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«Es war eine schwere Niederlage für Macron» – Experte zu Europawahl

Emmanuel And Brigitte Macron At A Polling Station - Le Touquet President Emmanuel Macron casting his ballot for the European Parliament election at a polling station in Le Touquet, northern France on  ...
Gilt als Verlierer der Europawahl: Emmanuel Macron. Bild: www.imago-images.de
Interview

«Die Neuwahlen in Frankreich sind für Macron sehr gefährlich» – Experte zu Europawahl

Das Parlament der Europäischen Union wurde neu gewählt: Die rechten Parteien sind auf dem Vormarsch, die Grünen und Liberalen gelten als unbeliebt. Jonathan Slapin ist Professor für europäische Politik und erklärt, was die neue Parlamentszusammensetzung für die EU und die Schweiz bedeutet.
10.06.2024, 18:0310.06.2024, 18:03
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Herr Slapin, das Mitte-Rechts-Bündnis EVP war erneut die grosse Siegerin bei der Europawahl, die Grünen und die Liberalen sind die Verlierer. Hat Sie das überrascht?
Jonathan Slapin:
Nein, das wurde schon prognostiziert. Das einzige, was etwas überraschend war, war, dass Mitte rechts und Mitte links doch besser abgeschnitten hatten als erwartet.

Jonathan Slapin.
Jonathan Slapin.
Zur Person
Jonathan Slapin promovierte 2007 an der University of California in Los Angeles. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen demokratische Politik, politische Parteien und Gesetzgebungspolitik. Seit dem 1. August 2019 ist er Professor für politische Institutionen und europäische Politik an der Universität Zürich. Zuvor hatte er Positionen an der Universität von Nevada, Las Vegas, dem Trinity College, Dublin, der Universität von Houston und der Universität von Essex inne.
Quelle: UZH

In Deutschland sind CDU/CSU mit 30,0 Prozent stärkste Kraft. Die AfD ist mit 15,9 Prozent auf dem zweiten Platz. Wie kam es zu diesem Rechtsrutsch?
Die Europawahlen sind vor allem Wahlen gegen die eigene Regierung oder zumindest eine Möglichkeit für die Wähler, ihre Unzufriedenheit gegenüber der Regierung kundzutun. Das hat man bei diesen Wahlen vor allem im Fall von Deutschland gesehen. Die CDU/CSU und AfD haben schlussendlich davon profitiert, dass sie nicht Teil der Regierung sind – und davon, dass Bundeskanzler Olaf Scholz momentan nicht besonders beliebt ist.

French far-right leader Marine Le Pen delivers her speech at the party election night headquarters after French President Emanuel Macron announced he dissolves National Assembly and calls new legislat ...
Hat nach den Europawahlen gut lachen: Marine Le Pen. Bild: keystone

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron scheint unbeliebt – die Rechtspopulisten haben die Wahlen gewonnen. Als Reaktion hat Macron nun die französische Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen angekündigt. Ist das ein gefährliches Vorgehen für ihn und seine Partei?
Dieses Vorgehen ist sehr gefährlich für ihn und seine Partei. Es war eine schwere Niederlage für Macron. Er muss darauf hoffen, dass die Wähler nicht auch noch auf nationaler Ebene Marine Le Pens Front National wählen. Doch das könnte durchaus eintreten, denn Macron ist momentan unbeliebt.

Die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihre Partei Fratelli d’Italia haben in Italien gewonnen. Weshalb wollten sich die Italiener nicht gegen die Regierung stellen?
Das könnte eigentlich als Überraschung betrachtet werden, aber es zeichnete sich schon in den Vorhersagen ab. Sie ist eine starke und intelligente Politikerin, das italienische Volk mag sie. Ihr Konkurrent und der stellvertretende Ministerpräsident von Italien, Matteo Salvini, war der Verlierer.

epa11394293 Italian Prime Minister Giorgia Meloni attends the Raiuno Italian tv program Porta a Porta conducted by Italian journalist Bruno Vespa, Rome, Italy, 06 June 2024. EPA/RICCARDO ANTIMIANI
Giorgia Meloni sahnte bei den nationalen und europäischen Wahlen ab. Bild: keystone

Unter den rechten Parteien der verschiedenen Länder gab es immer wieder Auseinandersetzungen. Wie können sie ihre gemeinsame Stärke nun nutzen?
Die Zusammenarbeit dieser Parteien wird schwierig, denn sie sind sehr unterschiedlich. Bei wichtigen Themen stimmen ihre Positionen nicht überein, wie etwa bei der Ukraine oder bei der Skepsis gegenüber der Europäischen Union. Die rechten Parteien haben einen Wandel durchgemacht und verteilen sich jetzt auf verschiedene Fraktionen – die deutsche AfD ist sogar fraktionslos.

