Was Karin Keller-Sutter von der mexikanischen Präsidentin lernen kann
Donald Trump ist eine harte Nuss. Das weiss man in Bern spätestens seit der Bundesrat mit seinem Versuch scheiterte, die US-Zölle auf Schweizer Waren zu senken. Die Schweiz ging leer aus.
Besser machte es Claudia Sheinbaum. Der mexikanischen Präsidentin gelang im Zoll-Gespräch mit Trump ein Coup: Sie sicherte sich einen 90-tägigen Aufschub – als einziges Land überhaupt. Und das, obwohl das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber Mexiko noch wesentlich grösser ist als jenes mit der Schweiz. Wie konnte das gelingen?
Ein Grund ist die Staatspräsidentin selbst. Während Trump über Karin Keller-Sutter nach einem Gespräch sagte, sie sei zwar nett, höre aber nicht zu und er habe sie sowieso nicht gekannt, bezeichnete er Claudia Sheinbaum als «wunderbar» und sagte öffentlich, er habe «grossen Respekt» vor ihr. Das, obwohl die introvertierte, linke Klimaforscherin auf dem Papier rein gar nichts mit dem Republikaner gemeinsam hat.
Vor dem nächsten Versuch der Bundespräsidentin, Trumps Zölle doch noch abzuwenden, lohnt sich für Karin Keller-Sutter allenfalls ein Blick ins Sheinbaum-Handbuch. Im Umgang mit Trump setzt die Mexikanerin nämlich auf fünf spezielle Taktiken. Bislang scheinen sie zu funktionieren.
Sheinbaum vermischt gezielt Wirtschaft mit anderen Themen
Donald Trump denkt nicht in getrennten Politikfeldern. Für ihn ist Handel untrennbar mit Migration, Drogenbekämpfung und Sicherheitsfragen verknüpft. Sheinbaum hat das verstanden. Sie machte Trump bei den Handelsgesprächen weitgehende Zugeständnisse bei Themen wie der Bekämpfung des Fentanyl-Schmuggels und der Grenzsicherung. Beides sind Herzensanliegen Trumps.
Um den US-Präsidenten sanftmütig zu stimmen, entsandte sie 10’000 Soldaten an die Nordgrenze, liess mutmassliche Kartellmitglieder ausliefern und präsentierte all das als souveräne mexikanische Initiative – mit Erfolg. Wer mit Trump nur über Wirtschaft spricht, verhandelt mit halber Stimme. Wer ihm auch bei seinen politischen Lieblingsthemen Zugeständnisse macht, gewinnt Einfluss.
Sie kontrolliert die Kommunikation mit Trump
Sheinbaum hat ihren US-Amtskollegen noch nie im Oval Office besucht. Stattdessen telefoniert sie regelmässig mit ihm – fernab der Kameras und spontaner Eklats. Andere Staatschefs, am prominentesten der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, mussten öffentlich miterleben, wie Trump sie im Weissen Haus blossstellte. Sheinbaum hat solche Fallen vermieden. Kanäle zu nutzen, die man selbst steuern und die Trump nicht für eine Showeinlage missbrauchen kann, kann in Verhandlungen mit ihm eine Menge unnötiger Negativschlagzeilen vermeiden.
Sie nimmt Trump beim Wort
In der Schweiz glaubte man lange, Trump meine es mit den Zöllen nicht ganz so ernst. Trump behauptete in einem Telefoninterview, Keller-Sutter höre ihm gar nicht richtig zu. «Ich habe ihm sehr wohl zugehört», widersprach sie nach ihrer USA-Reise diese Woche.
Nur ist dies nicht bei Trump angekommen. Der Präsident liebt Superlative und schnelle Erfolge. Sheinbaum nutzt das, indem sie seine eigenen Ankündigungen aufgreift und dann messbare Ergebnisse präsentiert. So zeigte sie mit US-eigenen Statistiken, dass die Fentanyl-Funde an der Grenze zurückgegangen sind. Damit zwingt sie Trump, seine eigene Erfolgserzählung weiterzuerzählen – und Mexiko als Teil davon darzustellen.
Sie agiert defensiv – hat aber immer einen Plan B
Selbst als Trump den Golf von Mexiko in «Golf von Amerika» umtaufte, schwieg Claudia Sheinbaum – obwohl dies in Mexiko zu einem regelrechten Aufschrei sorgte. Die Präsidentin reagiert nicht impulsiv und verhindert so, dass Nebenschauplätze die Agenda bestimmen. Hinter den Kulissen aber bereitet sie stets Alternativen vor, falls Trump doch eskaliert. Gelegentliche Provokationen lässt sie an sich abperlen, ist aber stets vorbereitet, wenn sich der Ton verschärft.
Sie weiss: Schmeicheleien sind mehr wert als tausend Fakten
Sheinbaum liefert Trump bei ihren Telefonaten durchaus belastbare Zahlen. Aber sie weiss auch: Nichts wirkt stärker als ein gut platziertes Kompliment. In Telefonaten lobt sie seine «Führungsstärke», vermeidet Kritik und lässt ihn spüren, dass er der Entscheider ist. Das hat ihr das Image der «Trump-Flüsterin» eingebracht. Das mögen viele für übertrieben halten, bislang nützt es ihr aber. In Trumps Welt zählen Gefühle oft mehr als Daten. Wer ihm schmeichelt, verschafft sich Zeit und Raum für die eigenen Ziele.
Der Song zum Zoll-Drama:
Schmeicheleien allein hätten die Schweiz-Zölle von 39 Prozent freilich nicht verhindern können. Und auch Sheinbaum hat nur einen Aufschub der Zölle erreicht. Was in 90 Tagen davon übrig ist, bleibt abzuwarten. Sheinbaum hat in wenigen Monaten jedoch gezeigt, wie man mit Trump arbeiten kann, ohne sich öffentlich zu unterwerfen. Etwas, das ihr auch im eigenen Land, das ein deutlich schlechteres Bild von Trump hat als manche Schweizerinnen und Schweizer, Zustimmung einbringt. (aargauerzeitung.ch)
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