zuwanderung keine Beachtung schenken. Der SVP ist das aber zu wenig. Sie tut alles, um sich mit der Volksinitiative gegen die 10-Millionen-Schweiz zu profilieren. Marcel Dettling sagt: «Die Ansprüche der Wirtschaft über alles andere zu stellen, das geht nicht mehr. Es braucht ein Umdenken.»

Burkart sieht damit seinen Befund der Wachstumsskepsis bestätigt, und zwar nicht nur im urbanen Raum, wo sich vieles um verlangsamten Verkehr und subventioniertes Wohnen dreht. Auch die SVP findet, dass sich die Wirtschaft gegebenenfalls einschränken müsse – selbst wenn das zulasten des Wachstums geht.

Für die bürgerliche Zusammenarbeit verheisst das nichts Gutes. Die SVP pocht auf die Zuwanderungsbeschränkung. FDP und Mitte sind nicht grundsätzlich dagegen, wollen aber einen Bruch in den Beziehungen zur EU vermeiden. Und die wachstumskritischen Töne von links und rechts klingen befremdlich für viele Freisinnige und Mitte-Politiker.

Kommt hinzu, dass eine bevorstehende Bundesratsersatzwahl das Verhältnis unter den drei Parteien belastet. Beobachter in Bundesbern meinen: Ein stärkeres bürgerliches Bündnis sei erst wieder möglich, wenn das Stimmvolk über die Zuwanderungs-Initiative der SVP befunden habe – und die Nachfolge von Viola Amherd in der Landesregierung geregelt sei. Bis dann sei mit weiteren bürgerlichen Abstimmungspleiten zu rechnen. (aargauerzeitung.ch)

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169 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hadock50
26.11.2024 06:20registriert Juli 2020
Die FDP ist im BR übervertreten!
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Weltbürger
26.11.2024 06:57registriert März 2019
Die fdp hat also das gefühl, flüchtlinge verstopfen mit ihren autos die autobahn...
Meine güte müssen diese tabletten reinhauen.
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allesistmöglich
26.11.2024 06:21registriert Oktober 2024
Die Wirtschaft kann nicht unendlich weiterwachsen. Unser Wohlstand ist an einem Punkt, wo dies vielen Menschen in unserem Land inzwischen klar geworden ist. Der gute Thierry kann das einsehen oder weiterhin gekonnt ignorieren. Die Quittung erhält er ja gerade.
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