Wespen scheinen derzeit überall zu sein. Man öffnet ein Bier und gleichzeitig mit dem Zischen gesellen sie sich zu einem. Aber nicht nur das Bier lockt – egal, was man draussen konsumiert, ruckzuck sind sie zur Stelle. Und nicht nur das: Derzeit beklagen sich viele über Wespen- und Bienestiche. Was ist nur los mit den wichtigen Bestäubern?
«Vorsicht vor hungrigen Wespen», schreibt das aha! Allergiezentrum Schweiz in einer Pressemitteilung. Aufgrund der heissen und trockenen Tage sowie der abgeschlossenen Heuernte finden die Wespen laut Entomologe Christian Schweizer von der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope momentan nicht genügend Nahrung. «Darum schwirren sie sehr aufdringlich um uns und unser Essen herum.»
Dieses Problem haben auch die Bienen und weitere Hautflügler. Im Siedlungsraum und den intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Schweiz sei das limitierte Angebot an Futter aktuell wohl ein Stressfaktor, teilt Pro Natura auf Anfrage gegenüber watson mit. Viele Wiesen (auch Ökowiesen) seien gemäht, wodurch das Nahrungsangebot vieler Bestäuber wie Wildbienen, Hummeln und Falter beschränkt sei.
Mit Stress aufgrund von Futterengpässen würden verschiedene Hautflügler anders umgehen – aggressiver würden die meisten Arten dadurch aber nicht per se. Einzelne Individuen könnten zwar aggressiver werden, ein allgemeines gestörtes Verhalten sei Pro Natura aber nicht aufgefallen oder gemeldet worden.
Wespen sind von Natur aus etwas aufringlicher und sie werden häufig mit den Bienen verwechselt. «Insbesondere die Städter sind heute teilweise so weit von der Natur entfernt, dass sie Wespen und Bienen nicht mehr voneinander unterscheiden können», stellt André Wermelinger, Geschäftsführer der Organisation Free the Bees, fest. «Bei mir gehen teils Meldungen von Bienenschwärmen ein, bei denen es sich dann bei der Überprüfung um Wespen handelt.»
Dass die Honigbienen über die Jahrzehnte aggressiver geworden seien, hält er für eine Komplettverzerrung sämtlicher Fakten. Auf Blüten herumfliegende Bienen seien nie aggressiv. Wespen könnten hingegen durchaus aufdringlich werden – insbesondere auf dem Teller draussen beim Essen.
Dies liege am unterschiedlichen Essverhalten der Insekten: Anders als Bienen sind Wespen keine Vegetarier und essen Insekten und Fleisch. Und gerade weil Raupen und Blattläuse aufgrund der Hitze derzeit Mangelware seien, könne es laut Christian Schweizer durchaus vorkommen, dass Wespen auch mal einen ganz kleinen Bissen einer Bratwurst verdrücken. Aber nicht nur Fleisch lockt sie, sondern auch Gemüse, Obst und Desserts.
Bienen hingegen nähern sich unserem Essen eigentlich nur, wenn über längere Zeit ein Glas Honig offen stehe. Bei Futterengpässen könne es aber durchaus vorkommen, dass man zum Frühstück eine Biene auf dem Honigbrot entdecke. Denn Honig riechen Bienen extrem gut und schnell.
Bei Begegnungen am Tisch oder auf dem Balkon dürfte es sich grösstenteils um Wespen handeln. Doch auch wenn sie hungriger als sonst sind, sind sie dadurch nicht aggressiver. Sie stechen nur dann zu, wenn sie sich bedroht fühlen – durch hektische Bewegungen oder wenn man versucht, sie wegzujagen. Bienen stechen hingegen nur im äussersten Notfall, denn: Sie verlieren durch den Verlust ihres Stachels ihr Leben.
Was André Wermelinger hingegen bestätigen kann, ist ein aggressiveres Verhalten gewisser Völker der Honigbienen. Dies könne sich beim Heranziehen einer neuen Königin bemerkbar machen. «Ein Bienenvolk verteidigt mit gutem Recht seine Brut und seine Wintervorräte», so Wermelinger. «Das musste es seit Urzeiten, früher insbesondere der Bären wegen.»
Bienenschwärme ausserhalb dieser begrenzten Zeit der Aufzucht einer neuen Königin hätten hingegen nichts zu verteidigen – kein Nest, keine Brut, keinen Futtervorrat. Sie stechen demnach nur selten zu. Man könne sogar mitten in einem fliegenden Schwarm stehen, ohne gestochen zu werden, sagt Wermelinger.
Dass Bienen aggressiver geworden seien, verneint auch Mathias Götti Limacher, Zentralpräsident und Schulleiter Imkerbildung von BienenSchweiz: «Wenn man ruhig und behutsam imkert, werden sie nicht übermässig aggressiv.» Eine gewisse Unruhe oder Stechbereitschaft könne aber auftreten, wenn ein Gewitter bevorstehe oder wenn man bei starkem Wind den Honigkasten öffne.
Genauso wie beim Imkern gelte es, im Garten, auf dem Balkon oder in der Badi ruhig zu bleiben: «Herumfuchteln empfinden die Insekten als Gefahr und veranlasst sie zu stechen», sagt Mathias Götti Limacher.
Ob die Bienen oder Wespen bei ihrer Futtersuche bislang vermehrt zugestochen haben als in anderen Jahren, ist unklar. Das Problem der Nahrungsknappheit werde aber laut der Naturschutzorganisation Pro Natura nicht so schnell verschwinden. Es fehle an Biotopen, Wiesen und Weiden mit vielen einheimischen Pflanzen, die zu unterschiedlichen Zeiten blühen, sodass von Frühling bis Herbst immer Blüten vorhanden seien
Doch nicht nur qualitative Ökoflächen in der Landwirtschaft oder mehr Biodiversität im Siedlungsraum, sondern auch mehr Naturvielfalt im eigenen Garten oder Balkon würde den Bienen helfen, über einen möglichst langen Zeitraum Nahrung zu finden.
Es ist interessant und spannend, dem Treiben von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen auf diesen Blumen zu zusehen. Jedenfalls viel spannender, als Geranien anzuschauen, die steril und frei von diesem Treiben sind; und nur der Dekoration dienen. Da könnte man auch Plastikblumen setzen – sehen irgendwie aus und nützen nichts.