Um den Hanf tobt seit langem ein Glaubenskrieg. Für die einen ist Cannabis eine unterschätzte Einstiegsdroge, die Psychosen auslöst; für die andern ein zu Unrecht verteufeltes Genussmittel und zugleich eine medizinische Allzweckwaffe. Da kann es nicht schlecht sein, einen nüchternen Blick auf die Pflanze und ihre Eigenschaften zu werfen.
Hanf (Cannabis sativa) ist eine der ältesten Nutzpflanzen und wird schon seit Jahrtausenden als Heilpflanze verwendet. Ihre Verwendung als Rauschmittel wurde im 20. Jahrhundert kriminalisiert; seit 1951 ist Cannabis in der Schweiz verboten. In letzter Zeit hat das Interesse an der medizinischen Verwendbarkeit der Pflanze stark zugenommen. Und in der Tat häufen sich die Berichte, die dem Cannabis und seinen zahlreichen Wirkstoffen therapeutische Wirkung zuweisen. Selbst als potenzielles Antibiotikum könnte es eingesetzt werden, sagt eine rezente Studie.
In der Hanfpflanze finden sich über 450 verschiedene Substanzen – darunter zahlreiche Cannabinoide, von denen wiederum nur gerade drei für die Rauschwirkung von Cannabis verantwortlich sind. Am bekanntesten davon ist das THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol). Andere Cannabinoide, beispielsweise das bekannte Cannabidiol (CBD), sind nicht psychoaktiv. Medikamente wie Sativex enthalten Cannabidiol.
Die Kriminalisierung der Pflanze dürfte mit dafür verantwortlich sein, dass die Wissenschaft sich mit der Erforschung ihrer medizinischen Wirksamkeit lange zurückgehalten hat. Dementsprechend gibt es zwar zu zahlreichen Anwendungen Erfahrungsberichte, aber nur wenige klinische Studien. Das heisst, dass die medizinische Wirksamkeit der Cannabinoide in vielen Fällen wissenschaftlich nicht ausreichend belegt ist.
Sowohl THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) wie CBD (Cannabidiol) haben nachweislich eine schmerzlindernde Wirkung, besonders bei (chronischen) neuropathischen Schmerzen (Schmerzen, die durch eine Verletzung oder Fehlfunktion des Nervensystems verursacht werden) und durch Krebs verursachten Schmerzen. Bei akuten Schmerzen wirken sie dagegen schlecht oder gar nicht.
Cannabinoide wirken im Vergleich zu Morphin mindestens zehnmal schwächer. Zudem sprechen rund 30 Prozent der mit Cannabis behandelten Patienten überhaupt nicht darauf an. Cannabinoide können auch mit Opiaten kombiniert werden.
Die Wirkung von Cannabis gegen Begleiterscheinungen der Krebs-Chemotherapie wie Übelkeit und Erbrechen ist gut belegt. THC muss dabei allerdings in relativ hoher Dosierung verabreicht werden, was zu psychischen Nebenwirkungen führen kann. In niedrigerer Dosierung können Cannabinoide die Wirkung von anderen brechreizhemmenden Medikamenten (Antiemetika) verbessern.
Auch der appetitanregende Effekt von Cannabinoiden ist gut belegt, und zwar sowohl bei HIV-Patienten wie bei Patienten mit Tumorerkrankungen. Die Wirkung setzt bereits bei niedriger Dosierung ein. Positive Berichte gibt es auch in Fällen von Alzheimer-Patienten, bei denen zudem auch das verwirrte Verhalten abnahm. Die appetitanregende Wirkung der Cannabinoide war im Vergleich zu Placebo jeweils signifikant stärker.
Bei Multipler Sklerose (MS) kann es zu Spasmen kommen. Cannabinoide können diese mittelschweren und schweren Krämpfe reduzieren – gemäss deutschen Studien bei doppelt so vielen Testpersonen wie bei der Abgabe von Placebos. Zugleich sank die Schmerzintensität, allerdings nur bei Frauen. Der muskelentspannende Effekt tritt auch bei anderen Spasmen auf, zum Beispiel bei Querschnittgelähmten, ist dort aber nicht so deutlich belegt.
Bei Morbus Parkinson ist der Spannungszustand der Muskulatur ständig erhöht, vor allem an den Armen und Beinen; Patienten leiden häufig unter schmerzhaften Krämpfen. Es gibt Erfahrungsberichte wie jener im Video unten, die nach der Anwendung von Cannabis eine starke Linderung dieser Krämpfe beobachten.
