Aus Sicht der «Neuen Zürcher Zeitung» sind für den Liberalismus schwierige Zeiten angebrochen, da die Menschen in unsicheren Zeiten nach mehr Staat statt Selbstverantwortung riefen.
«(...) Parteien, die konkrete Sorgen ansprachen und der Bevölkerung Lösungen versprachen, konnten ihre Wähleranteile erhöhen. (...) In Krisenzeiten hat es der Liberalismus schwer, sich gegen Forderungen nach Staatsinterventionen und mehr Law and Order durchzusetzen. Der Glaube an freie Grenzen und freie Märkte hat in den vergangenen Monaten gelitten. (...) Die FDP konnte ihren Wähleranteil mehr oder weniger halten, doch die Konkurrenz der Mitte und die Dominanz der SVP treffen die Partei hart. (...) Die Gewinne der SVP und die Verluste der Grünen lassen die parteipolitische Mehrheit im Nationalrat wieder stärker nach rechts rücken. Allerdings bedeutet das nicht automatisch mehr bürgerliche Politik. Der Liberalismus geht geschwächt aus diesen Wahlen hervor, Selbstverantwortung zählt weniger denn je. Die Welt brennt, und die Unsicherheit ist gross: Parteien, die den Bürgerinnen und Bürgern etwas abverlangen, sind nicht gefragt. Gewonnen haben die, die Sicherheit versprechen. Auch wenn es eine falsche ist.»
Aus der Sicht des «Republik»-Magazins rückt die Schweiz seit 30 Jahren nach rechts. Lösungen werde es nur geben, wenn sich die anderen Parteien zu einer «Koalition der Vernunft» zusammenraufen.
«(...). Die politischen Verhältnisse der Schweiz haben sich in den letzten 30 Jahren nämlich grundlegend verändert: Bei den Nationalratswahlen von 1991 erreichte die SVP einen Wähleranteil von 11,9 Prozent, jetzt einen von rund 29 Prozent. Das bedeutet fast eine Verdreifachung. Der Sieg der SVP ist also mehr als eine »Korrektur«. (...). Der Aufstieg der SVP in den letzten 30 Jahren hat den Rahmen des politisch Denk-, Sag- und Machbaren in der Schweiz immer weiter nach rechts verschoben. Und wird ihn aller Voraussicht nach noch weiter verschieben. Der Rechtsrutsch ist Normalität geworden. Deshalb ist entscheidend, wie sich FDP und Mitte künftig positionieren. (...). Es bräuchte also eine Koalition der Vernunft, eine Koalition von FDP, Mitte, GLP, SP und Grünen, um die grössten politischen Probleme der Schweiz zu lösen: diejenigen in der Klima-, Energie-, Sozial-, Ausländer- und Europapolitik. Das wäre eine Veränderung der politischen Verhältnisse der Schweiz. (...).»
Die Wochenzeitung des abgetretenen SVP-Nationalrats Roger Köppel findet viel Grund zur Freude. In einer «Daily-Spezial»-Sendung ist man der Meinung, dass die Bevölkerung am Sonntag klar gesagt hat, dass «sie mit der Politik der letzten vier Jahre nicht zufrieden ist.» Es sei ausserdem unverständlich, dass die Grünen mit ihrer Klimapolitik weitermachen wollten wie bisher. Und auch die FDP habe Fehler gemacht: Dass sie am Ende des Wahlkampfes noch auf das Thema Asyl aufgesprungen sei, sei nicht glaubwürdig gewesen.
Aus Sicht der «Südostschweiz» hat der SVP nicht nur der Ukrainekrieg in die Karten gespielt, sondern auch die Angst vor dem Wolf.
