Am letzten Tag im März, es ist Donnerstagabend, wird der Chef der Nationalen Impfkommission, Christoph Berger, entführt. Wo genau, ist bis heute nicht bekannt. Berger wird noch am selben Abend wieder freigelassen, wie der Tagesanzeiger schreibt. Berger nimmt gemäss eigenen Angaben unmittelbar nach der Entführung Kontakt mit der Kantonspolizei Zürich auf.
Sechs Tage nach dem Vorfall fährt die Kantonspolizei Zürich zum Zwicky-Areal nach Wallisellen. Dort will sie einen 38-jährigen Deutschen verhaften. Er steht im Verdacht, Berger mit vorgehaltener Waffe entführt zu haben. Im Wissen, dass der Mann bewaffnet sein könnte, stehen auch Spezialisten der Interventionseinheit Diamant in Wallisellen im Einsatz.
Als die Einsatzkräfte am 6. April kurz vor 20 Uhr vor der Wohnüberbauung zur Verhaftung schreiten, gerät die Situation ausser Kontrolle. Der deutsche Staatsbürger eröffnet gemäss Polizeiangabe «unvermittelt» das Feuer. Dabei soll die Begleiterin des deutschen – eine 28-jährige Schweizerin – tödlich getroffen worden sein. Die Einsatzkräfte erwidern darauf das Feuer und treffen den deutschen Mann tödlich.
Trotz Rettungsmassnahmen sterben beide noch vor Ort, schreibt die Kantonspolizei Zürich in einer Medienmitteilung vom 8. April 2022.
Der mutmassliche Entführer war davor im Zusammenhang mit Gewaltdelikten der Polizei nicht bekannt.
Am Abend des 8. Aprils 2022 veröffentlicht der Tagesanzeiger, der zum Tamedia-Konzern gehört, seine Recherche zum Entführungsfall. Bei dem Opfer der Entführung soll es sich um Christoph Berger, Chef der Eidgenössischen Impfkomission (Ekif), gehandelt haben. Dem Bericht zufolge sei der mutmassliche Täter ein «Waffennarr» mit Verbindung zur Corona-Skeptischer-Szene gewesen. Auch watson berichtet über den Fall.
Noch am selben Abend erreicht eine an die Tamedia adressierte superprovisorische gerichtliche Anordnung die Redaktion, die es ihr untersagt, den Namen des Opfers zu nennen.
Begründet wird der Schritt gemäss superprovisorischer Verfügung unter anderem wie folgt:
Der Tagesanzeiger leistet der superprovisorischen Verfügung als adressierte und unterlegene Partei Folge. Bergers PR-Berater Urs Grob verschickt die superprovisorische Verfügung an alle anderen Medien, die mittlerweile Bergers Namen nennen und fordert die Anonymisierung.
Da die entsprechende superprovisorische Verfügung für watson keine Gültigkeit hatte und die Entführung des Präsidenten der Nationalen Impfkommission ungeachtet der Umstände von öffentlichem Interesse ist, lässt watson den Namen des nationalen Impfchefs stehen. Am Samstag verzichtet dann auch die NZZ wieder auf die Anonymisierung.
Christoph Berger reagiert am Nachmittag mit einer persönlichen Erklärung. Er gibt sich als Opfer der Entführung zu erkennen. Der ihm unbekannte Täter habe ihn rund eine Stunde lang in seiner Gewalt gehabt und ihn mit einer Geldforderung konfrontiert.
Er selbst habe nicht den Eindruck gehabt, dass die Entführung im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehe. Dem Täter sei es ums Geld gegangen. Zu seinem Amt habe er keine Aussagen gemacht.
Sein ganzes Statement im Wortlaut:
Am Montagmorgen publiziert SRF eine weitere Recherche zum Fall, die auf mögliche finanzielle Problem des Deutschen hinweisen. «SRF Investigativ» stellt ausserdem infrage, ob es sich beim Entführer tatsächlich um einen Impfskeptiker gehandelt habe.
Da sein Geschäftspartner an Corona-Demonstrationen teilnahm und Verschwörungs-Videos teilt, lag der Verdacht nahe, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei, schreibt SRF. 2020 gründete der 38-Jährige gemeinsam mit seinem Geschäftspartner eine App, die Nachbarschaftshilfen anbietet. Mindestens bei der Arbeit soll der Deutsche die Massnahmen eingehalten haben, so SRF.
Finanziell soll es ihm nicht gut gelaufen sein. Dies zeigen auch die Recherchen von Tamedia. Die beiden Geschäftspartner mussten hohe Kredite aufnehmen, um die App zu finanzieren.
Der Schweizer Geschäftspartner ist ein Vertreter der Flat-Earth-Verschwörungstheorie und machte dies in einem Interview auch schon öffentlich. Der Mann wurde im Zusammenhang mit dem Entführungsfall verhaftet und sitzt in Gewahrsam. Dem 34-Jährigen wird Beteiligung an Freiheitsberaubung, Entführung und versuchter Erpressung vorgeworfen, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mitteilte.
Offen bleibt die Frage, ob es sich bei Christoph Berger tatsächlich um ein Zufallsopfer gehandelt hat. (cst)