Klinische Studien konnten dagegen bisher keine eindeutigen Ergebnisse erzielen. Es ist überdies nicht klar, welche Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und Parkinson-Medikamenten bestehen.
Neben der schmerzhemmenden Wirkung entfalten Cannabinoide bei entzündlichen Schmerzsyndromen wie Colitis ulcerosa (eine chronische Darmerkrankung) oder Arthritis möglicherweise auch eine entzündungshemmende Wirkung. So hat eine ETH-Studie nachgewiesen, dass die Substanz beta-Carophyllen, die 12 bis 35 Prozent des ätherischen Öls der Cannabispflanze ausmacht, den CB2-Rezeptor im Zentralnervensystem aktiviert. Dieser wiederum verringert die Ausschüttung entzündungsfördernder Zytokine (Signalstoffe).
Hier ist der Befund etwas diffus. Schon länger ist bekannt, dass Cannabiskonsum im Jugendalter mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Depressionen und Angststörungen einhergeht. Bei erwachsenen Konsumenten ist dieser Zusammenhang weniger gesichert. Dagegen beschreiben viele Konsumenten in Umfragen eine angstlindernde und antidepressive Wirkung von Cannabis. Klinische Studien haben jedoch bisher noch keinen klaren Nachweis einer solchen antidepressiven Wirkung von Cannabinoiden erbracht.
Erhöhter Augeninnendruck ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung eines Glaukoms (Grüner Star). Cannabinoide können den Augeninnendruck senken; der entsprechende Effekt ist seit 1971 bekannt. Weitere Studien ergaben, dass die orale Einnahme von THC oder Cannabisrauchen den Augeninnendruck um durchschnittlich 25 bis 30 Prozent senkt; in Ausnahmefällen sogar um 50 Prozent.
Cannabinoide wirken bronchienerweiternd und in bestimmten Massen auch entzündungshemmend. Beide Wirkungen sind in der Asthma-Therapie erwünscht. Die Inhalation von Cannabisrauch ist jedoch wenig zu empfehlen, da der Rauch Karzinogene enthält, die die Schleimhaut schädigen können. Es ist deshalb besser, Cannabis oral einzunehmen. Bei der Inhalation von Cannabis kann es in Einzelfällen zu einer reflektorischen Bronchienverengung kommen.
Eine australische Studie hat erst vor kurzem gezeigt, dass die im Cannabis enthaltene Substanz Cannabidiol gewisse Bakterienarten enorm effizient abtötet. Da sie zugleich auch entzündungshemmend wirkt, können damit zwei Beschwerden – Infektion und Entzündung – gleichzeitig bekämpft werden. Cannabidiol ist im Übrigen bereits als Medikament gegen Epilepsie zugelassen.
Bereits im 19. Jahrhundert wurde das Medikament Bromidia – ein Cannabis-Extrakt – gegen Schlafstörungen eingesetzt. Cannabinoide sollen beruhigend wirken, indem sie den Blutdruck und die Körpertemperatur leicht senken. Patienten berichten subjektiv von einer erheblichen Besserung der Schlafstörungen, vor allem bei CBD. CBD könnte zudem eine beruhigende Wirkung auf Patienten haben, die unter durch Angst bedingten Schlafstörungen leiden, etwa bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). Cannabiskonsum konnte gemäss einer Studie bei Personen mit oder ohne Schlafstörungen die Einschlafzeit verkürzen. Die Faktenlage ist jedoch wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt.
Versuche an Nagetieren legen nahe, dass Cannabinoide die Bildung von Metastasen bremsen. Bei Ratten, die über zwei Jahre hinweg regelmässig unterschiedlich hohe Dosen von Cannabis (von 5 bis 50 mg THC/kg Körpergewicht) erhielten, lag die Überlebensrate deutlich höher als bei Tieren, die keine Cannabinoide erhalten hatten. Von letzteren lebten nach zwei Jahren nur noch 46 Prozent, von jenen, die THC erhalten hatten, waren es hingegen – je nach Dosis – 66 bis 75 Prozent.
Eine aktuelle Studie von englischen Forschern zeigt, dass pharmazeutisches, synthetisches Cannabidiol (CBD) bei manchen Krebspatienten einen Rückgang der Metastasen bewirkte, während es bei anderen zu einer Verlangsamung der Ausbreitung kam. Die positive Wirkung zeigte sich aber nicht bei allen Patienten; bei einigen blieb die CBD-Behandlung ohne Wirkung. Es kam allerdings auch nicht zu Nebenwirkungen.
