Josie Hopkins strahlt in die Kamera. Ihren linken, mit Blumen tätowierten Arm stemmt sie gut sichtbar in die Hüfte und posiert für das Foto ihres künftigen Arbeitgebers. Nächste Woche beginnt sie, als Flugbegleiterin für Virgin Atlantic zu arbeiten und freut sich über deren neue Richtlinien. Anfangs Woche hat die britische Airline bekanntgegeben, dass sie die «Tattoo-Policy» lockern. «Bei anderen Fluggesellschaften musste ich meine Tätowierungen immer verdecken und hatte das Gefühl, nicht mich selbst sein zu dürfen», sagt sie gegenüber der englischen Zeitung «The Guardian».
Der Zeitpunkt der Neuerung fällt auf: Momentan kämpfen Fluggesellschaften allerorts damit, genug Personal zu finden. Insbesondere «Cabin Crew Members», also Kabinenpersonal, ist gesucht. Tausende haben ihren Job während der Pandemie verloren und daraufhin gewechselt, andere sind ausgelaugt.
So auch in der Schweiz. Die Fluggesellschaft Swiss musste im Mai dieses Jahres gar einige Flüge annullieren, weil zu wenig Flugbegleiterinnen und -begleiter verfügbar waren.
Dem Personalmangel entgegenzuwirken, indem man beispielsweise sichtbare Tattoos erlaubt, ist für Swiss kein Thema. Zwar wolle man sich regelmässig den veränderten Bedürfnissen sowie gesellschaftlichen Trends anpassen, sagt Mediensprecher Michael Stief. Zum letzten Mal passierte das Anfangs Mai. Nun dürfen weibliche Crew Member Schnürschuhe in Kombination mit einer Hose tragen. Seit letztem Jahr sei männlichen Flugbegleitern auch die «Man-Bun»-Frisur sowie die «Undercut»-Frisur erlaubt.
Auch Edelweiss will sich an die alt bewährten Regeln halten. Ein Tattoo sei immer Sache einer persönlichen Ansicht und eines persönlichen Geschmacks, sagt Edelweiss-Sprecher Andreas Meier. «So unterschiedlich unsere Destinationen sind, so unterschiedlich ist auch die Herkunft unserer Gäste. Man kann unsere liberale Lebensart in der Schweiz nicht auf andere Kulturen übertragen.»
In der Praxis setzt Edelweiss ihre Devise sakrosankt durch. Ende 2017 wurde bekannt, dass eine Bewerberin die Stelle als Flugbegleiterin bei der Schweizer Fluggesellschaft nicht bekam wegen eines kleinen tätowierten Dreiecks am Fussgelenk.
Der Personalmangel in der Branche würde durch eine Lockerung allein zwar nicht gelöst, findet auch Jörg Berlinger von der Gewerkschaft kapers. «Aber es würde das Problem entschärfen.»
Berlinger ergänzt: «Viele junge Menschen haben heutzutage Tattoos und ich denke, da hat man schon gute Leute verpasst, weil diese sich gar nicht erst bewerben.»
Es wäre zeitgemäss, Tätowierungen zeigen zu dürfen, findet Berlinger. Dass die Kundschaft ein Problem damit hätte, bezweifelt er. «Wir haben keine Zahlen, aber man sieht sogar in der höheren Gastronomie immer mehr tätowierte Serviceangestellte.»
Für andere Fluggesellschaft ist es hingegen durchaus Thema, dem persönlichen Stil ihrer Mitarbeitenden mehr Raum zu lassen.
So zum Beispiel bei der Lufthansa. Mediensprecherin Anja Stenger sagt: «Wir denken darüber nach, unsere Trageordnung im Rahmen gesellschaftlich anerkannter Trends anzupassen, um mehr Individualität zu ermöglichen.» Aktuell gilt allerdings auch bei der Lufthansa: Der Fluggast darf weder Tattoos noch Piercings sehen.
Auch die US-amerikanische Linienfluggesellschaft United Airlines hat ihre Vorgaben gelockert. Vor einem Jahr hat sie beschlossen, Standards bezüglich Haarlänge, Make-up und Nagellack unabhängig der Geschlechter festzulegen.
Bei der britischen Airline Virgin Atlantic gehört die Lockerung zur Kampagne «zur Förderung der Individualität», heisst es. Neu soll gelten: Tattoos müssen nicht länger verdeckt werden, Tätowierungen im Gesicht und am Hals bleiben allerdings weiterhin verboten. Das Gleiche gilt für unangemessene Sujets wie Flüche, Gewalt oder Drogen.
Klar, massive Gesichtstattoos und getellerte Lippen wären wohl zu viel. Aber Arm- und Beintattoos? Wo ist das Problem?