Nicht alle, aber viele dieser rechten Parteien sind europafeindlich. Denken Sie, dass das einstige Erfolgsprojekt Europäische Union gescheitert ist?
Nein, überhaupt nicht. Die Mitte-Parteien sind noch immer die grössten und zusammen mit den Grünen und Liberalen bilden sie eine Mehrheit im Parlament. Und die Wahlbeteiligung ist höher als bisher – das könnte man sogar als einen Sieg für die EU verbuchen. Die Demokratie funktioniert also auf der nationalen Ebene und auch auf der europäischen.

Welchen Einfluss hat diese Neuwahl nun auf den europäischen Grünen Deal und auf das Vorhaben, bis zum Jahr 2050 das Netto-Null-Ziel der Treibhausgasemissionen zu erreichen?
Die Grünen werden fortan weniger Einfluss auf die Europapolitik haben, das ist ein Fakt. Aber auch viele der anderen Parteien wollen, dass die Ziele des Grünen Deals erreicht werden. Diese Ziele verschwinden nicht einfach, aber möglicherweise werden sie nicht mehr so sehr im Fokus stehen wie zuvor.

Frontex security personnel watch refugees and migrants disembarking from a yacht on the Greek island of Lesbos, after crossing a part of the Aegean sea from Turkey's coast, early in the morning S ...
Die Patrouillen im Mittelmeer könnten in Zukunft verstärkt werden.Bild: AP/AP

Aber eine strengere Migrationspolitik könnte in den Fokus rücken, oder?
Ja, das ist durchaus denkbar. Es wird wahrscheinlich mehr Druck von Rechts ausgeübt, sie wollen eine strengere Migrationspolitik. Das könnte bedeuten, dass die Kommission, mit Unterstützung des neuen Parlaments, mehr Geld für Frontex ausgibt oder die Patrouillen im Mittelmeer verstärkt werden. Das sind Geschäfte, die bisher von den Linken abgelehnt und verhindert wurden – diese werden nun breiter im Parlament unterstützt.

Wie wird die Schweizer Politik von dieser Europawahl beeinflusst?
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Und wenn auch die Kommission ungefähr so bleibt, wie sie war, dann geht es eigentlich weiter wie gehabt. Aber falls von der Leyen nicht mehr Kommissionspräsidentin sein sollte, dann ist die Zukunft der Verhandlungen und der Abkommen zwischen der Schweiz und der EU ungewiss.

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50 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Voraus denken!
10.06.2024 18:50registriert März 2022
Macron ist ein echter Europäer mit Eiern in der Hose! Trotzdem ist er in der Lage zu verhandeln.

Seine Versuche, den Ukrainekrieg zu verhindern ehren ihn. Schade, dass dies bei vielen Wählern kein Gewicht hat.

Marcon hat verstanden, dass es Reformen braucht. Er hat verstanden, dass sich Europa emanzipieren muss.

Macron hat verstanden, dass die soziale Hängematte keine Lösung ist.

Macron hat gleichzeitig verstanden, dass der Geldadel und die Unternehmen Steuern zahlen müssen.

Schade, einfach schade wenn er gehen muss.
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slnstrm
10.06.2024 19:19registriert August 2023
Er hat die knappeste Frist gesetzt, die überhaupt möglich ist, 3 Wochen. Bedeutet: Einen Wahlkampf wird es nicht geben. Ist also seine beste Option, bevor sich seine Gegner formieren und absprechen können.
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Tante Karla
10.06.2024 19:13registriert März 2024
Eine rechts-rechtsradikale Parlamentsmehrheit müsste ja RN und die Republicains umfassen. Falls das überhaupt klappt, würde eine solche Koalition sich extrem schnell demaskieren. Sie könnte ihre grossen Versprechungen niemals einlösen. Und sie wäre bis 2027 mit einem direkt gewählten Präsidenten konfrontiert.
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