Die Haushalte im Umkreis von 50 Kilometern rund um die Schweizer Kernkraftwerke erhalten in den nächsten Wochen neue Jodtabletten. Diese sollen im Falle eines schweren Kernkraftwerk-Unfalls eingenommen werden. Was bringen sie?
Kaliumiodid-Tabletten enthalten grosse Mengen an nicht-radioaktivem Jod. Das Jod aus der Tablette wird von der Schilddrüse aufgenommen. Dadurch hat die Schilddrüse keine Kapazität mehr, radioaktives Jod aufzunehmen und die Schilddrüse ist «blockiert». Das danach eingeatmete oder mit der Nahrung verschluckte radioaktive Jod wird von ihr nicht mehr aufgenommen. Auf diese Weise schützt die Tablette vor Schilddrüsenkrebs, denn wenn radioaktives Jod in die Schilddrüse gelangt, bestrahlt es sie von innen und kann sie so schädigen. Dies kann zu Schilddrüsenkrebs führen.
Rechtzeitig eingenommen, schützen Jodtabletten die Schilddrüse wirksam vor der Aufnahme von radioaktivem Jod. Die positive Wirkung wurde durch Nachuntersuchungen des Reaktorunfalls von Tschernobyl im Jahr 1986 bestätigt. In Polen wurden damals 10,5 Millionen Kinder und 7 Millionen Erwachsene mit Jod behandelt. Bei den behandelten Personen gab es keinen Anstieg der Schilddrüsenkrebshäufigkeit. In Belarus hingegen – wo keine Jodblockade durchgeführt wurde – ist nach Tschernobyl der Schilddrüsenkrebs bei Kindern, der sonst extrem selten vorkommt, hundertmal häufiger aufgetreten.
Jodtabletten schützen den Körper allerdings nicht vor direkter radioaktiver Strahlung oder der schädlichen Wirkung anderer radioaktiver Stoffe. Neben Jod wird bei einem Reaktorunfall beispielsweise radioaktives Cäsium freigesetzt, das zu Herzschäden führt und sich während Jahrzehnten in verschiedenen weiteren Organen anreichern kann. Dazu kommen weitere radioaktive Substanzen wie Strontium, das in die Knochen eingebaut wird, Plutonium und Americium.
Im Ernstfall müssen Kinder ab zwei Monaten und Erwachsene die Tabletten täglich einnehmen.
Zu viel Jod im Körper kann eine Jodvergiftung verursachen, die sich in Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel und Hautausschlägen äussern kann. Einige Menschen können auch allergisch auf Jod reagieren, was zu Symptomen wie Hautausschlag, Juckreiz und Atembeschwerden führen kann. Ein dauerhafter Jodüberschuss kann zu einer Schilddrüsenüberfunktion führen. Laut Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) sind die Nebenwirkungen jedoch selten und in der Regel harmlos.
Wie frühere Atomunfälle gezeigt haben, führt radioaktives Jod vor allem bei jungen Menschen zu Schilddrüsenkrebs. Das Risiko, Schilddrüsenkrebs zu entwickeln, nimmt mit zunehmendem Alter stark ab. Mögliche Nebenwirkungen von Jodtabletten erhalten dadurch gemäss BAG mehr Gewicht. Gleichzeitig erhöht sich im Alter auch das Risiko von schweren Nebenwirkungen, zum Beispiel für eine durch Jod ausgelöste Schilddrüsenüberfunktion.
Bei der Einnahme von Jodtabletten spielt der richtige Zeitpunkt eine grosse Rolle: Werden die Tabletten zu früh geschluckt, wird das nicht-radioaktive Jod ausgeschieden, bevor es überhaupt gebraucht wird. Werden die Tabletten hingegen zu spät eingenommen, kann sich radioaktives Jod in der Schilddrüse anreichern, bevor die Jodblockade funktioniert. Sie dürfen deswegen nur auf Anordnung der Behörden eingenommen werden.
Ausserhalb des 50-Kilometer-Bereichs um die Schweizer Kernkraftwerke bleibt laut BAG im Notfall mehr Zeit, um die Bevölkerung mit den Jodtabletten versorgen zu können. Da sorgen die Kantone für eine geeignete Lagerung. (rbu/sda)