Er ist die wichtigste Grundlage für die weltweite Klimapolitik: der neue Bericht des UNO-Klimarates Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Am Montag wurde der erste des vierteiligen Sachstandsberichts vorgestellt. Darin heisst es, die Erde werde sich bei der derzeitigen Entwicklung bereits gegen das Jahr 2030 um 1,5 Grad erwärmen – zehn Jahre früher als bisher prognostiziert.
Was besorgniserregend klingt, ist im Grunde nichts Neues. Die Wissenschaft ist sich schon lange einig, dass es nicht fünf vor, sondern eher Viertel nach zwölf ist. Der Ball liegt bei den politischen Akteuren und der Gesellschaft. «Der Bericht zeigt, dass dieses Jahrzehnt wirklich unsere letzte Chance ist, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen», sagte Helen Mountford vom US-Thinktank World Resources Institute. Dabei komme es auf alle an.
In der Schweiz waren die Auswirkungen des veränderten Klimas jüngst vor allem nass: Regen, Hochwasser, Überschwemmungen. Und die würden in Zukunft extremer, sagt IPCC-Mitautorin und ETH-Professorin Sonia Seneviratne bei der Pressekonferenz am Montag. «Hitzewellen, Starkniederschläge, landwirtschaftliche und ökologische Dürren werden in Westzentral-Europa, und deshalb auch bei uns, mit zunehmender globaler Erwärmung vermehrt auftreten und intensiver.»
Für SVP-Nationalrat Christian Imark ist der IPCC-Bericht kein Grund, nun schärfere Massnahmen zu ergreifen. «Die Schweiz ist genau auf dem Weg, auf dem sie sein muss», sagt er.
Was die Schweizer Politik in Imarks Augen viel eher versäumt habe, sei, die richtigen Prioritäten zu setzen. «Am wichtigsten ist, die Stromversorgung zu sichern. Denn vieles wird in Zukunft elektronisch laufen.» Hier gelte es, dass genügend Strom CO2-frei hergestellt werde.
Dass die bereits ergriffenen Massnahmen der Schweiz ausreichen würden, scheint ausser für Vertreter der SVP kaum Konsens zu sein. Für FDP-Ständerat Damian Müller zeigt der IPCC-Bericht unmissverständlich auf, wo das Problem liegt und wie es zu lösen ist. Das gehe nur gemeinsam: «Jedes Jahr nichts tun bedeutet, dass restriktivere Massnahmen ergriffen werden müssen.» Dann lande man irgendwann bei der Verbotspolitik. Und das wolle im Grundsatz keiner.
Über renitente Politikerinnen und Politiker, die sich in der Klimafrage nicht an der Wissenschaft orientieren möchten, sagt Müller: «Als Partei kann man eine Stossrichtung geben. Als Politiker ist es unsere Aufgabe Dossierarbeit zu leisten. Wer sich dieser Verantwortung gezielt entzieht, ist nicht fähig, dass das Anliegen in einem Kompromiss mündet.» In seinen Augen sei nun ganz konkret der Bundesrat gefordert, eine tragfähige, zielgerichtete und mehrheitsfähige Lösung zu präsentieren.
Auf einen Kompromiss einigte sich Parlament und Bundesrat beim CO2-Gesetz. Das scheiterte allerdings an der Urne. Der Grund dafür war ein grosser Stadt-Land-Graben. Für Grünen-Präsident Balthasar Glättli ein wegweisender Lernzettel: Die Landbevölkerung muss gezielt überzeugt werden. «Worüber man stritt, waren die Kosten, die für den Bürger oder die Bürgerin anfallen würden. Das Ziel, der Klimaschutz, ist unumstritten.»
Glättli will in Zukunft aufzeigen, inwiefern sich der Klimaschutz für die ganze Bevölkerung auszahle. Er setzt auch auf bürgerliche Argumente: «Klimaschutz lohnt sich auch für das Portemonnaie, schafft Arbeitsplätze und macht die Schweiz unabhängiger vom Ausland.»
Dass die wissenschaftlichen Fakten alleine den Weg für weitere Massnahmen nicht ebnen können, merkt auch Julia Küng, Präsidentin der Jungen Grünen. «Es ist extrem frustrierend zuzusehen, wie das Parlament immer wieder scheitert, Massnahmen zu treffen. Die Faktenlage alleine wäre so klar.»
Doch Aufgeben sei für sie keine Option. Was Küng vorschlägt: einen Klimarat oder eine Klima-Taskforce aufstellen, nach dem Vorbild der Corona-Pandemie. «Ich hoffe ausserdem, dass die überfluteten Keller und Strassen den einen oder die andere überzeugt haben, dass wir jetzt handeln müssen.»
Imark: «Am wichtigsten ist, die Stromversorgung zu sichern.»
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