Fast hatte es so ausgesehen, als hätten Markus Ritter und sein mächtiger Bauernverband ausnahmsweise mal verloren, als würde eine Umweltvorschrift gegen ihren Willen eingeführt. Fast! Im Fahrwasser der Trinkwasserinitiative hatte der Bundesrat im April 2022 eine Umweltvorschrift beschlossen – gegen den Willen des Bauernverbandes. Der Entscheid war definitiv, eigentlich.
Und eigentlich sollte die Massnahme auch schon in Kraft sein, viele Landwirte haben sich längst darauf eingestellt. Doch die Einführung wurde zunächst verschoben, und am Dienstag könnte der Ständerat die Vorschrift ganz versenken. Damit würde, so sagen die Kritiker, ein Versprechen gebrochen, das dem Volk vor drei Jahren im Abstimmungskampf gemacht wurde. «Das ist eine Lüge», nervt sich Mitte-Nationalrat und Bauernverbandspräsident Markus Ritter.
Die Wogen gehen hoch bei der Frage, wie viel Bauern und Bäuerinnen für die Artenvielfalt tun müssen. Der Bundesrat wollte, dass sie auf mindestens 3,5 Prozent der Ackerflächen sogenannte Biodiversitätsförderflächen anlegen. Im Ackerbaugebiet bestehen laut Bund Defizite bei der Biodiversität.
Der Bauernverband stellte sich von Beginn an gegen die Einführung der 3,5-Prozent-Vorschrift. Er kritisiert, die Massnahme nütze nicht viel und reduziere die Produktion. Ritter sagt: «Auf dieser Fläche produzieren wir Weizen für Brot, das für eine Million Menschen ein Jahr lang reicht.» Bereits heute importiere die Schweiz mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel, weniger dürfe es nun wirklich nicht werden.
Der Bundesrat hingegen erklärte, die Auswirkungen auf die Produktion dürften gering sein. Auf rund 60 Prozent der Ackerflächen würden heute Futtermittel produziert, rief er in Erinnerung.
Im Parlament löste die 3,5-Prozent-Vorschrift ein Stakkato an Vorstössen von Mitte- und SVP-Politikern aus, die SVP drohte kurzfristig gar mit einer Volksinitiative. Das Parlament stellte sich zunächst auf die Seite des Bundesrats, einzig um die konkrete Umsetzung wurde gerungen. Es roch also nach einer Niederlage für den Bauernverband.
Doch letzten Herbst drehte der Wind: Zunächst verschob das Parlament die Einführung, danach sprach sich der Nationalrat dafür aus, die Massnahme ganz zu versenken. «Die Protestaktionen der jungen Bauern in diesem Frühjahr haben bei manchen Westschweizer Mitte- und FDP-Nationalräten zum Umdenken geführt», sagt Ritter.
Nun entscheidet der Ständerat am Dienstag definitiv, und alles deutet darauf hin, dass er die Massnahme versenkt.
Brisant ist der Entscheid mit Blick auf die Vorgeschichte, so sagen es zumindest Kritiker. 2021 ging es – höchst emotional – um die Trinkwasserinitiative. Das Parlament zimmerte dazu einen inoffiziellen Gegenvorschlag. Darin war die 3,5-Prozent-Vorschrift zwar nicht enthalten. Der Bundesrat gab aber vor der Abstimmung bekannt, wie er den Gegenvorschlag umsetzen wollte – und die 3,5-Prozent-Vorschrift war eine der geplanten Massnahmen.
Deshalb sprechen linke Politiker und Umweltverbände von einem Versprechen, das gebrochen werde. Ritter hat dafür kein Gehör. Die 3,5-Prozent-Vorschrift habe nichts mit dem inoffiziellen Gegenvorschlag zu tun, sagt er: «Den Vorwurf, es werde ein Versprechen gebrochen, weise ich vehement zurück.» Im Übrigen machten die Bauern und Bäuerinnen schon sehr viel für die Biodiversität, 19 Prozent des Kulturlandes sind bereits ökologische Ausgleichsflächen. Vorgeschrieben wären 7 Prozent. «Irgendwann ist genug.»
Auch die Landwirtschaftsdirektorenkonferenz wäre nicht traurig, wenn die 3,5-Prozent-Vorschrift nicht durchkäme: «Das wäre dann ein Beitrag zur administrativen Vereinfachung der Agrarpolitik», erklärt Generalsekretär Roger Bisig.
Auf der anderen Seite stehen unter anderem Umweltverbände – und auch ein Teil der Bauern. Bio Suisse und IP Suisse, die zusammen über 25'000 Bauern vertreten, sprachen sich öffentlich für die 3,5-Prozent-Vorschrift aus. Auch die Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz hielt kürzlich fest, im «Sinne einer verlässlichen, planbaren und glaubwürdigen Politik» solle die Massnahme eingeführt werden.
Marcel Liner, Landwirtschaftsexperte von Pro Natura, warnt vor einem Eigentor für die Bauern: «Es ist im Interesse der Landwirtschaft, mehr für die Biodiversität zu tun. Gerade im Ackerbau können so Nützlinge gefördert werden, was im Kampf gegen Schädlinge hilft.»
Die Debatte liefert einen Vorgeschmack auf den Abstimmungskampf zur Biodiversitätsinitiative, die im Herbst an die Urne kommt. Die Gegner sind bereits in den Startlöchern. An vorderster Front mit dabei: der Bauernverband.
Jetzt reichts!
Es kann einfach nicht sein, dass die grössten Subventionsempfänger der Schweiz gleichzeitig den grössten Lobbyverband im Bundeshaus stellen.
Die Zeit des gut Zuredens ist vorbei.
Offensichtlich ist den Bauern Biodiversität egal.
Wer zahlt befiehlt - bitte danach handeln.
Wie war das?
„ Säge nicht an dem Ast, auf dem du sitzt", war die Abstimmung- Kampagne der SVP.
Genau das, was sie ständig tun: systematisch und zielstrebig die Natur zerstören, aus der wir uns nähren sollten und zu der wir nachhaltig Sorge tragen sollten
Man kann ja einfach an den Flächen für Tierfutter abbauen - Tierfutter für Tiere, die dann geschlachtet werden, und schlussendlich bei Migros oder Coop im Abfall landen. Produziert wird eh zu viel, der Konsument ist eh zu wählerisch, und wenn es der Biodiversität schlecht geht, wird es irgendwann auch einmal uns treffen. Die Frage nach der Priorisierung sollte sich demnach hier gar nicht stellen, wenn man ein bisschen rational und zukunftsorientiert denkt (denken kann).