Forscherin entwickelt Verjüngungscocktail für alternde Eizellen der Frau
Noch nie haben Frauen so spät Kinder bekommen wie heute. In der Schweiz steigt die Zahl der Geburten bei älteren Müttern seit Jahren deutlich an: Heute ist jede zehnte Mutter bei der Geburt über 40, viele sogar 45 oder älter.
Und während gemäss neuesten Erhebungen des Bundesamts für Statistik immer mehr Personen sich bewusst gegen Kindern entscheiden, bleibt gleichzeitig fast jedes fünfte Paar als ungewollt kinderlos. Denn die Biologie hält mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht Schritt. Die Eizellen der Frauen werden mit dem Alter nicht nur weniger, sondern altern und verlieren an genetischer Stabilität. Die Folge: Die Fruchtbarkeit sinkt bereits ab 30 Jahren, ab 35 geht es steil bergab.
Zwar beobachtet man auch bei Männern eine Abnahme der Spermienqualität, beeinflusst durch Umweltfaktoren wie Chemikalien und durch Lebensstilfaktoren wie Rauchen. Doch während sich die männlichen Probleme im Rahmen von Behandlungen mit In-vitro-Fertilisation (IVF) besser lösen lassen, sieht es beim Alter der Frau anders aus: «Das steigende Alter der Mütter – genauer gesagt ihrer Eizellen – ist ein Problem ohne medizinische Lösung und der wichtigste Grund dafür, dass es für immer mehr Paare schwierig wird, Eltern zu werden», sagt Melina Schuh, Direktorin am deutschen Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen.
17 Millionen IVF-Babys
Schuh leitet nicht nur ein Labor in Göttingen, sondern auch eines an der legendären Bourn Hall Clinic im englischen Cambridge – der weltweit ersten IVF-Klinik, gegründet von den Erfindern der Methode. Als 1978 das erste «Retortenbaby», Louise Brown, geboren wurde, war das eine medizinische Sensation. Heute sind nach Schätzungen eines US-Forschungsteams um den Reproduktionsmediziner David Adamson weltweit bis zu 17 Millionen Kinder durch IVF zur Welt gekommen.
Zwar ist die Erfolgsquote seit den Pioniertagen deutlich gestiegen. Damals führte nur etwa jede zwanzigste IVF-Behandlung zu einer Schwangerschaft. Doch auch heute scheitern viele Versuche. «Bei Frauen unter 35 Jahren enden fast 70 Prozent aller Zyklen ohne Erfolg, bei 40- bis 42-Jährigen sind es sogar um die 90 Prozent», sagt Schuh.
Bekannt ist seit Langem, dass Eizellen häufig zu viele oder zu wenige Chromosomen – die Träger des Erbguts – besitzen. Spermien hingegen enthalten in aller Regel die korrekte Zahl. «Wenn Eizellen mit einer falschen Chromosomenzahl befruchtet werden, entsteht meist kein lebensfähiger Embryo», erklärt Schuh. Warum aber häufen sich diese Fehler mit dem Alter? Schuh und ihr Team konnten zeigen, was dahintersteckt: Mit zunehmendem Alter fallen die Chromosomenpaare während der Reifung der Eizelle und vor der Befruchtung auseinander.
Man kann sich das vorstellen wie Schuhpaare, die einst ordentlich im Regal standen. Mit den Jahren kippen sie um und fallen zu Boden, wo sie verstreut liegen bleiben. Wenn sich die Eizelle dann teilt, braucht jede Hälfte genau einen Schuh von jedem Paar. Doch im Chaos greifen sie manchmal zu zwei linken Schuhen oder vergessen an einem Fuss den Schuh ganz. Das Ergebnis: fehlerhaftes Erbgut, das zu keiner erfolgreichen Schwangerschaft führt.