«Die Gründe für das starke Abschneiden der SVP und die niederschmetternden Resultate im grünen und grünliberalen Bereich sind nur teilweise hausgemacht. Die Klimaproblematik, vor vier Jahren das Wahlkampfthema schlechthin, wurde durch den Ukrainekrieg und die darauf folgende Energiekrise völlig in den Hintergrund gerückt. (...) Die SVP ihrerseits hat vom Ukrainekrieg und der Energiekrise profitiert, indem sie die Ukraine-Flüchtlinge mit den steigenden Wohn-, Energie- und Lebenskosten in der Schweiz in Verbindung brachte und damit in der Bevölkerung offensichtlich einen Nerv trifft. Dazu kommt, zumindest in den ländlichen Regionen, den Stammlanden der SVP, die zunehmende Angst vor Wölfen, welche die SVP – mithilfe ihres zuständigen Bundesrates Albert Rösti – politisch geschickt befeuern konnte. Kräftig beigetragen dazu hat zudem unfreiwilligerweise auch SP-Bundesrat Alain Berset, der als wenig inspirierter vorläufiger Abschluss seiner Bundesratszeit einmal mehr stark steigende Krankenkassenprämien für das nächste Jahr präsentiert.»
Aus der Sicht der Tageszeitung Blick.ch ist die neue Zusammensetzung des Parlaments eine Rückkehr zum Bewährten und die Schweiz ein Hort der Stabilität.
«(...). Die Grünen haben massiv verloren, die SVP hat zu alter Stärke zurückgefunden. Man kann das einen Rechtsrutsch nennen. Treffender aber ist: Die Schweiz hat sich wieder eingepegelt. Dass die Grünen verlieren würden, war nach der historischen Klimawahl schon lange allen klar, vermutlich sogar den Grünen. Sie haben sich allerdings das Ausmass der Niederlage selbst zuzuschreiben – wer einen Erfolg wie 2019 nicht in Realpolitik ummünzt, darf sich nicht wundern, wenn die Wählerinnen und Wähler wieder zur SP-Liste greifen oder gleich ganz zu Hause bleiben. Aber: 2019 war die Ausnahme. 2023 hat die Schweiz zur Normalität zurückgefunden. Das Land zeigt sich nach diesen Wahlen als Hort der Stabilität, als Fels in der Brandung, die mit einer Pandemie, mit Kriegen und Terrorattentaten in den letzten Jahren, Monaten und Wochen besonders angsteinflössend ist. Trotz all der Unsicherheit wählten die Schweizerinnen und Schweizer nicht radikal. Die Corona-Massnahmen-Kritiker von Mass-Voll, Aufrecht und so weiter haben keinen Stich gehabt, und auch die SVP kann ihr Rekordergebnis von 2015 nicht übertreffen. (...).»
Aus Sicht der «Aargauer Zeitung» haben die Demoskopen recht behalten: das Parlament rutscht nach rechts.
«Die Demoskopen haben recht behalten: Die SVP ist auf die Siegerstrasse zurückgekehrt und hat ihre Verluste von 2019 zu einem grossen Teil wieder wettgemacht. Gemäss der letzten Hochrechnung kommt sie auf einen Wähleranteil von knapp 29 Prozent. Ihr Parteichef Marco Chiesa ist zwar blass geblieben, doch das hat der SVP nicht geschadet. Wie schon 2015, als sie ihr historisches Höchstresultat erreicht hatte, profitierte die stärkste Partei auch dieses Mal von der thematischen Grosswetterlage. Die SVP setzte einzig auf ein Thema, nämlich die Migration. Diese Strategie funktionierte. Der Begriff der 10-Millionen-Schweiz war wahlkampftechnisch ein Geniestreich. Bemerkenswert sind zudem zwei Dinge. Erstens hat die SVP in der Westschweiz stark zugelegt, wo sie sich lange schwergetan hat. Zweitens hat ihr auch nicht geschadet, dass rechte Kleinparteien gewonnen haben. (...). 2019 wurde der Nationalrat weiblicher, grüner und letztlich auch progressiver. Vier Jahre später schlägt das Pendel zurück und die grosse Kammer wird wieder deutlich rechter und konservativer. Damit ändert sich das politische Klima im Rat. (...).»
