Warum die UBS der Schweiz den Rücken kehren könnte – und was Sergio Ermotti jetzt sagt
Das amerikanische Boulevardblatt «New York Post» geniesst keinen seriösen Ruf. Als es vor einer Woche schrieb, die Grossbank UBS erwäge einen Wegzug aus Zürich in die USA, löste das in der Schweiz zwar einige Reaktionen aus. Aber kaum jemand glaubte wirklich, dass da was dran sei.
Wie oft wurde in den letzten Jahren spekuliert, die UBS verlasse die Schweiz? Schon unter dem früheren Chef Oswald Grübel gab es solche Storys, in der ersten CEO-Ära von Sergio Ermotti ebenfalls, und auch in seiner zweiten Ära, nach der CS-Übernahme. Nie war es wahr.
Eine Verlagerung des Hauptsitzes ins Ausland erwies sich im Fall der UBS als genauso abwegig wie bei Nestlé, wo es unter Peter Brabeck ebenfalls solche Drohungen gab. Oder bei zahlreichen anderen Unternehmen, die – etwa im Abstimmungskampf zur Abzocker-Initiative – laut über einen Wegzug nachdachten, sollte die Politik dieses oder jenes entscheiden. «Der Wolf kommt!» Das haben wir hundertmal gehört. Der Wolf kam kein einziges Mal.
Die «Schweiz am Wochenende» versuchte diese Woche, von der UBS ein offizielles Dementi zu bekommen. Eine klare Aussage, am besten von CEO Ermotti, welche die Spekulation der «New York Post» widerlegt und die bekräftigt: «Der Hauptsitz bleibt in der Schweiz.»
Ein solches Dementi war nicht erhältlich. Die Antwort vom Paradeplatz lautete: «Wenn wir anfangen, Gerüchte zu dementieren, gilt jedes nicht dementierte Gerücht als bestätigt.» Darum: No comment. Die Logik leuchtet ein, die Reaktion ist nicht ungewöhnlich. Doch die Entschlossenheit der Kommunikationsstelle, nichts zu sagen, wirkte seltsam demonstrativ.
Von einer leeren Drohung zum realen Szenario
Und so tat diese Redaktion, was Kommunikationsstellen gar nicht mögen: Sie begann, sich in der Bank direkt umzuhören. Gespräche mit Insidern ergaben ein erstaunliches Bild. Versuche, ein inoffizielles Wegzugs-Dementi zu bekommen, scheiterten. Medienberichte von «Bilanz» bis «NZZ», die einen Wegzug als unwahrscheinlich bezeichneten, wurden gereizt als «überholt» bezeichnet. Die Stimmung sei gekippt. Im Gegensatz zu früheren, ähnlichen Spekulationen muss man feststellen: Etwas hat sich geändert. Nach ungezählten, haltlosen Wegzugsgerüchten ist das Szenario diesmal real.
Warum aber sagt das UBS nicht offen? Sie ist ein gebranntes Kind. Ihr Lobbying gegen strenge Kapitalanforderungen kam in Bern schlecht an. Das Powerplay erwies sich als kontraproduktiv. In der Public-Affairs-Abteilung befürchtet man: Jetzt über einen Abzug aus der Schweiz zu reden, würde als Drohung verstanden und im Bundeshaus zu einer Trotzreaktion führen. Bei Finanzministerin Karin Keller-Sutter, aber auch im Parlament, das über die Bankenregulierung beraten wird. Darum: Lieber schweigen.
Wie ist aus einer einst leeren Drohung, die Schweiz zu verlassen, ein reales Szenario geworden? Hat Sergio Ermotti seine Meinung geändert? Hat er es satt, sich mit der Innenpolitik herumzuschlagen? Ist er auf Rache aus, weil er sich von der Politik zu wenig wertgeschätzt fühlt?
Treibende Kraft hinter den Wegzugspläne ist mitnichten Ermotti. Im Gegenteil, er hält dagegen. Wer die Geduld verliert, sind Aktionäre und Investoren. Von einem «Valuation Gap» von 30 bis 40 Milliarden Franken ist die Rede, zurückzuführen auf die geplante schärfere Regulierung und die politischen Unsicherheiten. Will heissen: Der Börsenwert der UBS läge um diesen enormen Betrag höher, wenn die Politik die UBS «nicht gängeln und sie um ihre Wachstumsperspektiven bringen würde», wie es eine Quelle formuliert.
