Es tut sich was zwischen Bern und Brüssel. Kurz vor den Sommerferien hat der Bundesrat einen neuen Chefunterhändler ernannt: Alexandre Fasel folgte als Staatssekretär im Aussendepartement auf Livia Leu. Am Freitag kam es zum ersten Kontakt zwischen Fasel und dem Kabinettchef der EU-Kommissionsmitglieder, Jurai Nociar. Es war eines von mehreren Gesprächen in Brüssel zwischen Vertretern der EU und der Schweiz, die an drei Tagen stattfanden.
Besonders aufschlussreich war, was EU-Chefunterhändler Maroš Šefčovič sagte, der Vizepräsident der Europäischen Kommission. War nach dem Treffen mit Aussenminister Ignazio Cassis in Brüssel im Juli nichts Substanzielles kommuniziert worden, sprach Šefčovič gegenüber der Schweizer Delegation jetzt Klartext.
Am 21. September würden die Sondierungsgespräche zwischen Brüssel und Bern weitergeführt, erklärte der EU-Spitzenmann. In einem einstündigen Gespräch mit der Schweizer Gruppe, angeführt vom Präsidenten des «Lucerne Dialogue» Marcel Stalder, formulierte Šefčovič seine Vorstellungen. «Die EU schätzt es so ein, dass der Bundesrat im Anschluss an die Sondierungsgespräche ein offizielles Mandat erteilt für erneute Verhandlungen mit der EU», fasst Stalder zusammen.
Die EU will offensichtlich aufs Tempo drücken, denn wenn es Verhandlungen geben soll, dann bald, konkret von Januar bis Juli 2024. Danach rücken die Wahlen in der EU ins Zentrum, erst 2027, so das Signal aus Brüssel, hätte man wieder Zeit für die Schweiz.
Der «Lucerne Dialogue» (ehemals Europa-Forum) ist eine politisch unabhängige Plattform, die sich für geregelte Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU einsetzt und hauptsächlich aus Wirtschaftsvertretern besteht. Gegründet wurde sie nach dem EWR-Nein 1992. Präsident Stalder sagt zu den Gesprächen: «Šefčovič hat verstanden, dass die Schweiz nicht an der Verhandlung eines neuen Rahmenabkommens interessiert ist, das die Beziehung zur EU grundsätzlich löst, sondern vertikale, sektorielle Fragen klären möchte.»
Der EU-Chefunterhändler habe zwar Bereitschaft signalisiert, aber eines klargemacht, sagt Stalder: «Zuerst müssen institutionelle Fragen, also zentrale Fragen wie die der Personenfreizügigkeit, gelöst werden, erst dann kann man über sektorielle Themen verhandeln.»
Das klingt so, als würde die EU bei den zentralen Punkten nicht nachgeben wollen, die letztlich zur Rückweisung des Rahmenabkommens durch den Bundesrat im Mai 2021 geführt haben. Damals brach die Landesregierung die Verhandlungen mit der EU ab, ohne einen Plan B zu kommunizieren.
Šefčovič scheint sich jetzt demonstrativ viel Zeit zu nehmen für Schweizer Unternehmer und andere Interessengruppen, so etwa die Regio Basiliensis, deren Präsidentin, Ex-CVP-Nationalrätin Kathrin Amacker, ebenfalls in Brüssel war. Die Botschaft könnte sein: Die EU ist immer noch verstimmt über den Bundesrat, aber grundsätzlich interessiert an einem Dialog mit der Schweiz. Ins Bild passen Šefčovičs Besuch an der Universität Fribourg vom Frühjahr und informelle Treffen mit den aussenpolitischen Kommissionen.
Laut Stalder hat der EU-Chefunterhändler folgenden Plan: «Man wird auf den Sondierungsgesprächen aufbauen und ist daran, für alle zentralen Fragen sogenannte ‹Landezonen› zu definieren - also Spielräume, innerhalb derer im Rahmen der offiziellen Verhandlungen später die Lösungen gefunden werden müssen.»
Die Gespräche in Brüssel, so verlautet aus der Schweizer Delegation, hätten gezeigt, dass die Schweiz bei der EU und auch bei unseren Nachbarstaaten nicht besonders viel Goodwill geniesse. «Man ist genervt, dass die Schweiz am europäischen Binnenmarkt teilnehmen will, aber sich so schwertut, die gemeinsamen Regeln zu akzeptieren, welche für den Handel auf diesem Markt gelten», sagt Stalder. Zerrüttet sei das Verhältnis aber keineswegs. Er zitiert Šefčovič, der dazu sagte: «I am a trained diplomat, let me summarize the current EU-Swiss relationship as suboptimal.» Diplomatisch gesagt sei das Verhältnis «suboptimal».
Die Schweizer Delegation tauschte sich in Brüssel auch mit Schweizer Landsleuten aus, so mit Botschafterin Rita Adam, Chefin der Schweizer Mission bei der EU, mit Botschafter Philippe Brandt, Chef der Schweizer Botschaft in Belgien und der Schweizer Mission bei der Nato, und mit Divisionär Peter Wanner, militärischer Vertreter der Schweiz bei EU und Nato. (aargauerzeitung.ch)
Auf der anderen Seite sollte auch die EU selbstkritisch genug sein, eigene Missstände nicht als Verhandlungsmacht anzuschauen und den Wert der Schweiz in und für Europa anzuerkennen.
Es wird für beide Seiten Mehrwert geben, wenn beide Seiten zu Kompromissen bereit sind.
Gegen Ende der 2020-er Jahren wird die CH entweder einem Vertrag ähnlich dem jetzigen Insta oder einem EWR-Beitritt zustimmen.
Das generiert zwar unnötigen Kollateralschaden für die CH, aber letztlich ist das halt der typisch schweizerische Weg.