2018 wird nicht als Jahr der elegantesten politischen Debatten in die Geschichte eingehen. Im Gegenteil. Statt argumentiert wird beleidigt, statt Kompromisse gibt es verhärtete Fronten.
Als kleines Gegenmittel lancierten verschiedene Schweizer Medien «Schweiz spricht»: Rund 1500 Menschen trafen sich am Sonntag, um ihre Bubble zu durchbrechen und mit Personen zu diskutieren, mit denen sie nicht gleicher Meinung sind.
Doch wie verhindert man in einem Gespräch mit gegenteiligen Meinungen die Frontalkollision? Wie meistern Menschen, die täglich harte verbale Fights austragen, dieses Problem? Menschen, deren Beruf es ist, zu debattieren, zu schlichten und zu überzeugen?
Wir haben solche Kommunikationsprofis angefragt, uns ihre drei wertvollsten Tipps zu verraten. Ihr Antworten sind überraschend unterschiedlich.
Laura Zimmermann
Laura Zimmermann ist Co-Präsidentin der Operation Libero SchweizBild: KEYSTONE
Diskutiere am Küchentisch im Interesse der Erkenntnis: Willst du nichts lernen, musst du auch nicht diskutieren.
Debattiere höflich, präzis und mit Inhalt.
Zu denken, Eskalation sei per se schlecht, wäre aber falsch: Politik wie Beziehungen brauchen eine gesunde Streitkultur. Wenn du streitest, dann aber mit Lust und Humor.
«Die Schweiz spricht»
Bei der Aktion «Die Schweiz spricht» geht es darum, Andersdenkende zu einem Vier-Augen-Gespräch zueinanderzuführen. Die Aktion wurde gemeinsam von watson, «Zeit», «SRF», «Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung», «Le Matin Dimanche», «24heures», «Tribune de Genève», «Republik» und «WOZ» lanciert. Jeder Teilnehmer beantwortete im Vorfeld sechs politische Sachfragen mit «Ja» oder «Nein». Danach wurden möglichst entgegengesetzte Paare gebildet, die sich am Sonntag, 21. Oktober trafen, um miteinander zu diskutieren.
Klaus Heer
Klaus Heer ist studierter Psychologe, Buchautor, Radiomoderator und Paar- und Familientherapeut. bild: cortis & sonderegger
Die Idee «man muss reden miteinander» ist naiv und falsch. Gespräche scheitern nicht, weil man zu wenig kommuniziert. Im Gegenteil: Sie eskalieren, weil niemand da ist, der hören will, was gesagt wird.
Wenn ich mit einem Lebenspartner zusammenlebe, bin ich automatisch eine Zumutung für den anderen. Ich muss unbedingt wissen und verstehen, inwiefern ich schwierig bin für ihn. Ich werde vollends unerträglich, wenn ich mich dauernd verteidige und rechtfertige.
Zuhören heisst nicht nur das Maul halten, wenn sich der andere über mich beklagt. Das genügt nicht. Ich muss unbedingt die Not hören, die hinter den Klagen des Partners liegt. Es sind immer Klagen, keine Anklagen.
Pierre Monnard
Pierre Monnard ist Regisseur. Unter anderem von «Wilder».bild: pierre monnard
Sei ein Zen-Zuhörer. Oft wollen die Leute gar keine Antwort von dir, sondern einfach jemanden, der ihnen zuhört. Also, Klappe halten und zuhören, bis dein Gegenüber erschöpft ist. Die Person wird sich danach besser fühlen, dich sympathisch finden und vor allem: sehr oft von alleine eine Antwort gefunden haben.
Mach einen Witz über dich selber. Falls die Diskussion mal hitziger wird, hilft oft eine gute Prise Selbstironie.
Aufschreiben statt streiten. Durchatmen, nach Hause gehen und die eigenen Argumente schriftlich festhalten. Das ordnet die Gedanken und beruhigt das Gemüt.
Rita Famos
Rita Famos ist Abteilungsleiterin Spezialseelsorge der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons ZürichBild: KEYSTONE
Sachlichkeit bewahren: Herausschälen, um welche Differenzen es sich im Kern handelt.
Allen Beteiligten zunächst ein unparteiliches Gehör schenken: Was ist Deine Sicht der Dinge?
Ein moderiertes Gespräch initiieren, das eine faire Debatte ermöglicht. Hier scheint es mir wichtig, dass die Exponenten erst einmal begreifen, was das Anliegen des Anderen ist.