Jungbrunnen für die Eizellen
Es gibt jedoch Grund zur Hoffnung. «Wir haben mehrere Wirkstoffe identifiziert, die das Auseinanderfallen der Chromosomen verhindern und den Anteil gesunder Eizellen deutlich erhöhen», sagt Schuh. Noch unveröffentlichte Daten an menschlichen Eizellen zeigen, dass die Zahl der Zellen mit auseinandergefallenen Chromosomen fast halbiert werden konnten.
Ein möglicher Ansatzpunkt ist das Protein namens KIFC1, das dafür sorgt, dass Chromosomen während der Zellteilung korrekt auseinandergezogen werden. In Eizellen von Mäusen, Rindern oder Schweinen ist es reichlich vorhanden – in menschlichen Eizellen hingegen kaum. Als Schuhs Team das Protein künstlich zuführte, traten tatsächlich deutlich weniger Fehler auf. Ein entsprechendes Patent wurde bereits angemeldet.
«Der Wirkstoff könnte im Rahmen einer IVF-Behandlung einfach direkt in die Eizelle injiziert werden – genau zu dem Zeitpunkt, bevor die Chromosomen auseinanderfallen», erklärt Melina Schuh. Die dafür nötige Technik sei längst etabliert und würde sich am ICSI-Verfahren orientieren, bei dem ein Spermium mit einer feinen Nadel gezielt in eine Eizelle einbringt.
Um solche Erkenntnisse aus dem Labor in die Klinik zu bringen, gründete Schuh Anfang dieses Jahres das Start-up Ovo Labs. «Mich schreiben seit Jahren Paare an», erzählt sie. «Sie berichten von langen, zermürbenden und erfolglosen IVF-Versuchen und fragen nach Optionen.» Meist müsse sie antworten, dass es leider keine gebe. Aus dieser Lücke heraus sei die Idee für Ovo Labs entstanden. Das Interesse von Investorinnen und Investoren sei entsprechend gross gewesen.
Gleichzeitig dämpft Schuh die Erwartungen: Wann die ersten klinischen Studien beginnen, sei offen. Die Optimierung der Wirkstoffe und Sicherheitsprüfungen bräuchten Zeit.
Babies aus Hautzellen?
Ebenso betont Schuh: «Unser Ziel ist es, Frauen in ihren späten 30ern und frühen 40ern zu unterstützen.» Auf die Frage, ob sich die Methode auch auf 60- oder 70-Jährige anwenden liesse, reagiert sie zurückhaltend: «Das ist weder unser Ziel, noch möglich: In der Menopause findet keine Eizellreifung mehr statt.»
Für andere Forschende ist das allerdings längst keine Grenze mehr. Wenn Frauen keine funktionsfähigen Eizellen mehr haben – etwa aufgrund ihres Alters oder medizinischer Ursachen –, könnten theoretisch normale Körperzellen, etwa Hautzellen, als Ausgangsmaterial dienen, um daraus Eizellen zu erzeugen. Mit diesem Ansatz machte Ende September ein Team der Oregon Health & Science University internationale Schlagzeilen. Im Fachblatt «Nature Communications» berichteten die Forschenden, es sei gelungen, Zellkerne aus Hautzellen so zu manipulieren, dass sie sich in Eizellen verwandelten.
Die Forschenden sehen darin eine neue Perspektive für die Reproduktionsmedizin. «Neben der Hoffnung für Millionen von Menschen, die aufgrund fehlender Eizellen oder Spermien unfruchtbar sind, eröffnet diese Methode auch die Möglichkeit, dass gleichgeschlechtliche Paare ein genetisch gemeinsames Kind haben könnten», sagte Mitautorin und Gynäkologin Paula Amato in einer Mitteilung.
Sie und ihre Kollegen räumen allerdings ein, dass es sich um eine reine Machbarkeitsstudie handelt. Bis sich tatsächlich funktionsfähige Eizellen herstellen liessen, seien noch mindestens zehn Jahre Grundlagenforschung nötig. Bis dahin bleibt das alles Science-Fiction – und gibt dennoch einen Vorgeschmack darauf, wie radikal sich die Reproduktionsmedizin verändern könnte. (aargauerzeitung.ch)
