Irgendwann am Wochenende reichte es Hannes Germann, und er griff in die Tasten. Seit fast auf den Tag genau 22 Jahren vertritt er den Kanton Schaffhausen im Ständerat, unangefochten. Germann hat sich den Ruf eines Konsenspolitikers erarbeitet – was bedeutet, dass er auch mal von der Parteilinie abweicht. In diesem Fall aber sah sich Germann im Recht gegenüber seiner SVP: «Unglaubwürdig» mache man sich so, schrieb er.
Zankapfel ist eine Krankenkassenvorlage. Mit einer einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen im Bereich der Akutversorgung – kurz Efas – will das Parlament die Kosten im Gesundheitswesen neu verteilen. Bei stationären Eingriffen zahlen Krankenkassen lediglich 45 Prozent der Kosten, den Rest berappen die Kantone. Ambulante Behandlungen hingegen müssen Krankenkassen voll übernehmen – womit für sie Anreize bestehen, Patienten möglichst stationär zu behandeln.
Unter dem Druck der Kantone packte das Parlament noch die Kosten für die Alterspflege in das Paket, an welchen sich die Kantone bislang mit rund 46 Prozent beteiligten. Neu soll ein allgemeiner Kostenschlüssel von 73 zulasten der Versicherer und 27 Prozent zulasten der Kantone für alle Leistungen gelten. Dagegen hat der Vpod das Referendum eingereicht. Die Gewerkschaft befürchtet höhere Prämien und negative Folgen für das Personal.
In der SVP verfing diese Argumentation kaum. Mit klarer Zweidrittelmehrheit hat die Fraktion ihre Zustimmung in der Schlussabstimmung Ende 2023 kundgetan. Noch deutlicher war das Resultat im Ständerat: Alle sieben SVP-Vertreter stimmten mit Ja. Doch nun arbeiten Kräfte daran, die grösste Partei in der Frage zu kehren. In einem Mail wurde den Fraktionsmitgliedern am Wochenende beschieden, sie sollen sich doch bitte in Zurückhaltung üben und sich nicht bereits in Ja-Komitees engagieren.
Die Fraktion sei geteilt gewesen in der Frage, und überhaupt führe die Integration der Langzeitpflege «zu einem massiven Prämienschub von jährlich mehreren Milliarden Franken», heisst es darin. Man solle zuerst die Delegiertenversammlung der SVP Schweiz abwarten, bevor man seine Meinung öffentlich kundtäte.
Das brüskierte viele. Germann etwa, der seinem Ärger per Mail Luft verschaffte. Oder die Thurgauer Nationalrätin Diana Gutjahr. «Irritierend» findet sie es, dass so mit der klar vorherrschenden Fraktionsmeinung umgegangen wird. «Ich habe bereits lange zugesagt. Ausserdem habe ich auch bereits mehrfach öffentlich Stellung bezogen.»
Recherchen zeigen: Hinter dem Vorgehen steckt Fraktionspräsident Thomas Aeschi, ein erklärter Gegner der Efas-Vorlage. SVP-Stabschef Franz Grüter bestätigt auf Anfrage, dass Aeschi in der Parteileitung interveniert und damit einen Komitee-Stopp in der Fraktion bewirkt hat. Aeschi war es auch, der postwendend und ausgedehnt auf Germanns Mail antwortete – und wiederum die ganze Fraktion adressierte.
Kommentieren will er diese Partei-Interna nicht. Stattdessen verweist er auf die Statuten der SVP Schweiz, wonach die Delegiertenversammlung für die Parolenfassung zuständig ist. «Diese findet am 12. Oktober in Aarau statt. Bis dahin sollten sich Parteimitglieder mit Positionsbezügen in Abstimmungskomitees zurückhalten.»
In der Fraktion weckt das ungute Erinnerungen an den letzten Abstimmungssonntag, als die Schweiz über das Stromgesetz zu befinden hatte. Auch zu diesem hatte die SVP in der Schlussabstimmung grossmehrheitlich zugesagt. Plötzlich aber schwenkte die Parteileitung auf einen Nein-Kurs um und fuhr eine Kampagne gegen den eigenen Bundesrat Albert Rösti. Bis zuletzt gab die Partei ein gespaltenes Bild ab. «Es ist so dumm, dass man diesen Fehler nun bei erster Gelegenheit wiederholt», sagt ein Fraktionsmitglied.
Der zweite Zwist innert kurzer Zeit ist kein Zufall. Vor einem Jahr ist die SVP als Siegerin der Wahlen hervorgegangen. Die Fraktion wuchs um neun Mitglieder. Inzwischen gibt es eine Gruppe, die abseits klassischer SVP-Themen wie Migration oder Neutralität einen progressiveren Weg beschreiten will.
Jüngere Fraktionsmitglieder wie etwa Martina Bircher, Nina Fehr-Düsel, Christian Imark oder eben Gutjahr haben sich schon der offiziellen Partei-Doktrin widersetzt, nicht zuletzt mit Beihilfe von Ständeräten wie Germann oder Jakob Stark. «Es gibt ein Bestreben in der Partei, in Sozialthemen nicht immer in die Oppositionsrolle zu rutschen», sagt ein Fraktionsmitglied, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Die Zurückhaltung ist verständlich. Noch vielen ist im Gedächtnis, wie etwa einst Diana Gutjahr sich öffentlich gegen die Begrenzungsinitiative der Partei stemmte. Und prompt mit dem Entzug ihres Sitzes in der einflussreichen Wirtschaftskommission abgestraft wurde.
In der Efas-Diskussion gehe es der Parteileitung auch darum, jüngere Fraktionsmitglieder einzuschüchtern, unken einige in der SVP. Bereits würden für die Delegiertenversammlung die offiziellen Votanten für und gegen die Vorlage bestimmt. «Wer jetzt zu sehr aufmuckt, kriegt einen Maulkorb verpasst», heisst es. Es wird spannend zu beobachten sein, wer sich aus der Deckung wagt. Den Anfang hat Hannes Germann gemacht.