Punkt 15 Uhr und nach nur zweimal klingeln erscheint Franziska Quadris Gesicht auf dem Computerscreen. Sie grüsst mit einem Lächeln. Sie wirkt erholt, ihr Gesicht ist braun gebrannt. Das war nicht immer so. Die heute 44-Jährige ist Tetraplegikerin. Vor elf Jahren brach sich Quadri bei einem Unfall mit dem Gleitschirm mehrere Halswirbel.
Seither ist sie vom Hals an abwärts gelähmt. Rund um die Uhr ist sie auf fremde Hilfe angewiesen. Einzig ihren Kopf kann sie noch bewegen und damit den Spezialsteuerknüppel des Rollstuhls, Handy und Computer bedienen. Neben den körperlichen Einschränkungen plagen Quadri schwere neuropathische Schmerzen und spastische Krämpfe.
Seit Wochen sitzt Quadri auf der Insel Teneriffa fest. Eigentlich hätte sie Anfang April zurück in die Schweiz fliegen wollen. Doch wegen der Coronakrise verzögert sich ihre Rückkehr auf unbestimmte Zeit. Seit einigen Jahren tauscht sie in den Wintermonaten ihre Wohnung im Zürcher Wipkingen gegen eine Ferienwohnung in Spanien. Der kalte und wechselhafte Schweizer Winter verschlimmert ihre Schmerzen. Die milderen Temperaturen auf Teneriffa machen ihr das Leben etwas leichter. Vor allem aber kommt Quadri in Spanien legal an ihre Medikamente. In dieser Hinsicht erweist sich die Coronakrise für sie als Glücksfall.
Das Einzige, was Quadri wirklich gegen die Krämpfe und Schmerzen hilft, ist Cannabis. Und das in hohen Dosen. Ungefähr 300 Gramm Gras braucht sie pro Monat – in Form von Cannabis-Öl oder Joints, Kostenpunkt: Zwischen 1500 und 1800 Euro (in Spanien und dank guten Beziehungen). Sie schmunzelt: «Die Dosis ist hoch, jemand anders würde danach wohl einige Tage durchschlafen.» Doch für sie kommt mit dem Kiffen kein Rausch, kein Dämmerzustand. Zehn Minuten nachdem sie einen Joint geraucht hat, entspannen sich ihre Muskeln, die Schmerzen lassen nach. Quadri kann wieder «normal» funktionieren.
Auf Teneriffa holt sie sich das Gras in sogenannten «Social Clubs». Die Clubs sind nichtkommerzielle Vereine, die den professionellen Anbau und Vertrieb von Cannabis ermöglichen. Wer Mitglied und volljährig ist, kann so das Cannabis legal für den Eigenkonsum beziehen.
In der Schweiz ist Cannabis ein verbotenes Betäubungsmittel. Wer den Stoff zu medizinischen Zwecken braucht, muss über eine Ärztin oder einen Arzt eine Ausnahmebewilligung beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) beantragen. Die Nachfrage nach Behandlungen mit Cannabis ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Schätzungen des BAG zufolge therapieren sich 100'000 Menschen in der Schweiz mit Cannabis. Es sind Patienten mit Multipler Sklerose (MS), Epilepsie, Krebs oder Querschnittlähmungen. Wirkstoffe wie CBD und THC lösen Krämpfe und lindern Schmerzen. Im Jahr 2018 hat das BAG fast 3000 Ausnahmebewilligungen erteilt. Diese Zahl zeigt: Nur ein Bruchteil der chronisch Kranken therapiert sich auf legalem Weg.
Auch Quadri erwog, das Gras legal zu beziehen. Doch eine in der Schweiz zugelassene Cannabistinktur, ist für sie nicht nur viel zu schwach dosiert, sondern enorm teuer. Der Wirkstoff eines Fläschchens für 550 Franken würde für knapp einen Tag reichen. Die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist freiwillig. Quadri hätte selbst bezahlen müssen. «Solch hohe Kosten kann sich kaum jemand leisten. Das sind Fantasiepreise und nicht mit denen auf dem Schwarzmarkt zu vergleichen», sagt die Tetraplegikerin. Vielen Patientinnen geht es ähnlich wie Quadri. Sie besorgen sich, was sie brauchen, auf dem Schwarzmarkt, ohne Kontrolle über die Qualität und die Inhaltsstoffe des Cannabis.
