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Krankenkasse: 1,1 Millionen Versicherte haben bereits gewechselt

Krankenkasse: 1,1 Millionen Versicherte haben bereits gewechselt

Das Karussell dreht sich weiter: Im Herbst dürften erneut sehr viele Versicherte die Kasse wechseln. Denn die Preissensitivität ist in Bezug auf die Prämien deutlich gestiegen, wie eine neue Analyse zeigt.
23.05.2023, 14:57
Florence Vuichard / ch media
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THEMENBILD ZU DEN KRANKENKASSENPRAEMIEN --- [Symbolic Image] Different Swiss health insurance cards, photographed in Zurich, Switzerland, on September 9, 2019. (KEYSTONE/Christian Beutler)..[Symbolbil ...
Schöne bunte Krankenkassenwelt: Die Höhe der Prämie bestimmt die Wahl.Bild: keystone

Es ist der zweithöchste Wert überhaupt und der höchste seit 2010: Ganze 12.8 Prozent der Versicherten haben per Anfang 2023 die Krankenkasse gewechselt. Das entspricht rund 1.1 Millionen Personen. Besonders wechselfreudig zeigten sich dabei die jungen Erwachsenen, das heisst die Gruppe der 26- bis 34-Jährigen, die Westschweizer, wo die Prämienlast ohnehin grösser ist, und die Gutverdiener. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die im Auftrag des Beratungsunternehmens Accenture durchgeführt wurde und CH Media vorliegt.

Der Anteil jener, welche noch nie ihre Krankenkasse gewechselt haben, liegt mittlerweile bei 30 Prozent, wie aus der Umfrage hervorgeht. Und er dürfte weiter schrumpfen. Denn gut 50 Prozent der Befragten geben an, dass sie in diesem Jahr die Prämien vergleichen wollen. «Da auch in diesem Herbst mit spürbaren Prämienaufschlägen zu rechnen ist, dürfte es auch wieder überdurchschnittlich viel Bewegung geben», sagt Studienautor und Accenture-Gesundheitsspezialist Marcel Thom.

Nachholbedarf hebt die Prämien zusätzlich

Auf eine genaue Zahl will sich Thom beim Prämienaufschlag derzeit noch nicht festlegen. Er dürfte aber höher liegen als das langjährige Mittel von plus 3 Prozent. Denn es gebe nebst dem regulären Kostenanstieg auch einen «Nachholbedarf». Grundsätzlich sollten die Prämien im Gleichschritt mit den Kosten steigen, doch in den vergangenen Jahren haben sie das nicht getan. Während die Kosten zwischen 2020 und 2022 um 7.4 Prozent gestiegen sind, wurden die Prämien im gleichen Zeitraum um «nur» 5.9 Prozent erhöht, wie Thom ausführt. Die Differenz von 1.5 Prozentpunkten müsse geschlossen werden.

Krankenkassenexperte Marcel Thom.
Marcel Thom, Gesundheitsexperte bei Accenture.Bild: zvg

Der absehbare Prämienschub treibt das Karussell weiter an. Denn für rund 80 Prozent der Befragten ist die Höhe der Prämie das Hauptentscheidungsmerkmal für den Kassenwechsel. Andere Aspekte sind sekundär. Die festgestellte Zunahme beim Prämien-Kriterium erklärt Thom vor allem mit dem jüngsten, vergleichsweise hohen Prämiensprung von durchschnittlich 6.6 Prozent. «Die Preissensitivität hat zugenommen.» Viele Menschen hätten verstanden, dass sie hier ohne wirkliche Leistungseinbussen Geld sparen können.

Kassenwechsel per Mausklick

Und es dürften noch mehr werden. Sollte die Prämie per Anfang 2024 um 20 Franken pro Monat steigen, ziehen gemäss Umfrage 29 Prozent der Versicherten einen Wechsel in Betracht. Bei einem Aufschlag von 30 Franken oder mehr sind es dann schon 67 Prozent. Hinderungsgründe, die gegen einen Krankenkassenwechsel sprechen, sind gemäss Umfrage die Zufriedenheit mit dem aktuellen Anbieter oder der befürchtete administrative Aufwand. Doch der ist letztlich gar nicht sehr gross. Knapp zwei Drittel der Versicherten wechseln ihre Grundversicherung per Mausklick, über die Homepage des neuen Anbieters oder über einen Online-Vergleichsdienst.

Der rege Krankenkassenwechsel führt zu einer Zunahme beim Splitting, weil sich die Zusatzversicherung aufgrund von Vorerkrankungen oder Mehrjahresverträgen nicht so einfach zügeln lässt wie die Grundversicherung. Gemäss Umfrage beziehen heute bereits 22 Prozent der Versicherten ihre Grund- und Zusatzversicherung von zwei verschiedenen Kassen. Der Trend zum Splitting wird aber auch von neuen Angeboten wie etwa der Axa-Gruppe befeuert, die nur Zusatzversicherungen anbietet und für ihre Kundschaft die Grundversicherung optimiert - sprich: dorthin verlegt, wo die Prämie am günstigsten ist.

Letztlich gilt im aktuellen Marktumfeld, wie Thom es ausdrückt: «Preis über alles». Und das obwohl sich die hiesige Bevölkerung stark mit ihrer Gesundheit auseinandersetzt und diese auch etwas kosten lässt. 76 Prozent geben in der Accenture-Umfrage an, «aktiv» in ihre Gesundheit zu investieren, 54 Prozent äussern dafür gar eine hohe Zahlungsbereitschaft. «Schweizerinnen und Schweizer sind Gesundheitsfreaks», sagt Thom.

Die Versicherer werden nicht als Partner gesehen

Die Menschen in der Schweiz haben also eine hohe Gesundheitssensitivität und gleichzeitig ein hohes Kostenbewusstsein bei der Kassenwahl. Was vielleicht auf den ersten Blick widersprüchlich wirken mag, löst sich schnell auf: Denn nur gerade 18 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Kassen für ihre Gesundheit mitverantwortlich sind.

Ein vernichtender Wert, bedenkt man, dass sich die Krankenversicherer mit teuren Spots und Kampagnen seit Jahren darum bemühen, sich als Gesundheitspartner ihrer Kunden zu positionieren. Letztlich bleiben sie eine Zahlstelle. Verantwortlich für ihre Gesundheit sind gemäss den Befragten in erster Linie sie selbst, dann die Ärzte und weitere Gesundheitsfachpersonen oder auch die Familie und Freunde.

Die Krankenkassen sind aber nicht die Einzigen, die von der Bevölkerung schlechte Noten erhalten. Nur gerade 39 Prozent der Befragten geben an, dass beim Schweizer Gesundheitssystem die Patienten oder Patientinnen im Mittelpunkt stehen. Thom ortet hier «noch viel Luft nach oben». Umso mehr als sich die Schweiz nach den USA das zweitteuerste Gesundheitswesen der Welt leiste, das jährlich Kosten von mehr als 90 Milliarden Franken verursacht.

Grosses Verbesserungspotenzial sehen die Befragten bei der Koordination zwischen den Ärzten und Spitälern. Nur 43 Prozent sind der Meinung, dass diese derzeit gut funktioniere. Das Elektronische Patientendossier (EPD), das hier Abhilfe bieten könnte, lässt noch immer auf sich warten. «In Sachen Digitalisierung kommt die Schweiz im Gesundheitswesen nicht wirklich vom Fleck», sagt Thom. «Und das, obwohl die Bevölkerung sich mehr Digitalisierung wünscht.» (aargauerzeitung.ch)

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