Beim Tourette-Syndrom kommt es zu unwillkürlichen, raschen, abrupt beginnenden Muskelkrämpfen und Muskelzuckungen; neben diesen motorischen Tics kommt es auch zu vokalen Tics. Cannabiskonsum kann zu einer teilweise starken Reduktion dieser Tics führen (siehe Video unten). Es zeigte sich daneben auch eine Verbesserung bei den Zwangshandlungen und Zwangsgedanken, die oft Teil der Krankheit sind. Bei kontrollierten Untersuchungen kam es bei den meisten Patienten nur zu einer geringen Besserung, doch einige konnten die Symptome unter Cannabis-Einfluss vollständig kontrollieren.
Der Einsatz von Cannabis gegen Epilepsie gilt als eine der ältesten Formen der Verwendung als Heilpflanze. In tierexperimentellen Studien konnten antiepileptische Effekte von einigen Cannabinoiden nachgewiesen werden; sie verstärkten die antiepileptischen Wirkungen von Diazepam (Valium) und anderen Medikamenten. Die Wirksamkeit von Cannabinoiden gegen Epilepsie ist derzeit gleichwohl nicht ausreichend belegt, aber auch nicht widerlegt. Cannabis kann zudem gelegentlich prokonvulsive (d.h. Krampfanfälle begünstigende) Effekte aufweisen.
Es gibt positive Erfahrungsberichte von Cannabis-Therapien bei einer Vielzahl von verschiedenen Leiden. In den meisten Fällen sind diese Erfahrungen jedoch (noch) nicht wissenschaftlich belegt. Zu den Beschwerden, bei denen Cannabis sich positiv auswirken soll, gehören unter anderen Tinnitus, ADS (Aufmerksamkeit-Defizit-Syndrom), Bluthochdruck, chronisches Müdigkeitssyndrom, Restless-Leg-Syndrom und Menstruationsbeschwerden.
Wer Cannabis konsumiert hat, sollte nicht Fahrzeuge lenken – es ist auch verboten. Ähnlich wie beim Alkohol-Konsum beeinträchtigt Cannabis die Fahrtüchtigkeit: Die Konzentrationsfähigkeit ist eingeschränkt und die Reaktionszeit verlängert sich. Distanzen und Geschwindigkeiten werden falsch eingeschätzt. Eine Metastudie hat 2016 diesbezüglich ergeben, dass für Personen, die Cannabis konsumiert haben, die Wahrscheinlichkeit, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden, um 20 bis 30 Prozent steigt.
Cannabis wird vorzugsweise geraucht, oft mit Tabak vermischt. Dies belastet die Atemwege und die Lungen. Wird Cannabis ohne Tabak geraucht, ist die Bilanz freilich etwas besser. So konnte eine Studie 2005 nur eine schwache Korrelation zwischen reinem Cannabiskonsum und Lungenkrebs feststellen. Bei chronischem Konsum baut die Lungenfunktion allerdings stark ab. Es kommt auch eher zu Bronchitis und chronischem Husten.
Auch Herzkrankheiten zählen zu den Risiken beim Tabakkonsum. Dagegen konnte bisher kein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Cannabis und einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko festgestellt werden.
Bei jüngeren Erwachsenen, die häufig Cannabis rauchen, nimmt laut einer amerikanischen Studie das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, um 17 Prozent zu.
Der starke Konsum von Cannabis führt höchstwahrscheinlich zu einem erhöhten Risiko, an Schizophrenie oder anderen Psychosen zu erkranken. Auch gibt es Hinweise, dass starker Cannabis-Konsum mit einer leicht erhöhten Gefahr einhergeht, an einer bipolaren Störung zu erkranken. Zudem steigt die Suizidgefahr bei regelmässigen, starken Konsumenten.
Cannabis-Konsum macht nicht dumm, aber beeinträchtigt kurzfristig – während 24 Stunden nach dem Konsum – Lernfähigkeit, Aufmerksamkeit und Erinnerungsvermögen. Bei chronischem starkem Konsum sind die Verarbeitung von komplexen Informationen, die Gedächtnisleistungen sowie die Konzentration eingeschränkt. Diese Einschränkungen sind nicht stark ausgeprägt, aber durch Tests nachweisbar. Längerfristige Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit drohen jedoch Personen, die sehr jung mit dem Konsum begonnen haben und viel konsumieren.