Nach Auffassung der Londoner «Financial Times» hat der Erfolg der SVP am Wahlsonntag den Aufschwung populistischer Parteien in ganz Europa bestätigt.
«Obwohl die SVP seit langem eine feste Grösse in der Schweizer Politik ist (...) signalisiert ihr starkes Abschneiden die Unzufriedenheit unter der Wählerschaft nach vier turbulenten Jahren. Die SVP hatte sich gegen Covid-19-Massnahmen gewehrt und kritisierte jüngst die Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland scharf (...). Innenpolitische Anliegen dominierten den Wahlkampf, wobei die SVP am stärksten in Erscheinung trat. (...) Der Sieg der SVP kehrt den dramatischen Linksrutsch der Schweizer Politik der letzten Eidgenössischen Wahlen von 2019 um. Er könnte sich auf heikle anstehende internationale Fragen für das Land auswirken – einschliesslich der bereits angespannten Beziehung zur Europäischen Union und der Haltung zu wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. (...) Die Wahlen bestätigen ein Wiederaufleben der Populisten an den Wahlurnen in ganz Europa.»
Gemäss Kommentar der «Süddeutschen Zeitung» dürfte der neu aufgeflammte Krieg in Nahost der SVP zum Wahlsieg verholfen haben.
«Ein Faktor, der sich zeitlich noch nicht in den Umfragen spiegeln konnte und den Rechtspopulisten wohl zugute kam: der neu aufgeflammte Krieg in Nahost, der das Gefühl der Unsicherheit und den Wunsch nach Abschottung befeuert haben dürfte. Insofern deckt sich die schweizerische Entwicklung mit der in vielen europäischen Nachbarstaaten: Auf Konflikte, Krisen und Unsicherheit reagieren viele Wählerinnen und Wähler, indem sie für Parteien stimmen, die sich für Abgrenzung und eine Besinnung aufs Nationale einsetzen. In der Schweiz, wo die rechte Partei schon viele Jahre fest im Sattel sitzt, wäre es überraschend gewesen, wenn ausgerechnet sie nicht von dieser Stimmung profitiert hätte. (...) Interessant im Vergleich zu den Entwicklungen im restlichen Europa ist das relativ gute Abschneiden der Sozialdemokraten (SP).»
Etwas extremer formuliert es der «Focus»: Für das deutsche Magazin steht fest: Die SVP ist eine rechtsextreme Partei, die «klassische Sündenbock-Politik» betreibe. Entsprechend zeige die Schweiz jetzt «im radikalen, reichen Idyll (...) ihr hässliches Gesicht».
Die Schweiz rücke weiter nach rechts. Der Grund, so «Die Zeit»: «Die Rechtspopulisten wurden wählbar für Frustrierte und Verunsicherte aller Lager.» Eigentlich stünde die SVP «in der Verantwortung, möglichst schnell, möglichst effiziente Lösungen für die drängendsten Fragen der schweizerischen Gegenwart zu finden.» Doch im Wahlkampf sei von alledem kaum die Rede gewesen. Sie SVP habe auf ihr einziges Thema gesetzt, «ihren Evergreen»: die Zuwanderung.
Gleichzeitig erinnert die Zeitung aber: «29 Prozent sind keine Mehrheit, ein Gewinn von 3,4 Prozent ist kein Erdrutsch. Trotzdem hat sich an diesem Wahltag in der Schweiz einiges verändert: Das Land rückt weiter nach rechts.»
(lak/sda)
Mann könnte hier Zugeständnisse machen und gleichzeitig aber auch aktive darauf hinweisen, dass tiefe Unternehmensteuern viele Arbeitnehmer aus dem Ausland anlocken welche unsere Infrastruktur mehr beanspruchen als Flüchtlinge.