Schweiz
Gesellschaft & Politik

Initiativen zu Abtreibung in der Schweiz: Köpfe dahinter machen sich rar

Wie radikale Schweizer Abtreibungsgegner Politikerinnen vor den Wagen spannen

Im Dezember haben Abtreibungsgegnerinnen zwei Initiativen lanciert, die das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz weiter einschränken sollen. Die Köpfe hinter den beiden Initiativen machen sich rar - und schicken Politikerinnen vor. Warum?
28.06.2022, 05:2028.06.2022, 07:46
Chiara Stäheli, Anna Wanner / ch media
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Der Streit um den Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen ist mit dem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten auch in der Schweiz neu entfacht. Und er reisst Gräben durch Parteien.

ZUR KOMMENDEN ABSTIMMUNG UEBER DIE INITIATIVE ZUR ABTREIBUNGSFINANZIERUNG STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES NEUES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG --- 
[ACHTUNG REDAKTIONEN: GESTELLTE AUFNAHME - SYMBOLBILD.] Di ...
In der Schweiz werden jährlich etwas mehr als 10'000 Schwangerschaften abgebrochen.Bild: KEYSTONE

Während Abtreibungsgegnerinnen wie die beiden SVP-Nationalrätinnen Yvette Estermann und Andrea Geissbühler Unterschriften für zwei Initiativen sammeln und damit die Zahl der Abtreibungen senken wollen, zeigen sich Parteikollegen skeptisch gegenüber zusätzlichen Einschränkungen bei Schwangerschaftsabbrüchen.

So sagt etwa SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi im «SonnTalk» von Tele Züri, er sei der Meinung, «dass die aktuell in der Schweiz geltende Fristenlösung gut funktioniert». Diese ermöglicht Frauen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche eine legale Abtreibung. Die Kosten werden von der Grundversicherung übernommen.

Ebenfalls vehement gegen die beiden Initiativen äussert sich die kürzlich neu gewählte Präsidentin der SVP Stadt Zürich, Camilla Lothe. Sie findet gar, dass Abtreibungen aus dem Strafgesetz gestrichen werden müssen. Es sei «nicht akzeptabel, dass Frauen für diese ganz persönliche, schwierige Entscheidung angeprangert» würden, so Lothe.

Nationalraetin Yvette Estermann, SVP-LU, spricht waehrend der ausserordentlichen Debatte ueber die "Mo. Fraktion V. Keine Kandidatur f
Yvette Estermann, SVP-Nationalrätin aus dem Kanton Luzern.Bild: keystone

Mindestens ein Tag Bedenkzeit vor der Abtreibung

Von der Kritik aus der eigenen Partei lässt sich Yvette Estermann nicht beirren. Sie wundert sich auch nicht, dass Abtreibungen derart viele Emotionen wecken. Die Luzernerin ist überzeugt: «Jedes Leben, das gerettet werden kann, ist die ganzen Mühen, das Unterschriftensammeln wert.» Oder anders formuliert: Jede Frau, die von einer Abtreibung abgehalten werden kann, ist ein Erfolg. Dazu beitragen sollen die beiden im vergangenen Dezember lancierten Volksinitiativen.

Mit der «Einmal-darüber-schlafen-Initiative» soll im Gesetz festgeschrieben werden, dass Ärztinnen und Ärzte schwangeren Frauen vor einer Abtreibung mindestens einen Tag Bedenkzeit geben müssen.

Die zweite Initiative sieht vor, dass keine Abtreibungen erfolgen dürfen, wenn das Baby zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs ausserhalb des Mutterleibs überlebensfähig wäre. Sie richtet sich also gegen die Praxis der Spätabtreibungen, die in der Schweiz schon jetzt nur dann erlaubt sind, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist. Die Unterschriften für die beiden Initiativen werden «aus Synergiegründen» gemeinsam gesammelt. Die Frist läuft noch bis Mitte Juni 2023.

Tabu-Bruch Abtreibung – so fühlt es sich an abzutreiben

Video: watson/lea bloch

Wer ist Urheber der Initiative?