In den Sommermonaten, wenn sie in der Schweiz weilt, muss sich Quadri das Gras auf illegalem Weg besorgen. Häufig sind es ihre Eltern, die ihr dann die Joints drehen. Auch das kann Quadri nicht selbst. Ans Aufgeben gedacht habe sie nie. «Nach elf Jahren habe ich mich an das Leben im Rollstuhl gewöhnt», so die 44-Jährige. Sie hat sich arrangiert, sich ihre Hilfe selbst organisiert. Zwei persönliche Assistentinnen, die Spitex und ihre Eltern kümmern sich um sie.
Das Cannabis hilft Quadri nicht nur gegen ihre Schmerzen. Es wurde auch zu ihrer Berufung. Die lange und mühsame Suche nach den richtigen Medikamenten hat sie zur Expertin gemacht. Seit 2015 ist Quadri Präsidentin des Medical Cannabis Verein. Dort kämpft sie für eine Legalisierung des medizinischen Cannabis, für anständige Preise und für eine bessere Ausbildung der Ärzteschaft.
Aktuell treibt Quadri vor allem eine Sorge um: «Die Coronakrise hat die Situation verschärft, immer mehr Leute berichten mir von miserabler Cannabisqualität oder gestrecktem Stoff, der auf dem Schwarzmarkt zirkuliert.»
Das Forensische Institut bestätigte im April Quadris Sorgen. Seit Anfang 2020 wurde im Kanton vermehrt Hanf sichergestellt, der mit synthetischen Cannabinoiden versetzt wurde. Ob die Coronakrise den Zustand noch zusätzlich verschärft habe, sei schwierig zu sagen, sagt Domenic Schnoz. Er arbeitet als Stellenleiter bei der Suchtprävention im Kanton Zürich. Möglich sei es aber, so Schnoz: «Durch die Coronakrise ist es schwieriger geworden, an illegale Substanzen zu kommen. Die Nachfrage bleibt aber vermutlich gleich hoch. Da ist es natürlich gut möglich, dass die Versuchung für einige Dealer hoch war, den Hanf mit synthetischen Cannabinoiden zu besprühen und zu verkaufen.»
Für Menschen mit medizinischen Problemen kann das verunreinigte Cannabis lebensgefährlich werden. «Wir gehen dieses Risiko ein, weil wir keine andere Alternative haben», sagt Quadri. Für eine komplette Legalisierung spricht sie sich nur mit sinnvoller Regulierung aus. Und auch als Wunderheilmittel will sie Cannabis nicht gelten lassen. «Bei einem Drittel aller Patienten, die an chronischen Schmerzen leiden, kann Cannabis helfen. Das sind viele, aber nicht alle.» Könnte Quadri wählen, würde sie sich Cannabis-Clubs nach dem spanischen Modell in der Schweiz wünschen. «Das wäre mein Traum: eine gute Beratung, Cannabis zu fairen Preisen und vor allem vollkommen legal.»
Doch wünschen kann Quadri nicht. Sie muss warten. Und die Mühlen der hiesigen Politik mahlen langsam. Aktuell wird eine Gesetzesänderung diskutiert, die den Zugang zu Medizinalcannabis erleichtern soll. Sodass es keine Sonderbewilligung des BAG mehr braucht. Bis es so weit ist, wird es noch mindestens zwei bis drei Jahre dauern. Wie teuer die Medikamente werden und ob die Krankenkassen die Kosten übernehmen, ist derzeit noch unklar.
Aber auch hier denkt Quadri nicht ans Aufgeben. Ja, manchmal sei es frustrierend. «Aber das ist nun mal jetzt mein Job», sagt sie und blickt ernst in die Kamera. Noch kämpft sie in Spanien für ihr Anliegen. Doch sobald die Flugzeuge wieder fliegen, will sie zurück nach Zürich.
Da muss der Alkohol, der für viele soziale, persönliche und finanzielle Probleme verantwortlich ist, legal bleiben.
Wo sind ähnlich starke Auswirkungen beim Canabis?
Zumal Alkohol keinerlei positive medizinische Wirkung hat sondern nur Familien kaputt macht (redet mal mit Angehörigen von Alkoholikern).