Die Aktionäre haben das Sagen, nicht der CEO
Sie sagt: «Bei Nestlé haben Sie gesehen, wer entscheidet, wenn es hart auf hart geht. Die Aktionäre und Investoren.» Bei Nestlé musste auf deren Druck hin zuerst der CEO und diese Woche auch der Verwaltungsratspräsident gehen. Bei der UBS sind nur 12 Prozent der Aktionäre Schweizer. Die traditionsreiche Grossbank gehört mehrheitlich Ausländern. Den grössten Anteil Aktionäre stellen: die Vereinigten Staaten von Amerika.
Diese buhlen zurzeit auf politischer Ebene wie nie zuvor um die UBS. Donald Trump spricht zwar am liebsten von industriellen Arbeitsplätzen, aber er sucht auch Prestige-Siege in der Finanz- und Tech-Welt. Die führende Schweizer Bank ins Land zu holen, wäre ein Triumph. Zu den heute 25'000 zumeist sehr gut bezahlten Arbeitsplätzen kämen Abertausende hinzu. Die meisten davon in New York.
Und hier kommt die «New York Post» ins Spiel. Sie steht im Gegensatz zur angesehenen Rivalin «New York Times» den Republikanern und Trump nahe. Woher will die «Post» wissen, dass die UBS die Verlagerung ihres Hauptsitzes von Zürich in die USA auf neue Kapitalanforderungen in der Schweiz prüfe – als «radikale Antwort», wie das Blatt schreibt?
Leak aus der UBS oder dem Trump-Umfeld
Vielleicht aus UBS-Investorenkreisen, die sich diese Verlagerung wünschen. Vielleicht auch aus der Trump-Regierung. Im Artikel heisst es, UBS-Präsident Colm Kelleher und CEO Ermotti seien bereits mit Vertretern der Trump-Regierung zusammengetroffen, um über eine Umsiedlung zu sprechen.
Aus der UBS ist zu erfahren: Kontakte mit US-Behörden fanden statt. Diese hätten auf bereits vollzogene und noch geplante Deregulierungen für die Finanzbranche hingewiesen. Damit wolle man die US-amerikanischen Banken im globalen Wettbewerb grösser machen (gemessen am Börsenwert) und den Abstand zu den chinesischen Mitbewerbern ausbauen. Und: Westliche Institute sollen in die USA ziehen. Explizit das Schweizer Kronjuwel, die UBS. In der «New York Post» wurde ein US-Regierungsvertreter mit den Worten zitiert: «This is what we want.»
Das Buhlen der USA um den UBS-Hauptsitz fällt zeitlich mit der Zuspitzung der innenpolitischen Debatte in der Schweiz zusammen. In wenigen Tagen startet die Vernehmlassung für die verschärften Eigenkapitalanforderungen, das «pièce de résistance» der Bankenregulierung. Alle ausländischen UBS-Töchter müssen gemäss Vorschlag mit 100 Prozent Eigenkapital unterlegt werden. Über das Gesetz wird das Parlament und bei einem Referendum das Volk entscheiden. Für die UBS hiesse das: Sie müsste rund 24 Milliarden Franken mehr Kapital beschaffen. Dazu müsste sie Gewinne einbehalten und nicht an die Aktionäre ausschütten, was wiederum auf den Aktienkurs drückt.
Aktionäre verstehen innenpolitische Logik nicht
Keller-Sutter will damit die Risiken besser absichern und verhindern, dass die UBS mit Fremdkapital expandiert und im äussersten Fall der Bund für Auslandabenteuer geradestehen müsste.
Versuche der UBS-Spitze, Keller-Sutter von einer «wachstumsfreundlicheren» Lösung zu überzeugen, scheiterten. Während Ermotti die innenpolitische Logik noch versteht – es ist unpopulär, für eine Grossbank einzustehen –, haben einflussreiche Aktionäre und Investoren «null Verständnis» dafür. Sie sehen nur: Die USA machen ihren Banken das Leben leichter und buhlen um die UBS. Und die Schweiz – sie wirft der UBS Steine in den Weg.
