Schweiz
International

Die Schweiz ist das Mekka für Leopard 2: Wird sie Ukrainer ausbilden?

Die Schweiz ist das Mekka für Leopard 2 – und könnte Ukrainer ausbilden

Könnten ukrainische Soldaten in Thun im Berner Oberland auf dem Leopard 2 ausgebildet werden? Bern warnt.
01.02.2023, 10:0201.02.2023, 14:05
Antoine Menusier
Mehr «Schweiz»

Wäre das die Kompromisslösung, der Mittelweg? Keine Schweizer Waffen an die Ukraine, aber dafür eine Schweizer Ausbildung für ukrainische Soldaten. An welcher Waffe? Natürlich auf dem Leopard 2. Derjenige Vorzeigepanzer, der für seine enorme Effizienz bekannt ist und dessen Mutterland, Deutschland, sich nun zu dessen Lieferung nach Kiew bereit erklärt hat.

FILE -- A Leopard 2 tank is pictured during a demonstration event held for the media by the German Bundeswehr in Munster near Hannover, Germany, Wednesday, Sept. 28, 2011. The German government has co ...
Ein Leopard 2 in Deutschland.Bild: keystone

Während des Kalten Krieges kaufte die Schweiz Hunderte Leopard 2 von Deutschland, von denen die meisten ab 1987 in Lizenz in Thun im Berner Oberland hergestellt wurden. Damals war das bevorzugte Szenario für einen Landkonflikt mit den Streitkräften des Warschauer Paktes, die damals bis zur österreichischen Grenze standen, eine Panzerschlacht.

Die Schweiz besorgte sich also 385 Leopard 2, von denen heute 134 in die Truppe integriert und 96 weitere «eingemottet» sind. Die Entscheidung, die Anzahl der in der Schweizer Armee eingesetzten Leopard 2 zu reduzieren, wurde 1998 getroffen, als Adolf Ogi Verteidigungsminister war.

Thun hat sich seither als eine der europäischen Hauptstädte für die Ausbildung an gepanzerten Waffen etabliert. Seinen guten Ruf hat es seinen hochmodernen Simulatoren zu verdanken.

Europäische Armeen kommen ins Oberland

Warum sollte das Ausbildungszentrum also nicht auch ukrainische Soldaten aufnehmen? Letztes Jahr wurden zum Beispiel polnische Soldaten – ihr Land besitzt Leopard 2 – im Zentrum der mechanisierten Streitkräfte in Thun ausgebildet. Die polnische Armee ist ein Stammgast in der oberländischen Stadt. Sie entsendet seit 2016 Männer dorthin und wird 2023 weitere entsenden. So ist es geplant. Auch Österreicher, Belgier und Norweger profitieren von den Hightech-Einrichtungen des Thuner Ausbildungszentrums.

Aber was ist mit den Ukrainern? Der Experte Julien Grand, Oberstleutnant im Generalstab und stellvertretender Chefredaktor der Revue Militaire Suisse, gibt eine Antwort auf diese Frage:

«Die Ukraine befindet sich im Krieg mit Russland. Ukrainische Soldaten auszubilden, noch dazu an Kriegswaffen, die defensiv, aber auch offensiv eingesetzt werden können, würde höchstwahrscheinlich als Verletzung der Schweizer Neutralität interpretiert werden.»

In diesem Bereich, so der Offizier, verhalte es sich mit der Kampfausbildung wie mit der Lieferung von Waffen:

«Entweder man bildet beide Seiten aus oder keine.»

PfP als Eingangstor

Unabhängig vom Krieg in der Ukraine erinnert Julien Grand daran, dass die Ausbildung ausländischer Soldaten in Thun im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden (PfP) stattfinde – ein Vorzimmer der NATO, dem die Schweiz seit 1996 angehört. Ihre erste Teilnahme an der PfP geht auf eine Zeit nach dem Kalten Krieg zurück, die von der Bereitschaft der bislang nach innen gerichteten Schweiz geprägt war, mit europäischen Armeen zusammenzuarbeiten. «Man darf nicht vergessen, dass die Kooperationsprogramme innerhalb der PfP in der Regel auf bilateraler Basis und in jedem Fall unverbindlich durchgeführt werden», so der Verteidigungsexperte.

Da sich die Ukraine einerseits im Krieg befindet und andererseits nicht Mitglied der Partnerschaft für den Frieden ist, verringert dies ihre Chancen, in Thun empfangen zu werden. Und die Ukraine habe keinen Antrag gestellt, so das Verteidigungsministerium (VBS).

Die Schweizer Leopardenhöhle

Die Schweiz läuft Gefahr, zu einem Leopard-Grab zu werden – begraben von der Neutralität. Sie hat viele der Panzer in ihrem Besitz, aber kann nichts damit anfangen. Es bahnt sich ein Hütchenspiel an, das darin bestehen würde, die Ware von Hut A über Hut B zu Hut C zu transferieren. Auf Anfrage von watson präzisiert das VBS:

«Die Schweiz hat von Deutschland bislang keine Anfrage zum Kauf von immobilisierten Leopard-Kampfpanzern erhalten. Sollte ein solches Gesuch gestellt werden, wird es geprüft.»

