Der Reiseleiter ist kein unbeschriebenes Blatt: Toni Locher gilt als engster Schweizer Verbündeter der eritreischen Militärdiktatur. 2002 verlieh ihm der Aussenminister des nordostafrikanischen Landes den Titel eines Honorarkonsuls. Im Lauf der nächsten zwei Wochen begleitet der Wettinger Frauenarzt mehrere Schweizer Politiker auf ihrer Reise durch Eritrea.
Mit von Partie sind die grüne Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli, SP-Nationalrätin Yvonne Feri, CVP-Nationalrat und Ex-Post-Präsident Claude Béglé sowie SVP-Nationalrat und Ex-Bundesratskandidat Thomas Aeschi. Die Politiker halten sich unterschiedlich lang in Eritrea auf. Ihr Ziel ist laut der «NZZ am Sonntag» aber dasselbe: Sie wollen sich ein eigenes Bild über den Staat machen, aus dem 2015 mit knapp 10'000 Gesuchen die meisten Asylanträge kamen.
Was einleuchtend klingt, stösst bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe auf wenig Begeisterung. «Diese Reise ist etwa so glaubwürdig, wie wenn die nordkoreanische Botschaft eine Reise nach Pjöngjang organisieren würde», sagt Sprecher Stefan Frey auf Anfrage der «Nordwestschweiz». Es erstaune ihn, dass sich die Politiker «auf ein solches Spiel einlassen». Toni Locher sei «seit Jahrzehnten als notorischer und fanatischer Anhänger des eritreischen Regimes bekannt», die Reise eine «reine Propagandaaktion».
Dass sich die Teilnehmer ein Bild von der Situation vor Ort machen wollen, hält Frey für wenig zielführend: «Es ist nicht die Aufgabe von einzelnen Parlamentariern und anderen Würdenträgern, die Menschenrechtslage in Eritrea zu beurteilen.» Dafür brauche es unabhängige Quellen und wiederholte unangemeldete Besuche – all das lasse das Regime bekanntlich nicht zu.
Tatsächlich gibt es wenig erhärtete Informationen über die Menschenrechtslage in Eritrea. Wie gravierend die Situation für die Menschen ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Während Honorarkonsul Locher eritreische Migranten als «VIP-Flüchtlinge» bezeichnet, die ihr Land nur aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, schreibt das Staatssekretariat für Migration, dass gerade Deserteuren im Fall einer Rückkehr «drakonische, willkürliche Strafen für den ‹Verrat an der Nation›» drohten. «Personen, welche die Regierung kritisieren, werden meist ohne Verfahren inhaftiert.»
SP-Nationalrätin Feri will sich die Reise dennoch nicht ausreden lassen: «Ich bin mir bewusst, dass Herr Locher die Positionen der eritreischen Regierung vertritt und dass wir keine Missstände zu sehen bekommen werden. Aber ich werde zumindest einen Eindruck des eritreischen Alltags erhalten.» Nur weil sie im Parlament sitze, müsse sie sich Reisen ins Ausland nicht verbieten lassen. Feris Abflugtermin ist in knapp einer Woche.
Susanne Hochulis Sprecher Balz Bruder betont auf Anfrage, die Reise der Regierungsrätin sei privater Natur und erfolge auf eigene Kosten. Hochuli sei bereits am Freitag nach Eritrea aufgebrochen, und sie wisse, in welcher Beziehung Locher zum eritreischen Regime stehe. Er habe sich ihr anerboten, einige seiner Hilfsprojekte zu zeigen. «Dass es sich um eine Propagandaaktion handelt, muss ich vehement zurückweisen. Frau Hochuli hält sich nicht auf Einladung des Regimes in Eritrea auf», so Bruder.
SVP-Nationalrat Aeschi sagt, er habe zwar einige Male mit Locher telefoniert. Aber er reise heute Montag auf eigene Faust in die eritreische Hauptstadt Asmara. Von Lochers Reisegruppe habe er zufällig erfahren. Sein Ziel sei es, sich über den Militärdienst in Eritrea zu informieren, der gemäss seinen Informationen «auch in Hotelrezeptionen geleistet werden kann». Er werde fotografieren, Videos drehen, Interviews machen und versuchen, mit Regierungsvertretern in Kontakt zu treten.
Voraussichtlich am nächsten Sonntag kommt es in Asmara zu einem Gipfeltreffen aller Schweizer Politiker in Eritrea – darunter auch CVP-Nationalrat Béglé, der gestern nicht erreichbar war.