Ein hochrangiger UBS-Mann sagt es so: «Bei uns verfestigt sich der Eindruck: Die Schweiz will die UBS gar nicht mehr.» Er verweist auf Leserbriefe im «Blick», der von Ringier herausgegeben wird, wo UBS-Vizepräsident Lukas Gähwiler im Verwaltungsrat sitzt. «Die UBS kann ruhig in die USA ziehen, dann sind wir das Klumpenrisiko los», «Soll sie doch gehen», «Viel Spass bei den Amis!», «Ermottis UBS passt perfekt zu Trumps Amerika», «Bye-Bye, UBS!». Solche Sätze standen auf einer Leserbriefseite, die UBS-intern als PDF zirkulierte.
Auf der Teppichetage hält man das für die «Vox populi» und die Mehrheitsmeinung. Was wohl eine Fehleinschätzung ist. Die meisten Schweizerinnen und Schweizer dürften sich durchaus bewusst sein, dass die UBS einer der grössten Steuerzahler ist (1 Milliarden Franken pro Jahr), einer der grössten Arbeitgeber (34'000 Jobs), für viele KMU ein wichtiger Auftraggeber und in Kultur und Sport ein unverzichtbarer Sponsor.
Aber die Chefetage ist gekränkt ob der «UBS-feindlichen Stimmung» in Volk und Politik, und die Aktionäre wiederum sehen nur, dass die Regulierung auf Gewinne und den Aktienkurs drückt. Beides zusammen führt zu einer gefährlichen Mischung. Eine Quelle sagt es klipp und klar: «Wenn das Parlament die Vorschläge des Bundesrats bestätigt, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweiz den UBS-Hauptsitz verliert, bei deutlich über 50 Prozent. Heute würde ich sagen: Dann verliert die Schweiz die UBS.»
Kann das wirklich sein? Eine Verlagerung des Hauptsitzes wäre eine juristisch und logistisch teure Operation, und sie würde das Gütesiegel «Schweiz» gefährden, von dem das wichtigste Geschäft lebt – die Vermögensverwaltung. Genau dieser Punkt wird UBS-intern aber inzwischen relativiert. Die UBS würde ja in der Schweiz gross vertreten bleiben, mit vielleicht noch 20'000 statt heute 33'000 Angestellten, während in den USA von 25'000 auf 35'000 aufgestockt würde. Und: Die Marke UBS sei so stark und mit der Schweiz verbunden, dass das Label faktisch auch bei einem Hauptsitz in New York bestehen bliebe.
Die Kreise, die so argumentieren, gewinnen zurzeit Oberwasser. Sie sehen wohl den Preis eines Abzugs aus der «Banken hassenden» Schweiz, halten aber die langfristigen Chancen in einer «bankenfreundlichen Umgebung» für grösser: Dann wäre wieder Wachstum möglich, und ohne Wachstumsperspektive könne keine Bank der Welt langfristig erfolgreich bestehen.
Tatsächlich ist die UBS heute im globalen Massstab keine echte Grossbank mehr. Ihren Platz in den Top 10 der wertvollsten Banken musste sie längst preisgeben, sie liegt aktuell gemessen an der Börsenkapitalisierung noch auf Platz 21.
War die UBS – noch ohne CS – einst auf Augenhöhe mit den US-Banken, so ist heute JP Morgan Chase fast siebenmal so viel wert. UBS-Investoren betonen denn auch: Gehe das so weiter, werde die UBS zu einem Übernahmeobjekt.
Im Finanzministerium von Karin Keller-Sutter glaubt man nach wie vor nicht, dass die Schweiz die UBS verliert – weder durch Übernahme durch ein ausländisches Institut noch durch eine Sitzverlagerung. Man zählt dort auf den «Patriotismus» von CEO Sergio Ermotti. Aber was ist mit den Aktionären? Und was ist, wenn auf den 65-jährigen Ermotti ein Ausländer als nächster CEO folgen sollte? Etwa der Amerikaner Robert Karofsky, Co-Chef der Vermögensverwaltung, der nicht einmal weiss, wo Bern liegt)
Ermotti selbst weilte am Freitag in seiner Tessiner Heimat, wo er am Abend einen Auftritt hatte. Gegenüber der «Schweiz am Wochenende» lässt er sich wie folgt zitieren: «Ich kämpfe bis zur letzten Sekunde dafür, dass UBS aus der Schweiz heraus erfolgreich operiert.» Weiter mag er sich nicht zur Wegzugsdiskussion äussern. (aargauerzeitung.ch)