So weit, so gut. Wären da nicht die Unklarheiten über die Urheber der Initiative. Denn weder Estermann - Co-Präsidentin der Spätabtreibung-Initiative - noch Andrea Geissbühler - Co-Präsidentin der Bedenkzeit-Initiative - waren an der Ausarbeitung der Initiativtexte beteiligt, wie sie auf Anfrage bestätigen. Beide Nationalrätinnen wurden von David Trachsel, Präsident der Jungen SVP Schweiz, mit der fixfertig ausgearbeiteten Initiative kontaktiert und für das Co-Präsidium angefragt.

Trachsel wiederum will auf Anfrage nicht sagen, wer die Initiative inhaltlich konzipiert hat. Da sei er zu keiner Auskunft verpflichtet. Tatsächlich dürfte die Idee zur Lancierung der beiden Volksinitiativen von einer Stiftung kommen, die für ihre radikal ablehnende Haltung gegenüber Abtreibungen bekannt ist. So führt die Spendenanschrift für die beiden Initiativen zum Verein Mamma, deren Präsident Dominik Müggler ein altbekannter Abtreibungsgegner ist.

Der Baselbieter hat bereits 2002 erfolglos gegen die Einführung der Fristenregelung gekämpft und sitzt auch jetzt wieder in beiden Initiativkomitees. Müggler bestätigt auf Anfrage, dass sein Verein «am Zustandekommen der Initiativen interessiert» sei und deshalb die Unterschriftensammlung unterstütze.

Der Verein lehnt Abtreibungen per se ab, wie seiner Website zu entnehmen ist. Dort heisst es etwa, eine Abtreibung sei eine «menschenunwürdige Handlung» und ein «Gräuel». Diese Haltung hat dem Verein in der Vergangenheit mehrfach Kritik eingebracht.

Im Kern dürfte es den Urhebern also vor allem darum gehen, ihre radikale Gesinnung zu vernebeln. Denn es würde den Abstimmungskampf der Befürworter sicherlich erschweren, wenn ihre Anliegen als Vorhaben radikaler Abtreibungsgegner daherkommen, die eigentlich die Fristenlösung abschaffen wollen. (aargauerzeitung.ch)

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347 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ribosom
28.06.2022 06:18registriert März 2019
Wir Frauen sind mündige Bürger. Warum gibt es immer wieder Individuen, die uns bevormunden wollen?
Egal aus welchen Gründen eine Frau ihr Kind abtreiben möchte, sie soll das legal und sicher tun können. Dafür bezahle ich auch gerne Krankenkassenprämien.
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MRDL
28.06.2022 06:28registriert August 2020
«...dass Ärztinnen und Ärzte schwangeren Frauen vor einer Abtreibung mindestens einen Tag Bedenkzeit geben müssen.»
Als würden Frauen diesen Entscheid einfach so fällen; und selbst wenn - es ist verd....mal ihr Körper!

«Trachsel wiederum will auf Anfrage nicht sagen, wer die Initiative inhaltlich konzipiert hat.»
Was für ein Volksvertreter! Hoffentlich erhält er bei den nächsten Wahlen die Quittung, genau wie Estermann und Geissbühler. Sollen sie doch daheim im Privaten ihre mittelalterlichen Vorstellungen ausleben.
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MasterJ
28.06.2022 06:07registriert Mai 2021
Ich bin für ein Verbot von Initiativen die nicht klar aufzeigen von wem und welchen Vereinen es entstammt. Ich bin absolut der festen Überzeugung dass es denen gar nicht um das ach so heilige leben geht. Denn es sind genau die Kreise welche sich aufregen wenn Ausländer mehr als 3 Kinder zur Welt bringen. Es sind genau die Kreise die Gegen Verhütungsmethoden sind jedoch wollen das Afrikaner, Inder und Chinesen sterilisiert werden. Genau diese Kreise in denen sich Dominik Müggler herumtreibt sollten eigentlich Verboten werden wegen extremistischem Gedankengut!
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