Mathias Müller
Mathias Müller ist Kommandant der Rekrutierung und Oberst im Generalstab der Schweizer Armee bild: admin
Zuhören und versuchen zu verstehen: Bevor ich mich über eine Gegenposition ärgere, sollte ich versuchen, die Sichtweise des Gegenübers einzunehmen. Dabei geht es darum, die Überlegungen und vor allem die guten Absichten des anderen zu erkennen. Damit ich meinem Gegenüber die Anerkennung seiner Sichtweise bestätigen kann, muss ich zu allererst einmal zuhören und mich ernsthaft für dessen Überlegungen interessieren. Nicht selten entdeckt man Gemeinsamkeiten mit der eigenen Position oder vielleicht gar Lücken bei den eigenen Überlegungen.
Stoisch bleiben: Emotionen gehören zum Menschen und lassen sich nicht einfach abstellen. Aus diesem Grund muss ich lernen, meine Emotionen mindestens zu kontrollieren. Wer von uns hat nicht schon Handlungen oder Aussagen bereut, welche er unter dem Einfluss von Ärger, Wut, Angst oder anderen Emotionen gemacht hat? Ein einfaches Mittel seine Emotionen zu kontrollieren, ist sich zu fragen, ob die jetzige Situation in einem Jahr noch von Bedeutung ist. Gleichzeitig muss ich mich um anständige und ruhige Kommunikation bemühen, unabhängig davon, wie ausfällig mein Gegenüber ist. Unbedachte Sprache wirkt als Brandbeschleuniger.
Denken: Bevor ein militärischer Funker eine Meldung absetzt befolgt er folgende Regel: «Denken, drücken, schlucken, sprechen». Auch bei Alltagssituationen würde es uns gut anstehen, wenn wir anfangen würden etwas mehr zu denken bevor wir sprechen. Manch ein Missverständnis könnte so vermieden werden. Wir sollten uns sowieso mehr Zeit zur Selbstreflexion nehmen: Unser Tun und unsere Überzeugungen sollten wir regelmässig kritisch hinterfragen. Wir sollten lernen eigene Fehler einzugestehen und die Grösse haben, uns wenn nötig zu entschuldigen. Und vor allem: Nehmen wir uns selber nicht zu wichtig! Egal welche Position wir bekleiden, schlussendlich sind wir nur ein Sandkorn in der Geschichte (und es lohnt sich nicht, unser zeitlich beschränktes Leben mit Konflikten zu vergeuden).
PS: Statt zu mailen, sollten wir miteinander sprechen. Idealerweise face to face. Dies würde zu bedeutend weniger lang andauernden Konflikten führen.
Jonas Projer
Jonas Projer ist «Arena»-Moderator und beim Schweizer Fernsehenbild: Gian Vaitl
Erinnern beider Seiten an die zahlreichen Werte und Positionen, die sie teilen: «Da überall sind Sie sich einig, das alles ist Ihnen beiden gleichermassen wichtig.»
Ermahnen beider Seiten, nicht die Motive, sondern nur die Position des Gegenübers zu hinterfragen: «Keiner hier will die Schweiz auflösen – Sie sind sich nur uneinig, was das Beste für die Schweiz ist.»
Ermöglichen, dass beide Seiten das Gesicht wahren können – und Störungen in der Kommunikation beheben: «Hier war Ihr Gegenüber vielleicht nicht ganz präzis – aber sein Anliegen ist ja, dass …»
Auch deeskalativ: Unser «Wein doch».
Video: watson/Emily Engkent
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Die beliebtesten Kommentare
Uroly
23.10.2018 15:31registriert Juli 2016
Also besonders auf 20Minuten finde ich die Diskussionskultur super toll...
Die Vorschläge sind gar nicht so unterschiedlich, nur die Formulierungen. Nicht nur reden, sondern auch hinhören. Verständnis zeigen, nicht im Sinne von ' du armer Tropf" sondern von "ach so meinst du das". Manchmal muss man sich auch einfach darüber einig werden, dass man nicht einer Meinung ist. Habe genau so ein Gespräch heute noch vor mir... Mit einer 10jährigen, die abends immer besser weiss wenn sie ins Bett muss...😂
Was heutzutage vielen fehlt ist die Fähigkeit etwas einfach mal im Raum stehen zu lassen und nur den eigenen Standpunkt darzustellen, ohne sein Gegenüber als minderwertig hinzustellen.
Da wird lieber einfach mal blind drauf herumgehackt um das eigene Ego zu bauchpinseln.