Anfang Woche stand die Spitze der Grünliberalen vor dem Problem: Wie vermeiden wir den Eindruck, dass wir untätig bleiben in einer akuten Krise? Am Ende der Woche stellt sich das Problem anders: Wie vermeiden wir den Eindruck, dass wir allzu hart und unnachgiebig wirken – womit wir uns ebenfalls einen Imageschaden einhandeln können?
Sanija Ameti, grünliberale Zürcher Stadtparlamentarierin und Co-Präsidentin der Operation Libero, schoss in einem Keller mit einer Sportpistole auf ein Bild von Maria und Jesus und präsentierte Bilder davon auf Instagram. Bei GLP-Politikern ging sofort eine Flut negativer Reaktionen ein.
Ameti geriet in einen gewaltigen Shitstorm. Sie erhielt Drohungen; nun stehen sie und ihre Familie unter Polizeischutz. Der Fall wurde weit über die Landesgrenzen hinaus beachtet. In den USA berichtete die «Los Angeles Times» über die Schiessübung in einem Zürcher Keller.
Zwar entschuldigte sich die Schützin ausführlich, aber die Grünliberalen mussten reagieren. Die Zürcher Kantonalpartei gab bekannt, dass Sanija Ameti die Parteileitung verlasse. Exponenten der Partei hielten das für unvermeidlich – und sie erwarteten keine weiteren Sanktionen. Wenig später leitete die Spitze der nationalen Partei aber ein Ausschlussverfahren ein. Und teilte mit, dass es am besten wäre, wenn Sanija Ameti «von sich aus die Partei verlassen würde.»
Nicht nur die vielen schlechten Rückmeldungen führten zu dieser Massnahme. Grünliberale Politiker erzählen, dass Parteipräsident Jürg Grossen schon vorher irritiert gewesen sei vom Verhalten der 32-jährigen Zürcherin. Ameti habe darauf gedrängt, dass die Partei eine andere Haltung einnehme zur EU und zur Nato. Grossen habe die Vorstösse abgeblockt.
Die Europa-Volksinitiative der Operation Libero wird von den Grünen mitgetragen, nicht aber von der GLP. In der Partei herrscht die Meinung vor: Die Initiative sei zu kompliziert, sie sei das falsche Instrument in einem schwierigen Dossier. Und es fiel in der Partei auf, dass kein grosser Wirtschaftsverband mitmachen will. «Um viele Organisationen einzubinden, bräuchte es eine Brückenbauerin. Das ist aber nicht Ametis Stärke», sagt ein grünliberaler Politiker.
Lieber provoziert die Juristin mit spitzen Aussagen – und mit ihrem Auftreten. Zum Streitgespräch über die Neutralität der Schweiz mit Christoph Blocher erschien sie in einer Tarnjacke der Schweizer Armee. Manchmal scheint es, dass die Performance ebenso wichtig ist wie der Inhalt. Auf einem Podium in Bern schwärmte Sanija Ameti im Juni von Charlie Chaplin. «In einem nächsten Leben wäre ich gerne Komikerin», sagte sie. Die Show zählt.
Die GLP ist hingegen eine Partei, die einen nüchternen Stil pflegt. Umweltingenieure wälzen gerne Statistiken und haben wenig Sinn für Showeffekte. Kein Grünliberaler zieht die rhetorische Beschlagenheit Ametis infrage. Aber einige wünschen sich, dass sie zurückhaltender auftrete.
Nun betonen vor allem in Zürich Politiker der GLP: Es solidarisieren sich inzwischen viele Menschen mit Ameti. Die Reaktionen auf ihre Verfehlung werden als übertrieben wahrgenommen. Zweitens habe sie ihren Job als PR-Beraterin bei der Agentur Farner verloren und sei damit schon genug gestraft.
Drittens sei durch Ametis Aktion niemand zu Schaden gekommen. Sie habe sich viertens mehrmals entschuldigt und erklärt, dass sie die Provokation nicht geplant habe – vielmehr sei sie ihr unterlaufen. Fünftens habe jeder Mensch eine zweite Chance verdient. Das gelte gerade für eine junge Politikerin.
Wie reagiert Parteipräsident Jürg Grossen? Er sagt nichts. Auch andere GLP-Politiker, die normalerweise keinem Mikrofon aus dem Weg gehen, bleiben stumm in der Causa Ameti.
Die Partei sucht nach einer Linie. Einige finden, dass sich die Parteileitung mit Ameti zusammensetzen und das Ausschlussverfahren abbrechen sollte. Die Sanktion sei überzogen. Eine talentierte Politikerin wegen einer unbedachten Aktion hinauszubefördern – das müsse nicht sein.
Andere meinen: Die Mitgliedschaft Ametis bei der Partei könnte sistiert werden. Wenn mehrere klärende Gespräche mit der städtischen, der kantonalen und der nationalen Partei geführt worden seien, stehe einem Neustart nichts im Weg.
Und dann gibt es Grünliberale, die am Ausschluss festhalten wollen. Sie sagen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Ameti wieder mit auffälligem Verhalten viele Leute vor den Kopf stosse. Eine Partei, die nach einer längeren Erfolgsphase um jeden Wähler kämpfe, brauche diese Unruhe nicht.
Die GLP hat sich klar gegen die Hasswellen ausgesprochen, die Sanija Ameti entgegenschlagen. Einige Grünliberale meinen: Es wäre jetzt nur folgerichtig, mit ihr einen Weg zu finden, wie sie in der Partei bleiben könne.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Ameti das will. Sie hat bisher nur verlauten lassen, dass es ihr schlecht gehe. Ob sie daran interessiert ist, sich zusammenzuraufen mit den Grünliberalen, das muss sich zeigen.