Am Dienstag attackierte in Zürich Oerlikon ein chinesischer Student eine Gruppe von Hort-Kindern. Er verletzte drei Knaben, einen davon schwer. Alle Kinder befinden sich mittlerweile ausser Lebensgefahr.
Über den Täter ist nur wenig bekannt. Er ist 23-jährig, studierte seit 2023 an der Universität Zürich Computerlinguistik und lebte zurückgezogen im Studentenheim gegenüber des Horts. Minuten vor der Tat veröffentlichte er auf Instagram einen wirren Post: eine Mischung aus patriotischem Lobgesang und einer sexuell aufgeladenen Liebeserklärung an eine chinesische Frau.
Noch ist das Motiv des Täters nicht bekannt. Deshalb gibt vor allem seine Herkunft zu reden. Dies, weil in China Messerattacken auf Personen in Bildungseinrichtungen ein «Phänomen» seien, wie die NZZ schreibt: «Gestützt auf Medienberichte hat die NZZ seit 2010 mindestens 32 solcher Attacken gezählt, 15 davon in den vergangenen fünf Jahren.» Auch in der watson-Kommentarspalte heisst es:
Auf ähnliche Zahlen wie die Eigenrecherche der NZZ kommt eine entsprechende Wikipedia-Seite. Offizielle, umfassende Statistiken existieren nicht. Medienberichte – auch über Opfer bei Terrorangriffen in China – fallen immer wieder der staatlichen Zensur zum Opfer. Die Mordrate in China beträgt laut Behörden 0,5 vorsätzliche Tötungsdelikte auf 100’000 Personen pro Jahr. Die Zahl gilt allerdings als geschönt – die Schweiz kommt auf denselben Wert.
Trotz allem darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die chinesische Bevölkerung mit 1,4 Milliarden beinahe doppelt so gross ist wie diejenige von Europa (742 Millionen). Und auch hier kam es seit 2010 immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen mit Schuss- und Stichwaffen gegenüber Kindern oder Personen in Schuleinrichtungen.
Erst vor wenigen Wochen, im August 2024, eröffnete ein Kriegsveteran und Hausmeister in einer Schule in Sanski Most, Bosnien und Herzegowina, das Feuer auf drei Mitarbeiterinnen und tötete sie dabei. Im April 2024 kam es, nach Jahren der Ruhe, an einer finnischen Schule zu einer Schulschiesserei. Dabei tötete ein 12-Jähriger einen Mitschüler und verletzte zwei weitere Kinder. Finnland hat eines der lockersten Waffengesetze in Europa. 2007 und 2008 kam es zu Schulamoktaten mit 9 und 11 Toten.
Bei den bisher aufgezählten Fällen handelt es sich ausschliesslich um solche, bei denen Schusswaffen zum Einsatz kam. Doch auch in Europa wird zum Messer gegriffen. Im Juli überfiel in Southport, Grossbritannien, ein Brite ein Tanzstudio, tötete drei Kinder und verletzte zehn. Nach der Verbreitung von Falschinformationen über den Täter brachen in England heftige antimuslimische Unruhen aus. Im Februar 2024 ging in Wuppertal, Deutschland, ein 17-Jähriger mit einem Messer und einer Schere auf diverse Mitschüler und Lehrer los.
2021 streamte ein schwedischer Schüler live über Twitch, wie er in einer Schule in Eslöv einen Lehrer verletzte. Wochen später stach ein Freund des Täters von Eslöv in einer Schule in Kristianstad zu. Auch er verletzte einen Lehrer und einen Schüler. 2022 ermordete ein 18-jähriger Schüler in Malmö zwei Lehrerinnen mit einer Axt und einem Messer. Er ergab sich danach der Polizei und büsst nun eine lebenslange Haftstrafe ab. Und 2015 tötete ein Erwachsener drei Kinder in einer Schule in Trollhättan, Schweden. Die alarmierte Polizei verwundete ihn danach tödlich. Vermutet werden hierbei rassistische Motive.
Wie in China sind auch die Fälle in Europa nicht lückenlos dokumentiert und können aufgrund unterschiedlicher Motive nicht miteinander verglichen werden. Seit 2010 kam es laut Recherchen von watson aber zu mindestens 20 verschiedenen Attacken auf Kinder, Jugendliche oder Angestellte einer Bildungsinstitution – 13 seit 2022. Angesichts der deutlich geringeren Bevölkerung ebenfalls eine beunruhigende Anzahl – und im Ausmass vergleichbar mit China.
Nicht berücksichtigt ist dabei Russland. Dort kam es während der letzten zehn Jahre zu mindestens 14 Vorfällen.
Unterschiedlich ist hingegen der Umgang mit den Tätern in Europa und China – sofern sie ihre Tat überleben. Der 18-jährige Lehrermörder von Malmö wurde als erster Teenager in der Geschichte Schwedens zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Vergleichbar harte Strafen trafen auch die anderen Täter im alten Kontinent.
China kennt noch weniger Pardon. Mord gehört zum Katalog der 55 Straftaten, welche mit dem Tod bestraft werden können. Dies wird in der Regel auch angewendet. Je nach Ausmass wird die Todesstrafe auch für nicht tödliche Attacken ausgesprochen. Der beurlaubte Lehrer Chen Kangbing, der 2010 15 Schüler und eine Lehrerin in einer Primarschule verletzte, wurde genauso hingerichtet wie der 47-jährige Täter, der im selben Jahr 28 Kindergartenkinder und drei Erwachsene verletzte.
Schwierig einen Kontinent zu vergleichen wo alle Schulen offen sind, mit einem Land wo alle Schulen geschützt sind sowie an vielen Orten Sicherheitskontrollen stattfinden. Die Daten sind schon deshalb kaum vergleichbar.
Sollen wir jetzt tatsächlich daraus lesen, dass es nichts mit dem kulturellen Hintergrund des Täters zu tun hat? Oder dass die Chance bei jedem anderen Europäer gleich ist? Dass es nur ein statistischer Zufall ist, dass in der Schweiz noch nichts geschah?