Das Verteidigungsministerium bezieht sich hier auf die 96 Exemplare, die die Schweizer Armee derzeit nicht nutzt. Das VBS fügt hinzu:

«Ein Verkauf würde die Abschaltung grosser Systeme erfordern und daher einen Bundesbeschluss des Parlaments erfordern.»

Eine Motion, die letzte Woche von der Aargauer FDP-Nationalrätin Maja Riniker in der Sicherheitspolitischen Kommission eingereicht wurde, fordert den Bundesrat auf, den Verkauf eines Teils der derzeit eingelagerten Leopard 2 an Länder zu genehmigen, wenn deren Panzerbestände nach Lieferungen an Kiew abnehmen würden. Die Nationalrätin denkt dabei an Deutschland und Polen. Sie stellt eine Bedingung: Die an das Ausland abgegebenen Schweizer Panzer dürften nicht wieder in die Ukraine zurückgeschickt werden.

Schweizer Leopard 2: Ein geheimer Kasten

Was bedeutet die «Abschaltung von grossen Systemen»? Der Experte Alexandre Vautravers, Oberst im Generalstab, Chefredaktor der Schweizerischen Militärzeitschrift und ehemaliger Kommandant eines Panzerbataillons, erläutert die Hintergründe:

«Es geht darum, die Funktionen und Systeme zu entfernen, die von der Schweizer Armee bei der Herstellung des Leopard 2 in Thun entwickelt und eingebaut wurden, um ihn dann für die Schweizer Bedürfnisse umzurüsten. Dies betrifft insbesondere die Panzerung.»

Anfang 2011 gab das VBS den Verkauf von zwölf seiner Leopard-2-Panzer nach Kanada bekannt, während 42 weitere an das deutsche Unternehmen Rheinmetall Landsysteme verkauft wurden. «Die zwölf Panzer, die nach Kanada gingen, waren ursprünglich von der Schweiz direkt von Deutschland gekauft worden, waren also nicht umgerüstet worden. Einige von ihnen hatten dem Bataillon gehört, das ich befehligte», erinnert sich Alexandre Vautravers.

Die Schweiz als «Bank» für Leopard 2, die nichts nützt, wenn die Ukraine und ihre Verbündeten im Krieg sie dringend brauchen würden? Ein Argument, das wir wahrscheinlich noch öfter hören werden. Die Offiziersgesellschaft der Panzertruppen (OG Panzer) protestiert bereits jetzt dagegen. Sie wehrt sich gegen die von Nationalrätin Maja Riniker in ihrer Motion vorgeschlagene Abgabe von Leopard-Panzern. Laut ihrem Präsidenten Erich Muff, der von «Blick» zitiert wird, braucht die «neutrale Schweiz» alle ihre gepanzerten Fähigkeiten. «Wenn es etwas gibt, das der Krieg in der Ukraine ungeschminkt zeigt», sagt er, «dann ist es, dass man sich nur auf seine eigenen Streitkräfte verlassen kann».

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
«Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
144 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Laborant
01.02.2023 10:23registriert November 2019
Man muss sich halt einfach einmal fragen, ob Neutralität heisst, dass man aktiv wegschaut und Scheuklappen aufsetzt, oder ob Neutralität auch heisst, dass man die Integrität aller Staaten anerkennt und Angriffskriege verurteilt.
19044
Melden
Zum Kommentar
avatar
birdiee
01.02.2023 10:48registriert März 2017
«Wenn es etwas gibt, das der Krieg in der Ukraine ungeschminkt zeigt», sagt er, «dann ist es, dass man sich nur auf seine eigenen Streitkräfte verlassen kann.»
ja dann gute Nacht... Wenn wir am Ende effektiv unsere Panzer einsetzen müssen, dann ist sowieso halb Europa gefallen und dann bringts aus meiner Sicht auch nicht mehr viel...
11922
Melden
Zum Kommentar
avatar
MartinZH
01.02.2023 11:25registriert Mai 2019
Die 96 eingemotteten CH-«Leopard 2» sofort an Deutschland verkaufen, so dass die BW ihre Bestände wieder auffüllen kann.

Klar, die CH-Modelle sind nicht dermassen modern, wie die 14 «2A6», welche DE nun in die UA liefert – aber eine grosse Anzahl UND Geschwindigkeit sind nun entscheidend.

DE kann dann sofort weitere «2A6» in die UA senden und die alten CH-Leos modernisieren.

Auf alle Fälle funktioniert die Ausrede, dass nicht mehr Leos entsendet werden können, weil die BW sonst "zu wenig" hätte, nicht.

Neutralitätsrechtlich alles kein Problem, wenn keine CH-Leos in die UA geliefert werden.
5617
Melden
Zum Kommentar
144
Aldi Schweiz erhöht Mindestlohn auf 4760 Franken – auch weitere Löhne steigen

Der Detailhändler Aldi Suisse erhöht die Löhne seiner Mitarbeitenden um 1,3 Prozent. Auch der Mindestlohn steigt auf 4760 Franken von 4700 Franken bei 13 Monatslöhnen, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte.

Zur Story