Immer wieder haben deutsche Politiker und Repräsentanten die Schweiz angeprangert, sie verhindere mit ihrem strengen Kriegsmaterialgesetz die Hilfe an die Ukraine. Konkret: Sie blockiere die Weitergabe von 12'400 Schuss für den Fliegerabwehrpanzer Gepard ins Kriegsgebiet. Diese Munition wurde vor Jahren in der Schweiz produziert und nach Deutschland geliefert – unter der Bedingung der Nichtwiederausfuhr.
Der Bundesrat schmetterte die deutschen Gesuche ab, wie auch Gesuche anderer Staaten zur Weitergabe von Kriegsmaterial. Ihm seien die Hände gebunden. In der Tat: Erst 2021 wurde das Kriegsmaterialgesetz verschärft, wobei das Parlament ausdrücklich darauf bestand, dem Bundesrat kein Recht auf Ausnahmen zuzugestehen. Das war freilich vor dem Krieg.
Rasch nach dem russischen Angriff änderten FDP und Mitte ihre Position: Zwar soll die neutrale Schweiz weiterhin weder Waffen noch Munition direkt in die Ukraine liefern. Rüstungsmaterial aus Schweizer Produktion soll aber von anderen Staaten aus deren Beständen abgegeben werden dürfen. Letzte Woche schwenkte auch die SP um: Wird ein kriegerischer Angriff von der UNO-Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit als völkerrechtswidrig verurteilt, soll Kriegsmaterial weitergegeben werden dürfen. Im Fall der Ukraine ist das Kriterium erfüllt.
Die SVP aber hielt an ihrer Position der strikten Neutralität fest. Noch am Mittwochmorgen verschickte sie ein Communiqué, in dem Vorschläge der Mitte und der SP zur Weitergabe von Waffen, die vergangene Woche in der Sicherheitskommission des Nationalrats gutgeheissen wurden, als Gefahr für die Sicherheit des Landes kritisiert werden.
Doch hinter den Kulissen bahnt sich die Wende an: Werner Salzmann, Berner SVP-Ständerat und Präsident der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats, wird am Donnerstag in der Kommissionssitzung zwei Anträge einreichen. Diese laufen darauf hinaus, dass Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion weitergegeben werden darf.
Salzmanns Vorstösse, die mit der Partei abgesprochen sind, erfolgen allerdings nicht etwa mit dem Ziel, der Ukraine zu helfen. «Mir ist wichtig, dass wir das Neutralitätsrecht einhalten», sagt er, «und solange wir nicht direkt Waffen ins Kriegsgebiet liefern, ist das der Fall.» Die Blockade sei nicht neutralitätsrechtlicher Natur, sondern im Kriegsmaterialgesetz begründet. «Das müssen wir ändern», erklärt Salzmann, «im Interesse der Schweizer Rüstungsindustrie.»
Offenbar hat Salzmann (militärischer Rang: Oberst) realisiert, was sich schon früh nach Ausbruch des Kriegs abzeichnete: Dass ein absolutes Nein der Schweiz zur Frage der Waffenlieferungen über kurz oder lang die Rüstungsindustrie in der Schweiz in Frage stellen würde. Und damit auch das hochgehaltene Prinzip der bewaffneten Neutralität – das ausgerechnet die SVP mit ihrer neusten Initiative in die Verfassung schreiben will.
Die Rolle der Rüstungsindustrie mit ihren je nach Schätzung 15'000 bis 30'000 Arbeitsplätzen (manche Betriebe mögen sich nicht offiziell dazu zählen) ist in der Schweiz weniger von volkswirtschaftlicher als von militärischer Bedeutung. Sie soll dafür sorgen, «dass Betrieb und Unterhalt von Kriegsmaterial im Inland sichergestellt werden kann», sagt Salzmann: «Unsere Milizarmee beruht auf der einheimischen Rüstungsindustrie.»
Zudem soll sie sich, wie Experten sagen, mit spezialisierten Produkten in internationale Produktionsketten – vorab jene der Nato – eingliedern. Dank gegenseitiger Abhängigkeiten, so die Idee, würde die Schweiz auch im Notfall mit ausländischem Kriegsmaterial versorgt.
Die Strategie hat nun aber den Haken, dass die Schweizer Lieferanten im entscheidenden Moment ausfallen: in Kriegszeiten. Bereits hat der Rüstungskonzern Rheinmetall laut Medienberichten damit begonnen, Produktionslinien aus der Schweiz ins Ausland zu verlagern. Und bei einem Treffen der Rüstungskonzerne mit Bundesrat Parmelin letzte Woche «haben von den zwölf Anwesenden alle ein Beispiel aus ihrer Produktpalette genannt, bei denen sie wegen des Lieferverbots international unter Druck kommen», sagt Matthias Zoller vom Arbeitskreis Sicherheit und Wehrtechnik, der Lobbyorganisation der Waffenschmieden.
Inhaltlich ergänzt Salzmanns Antrag einen Vorstoss von FDP-Präsident Thierry Burkart. Dieser will die Nichtwiederausfuhrerklärungen für jene Länder abschaffen, die ähnliche Werte vertreten wie die Schweiz und ein vergleichbares Exportkontrollregime haben. Die 25 Länder finden sich schon jetzt auf einer Liste der Kriegsmaterialverordnung; es sind vorab europäische Staaten, dazu unter anderen die USA, Japan oder Australien.
Die Abschaffung der Nichtwiederausfuhrrestriktion soll auch die bereits in der Vergangenheit erfolgten Beschaffungen betreffen, wie etwa die Gepard-Munition: «Das ist möglich», sagt Burkart, «die Schweiz kann von sich aus auf die Bedingung der Nichtwiederausfuhr verzichten.»
Salzmanns Antrag konkretisiert Burkarts Vorstoss in einem Punkt: «In der Schweiz beschafftes Kriegsmaterial soll erst nach frühestens fünf Jahren weitergegeben werden dürfen.» Damit sei sichergestellt, dass das auf der Neutralität beruhende Verbot direkter Lieferungen in ein Kriegsgebiet nicht umgangen werde, sagt Salzmann. Die Neutralität bleibe gewahrt.
Mit seinem zweiten Antrag möchte Salzmann dem Bundesrat bei der Bewilligung von Waffenexporten jenen Spielraum zurückgeben, den das Parlament im Herbst 2021 ausdrücklich verweigerte. Dies, nachdem die Regierung über Jahre die Exportkriterien gelockert hatte: Selbst Staaten, in denen die Menschenrechte schwer und systematisch verletzt wurden, konnten in der Schweiz Waffen beziehen.
Das Misstrauen im Parlament gegenüber dem Bundesrat war in dieser Frage gross. Zudem war die strikte Regelung Voraussetzung dafür, dass die Korrekturinitiative zurückgezogen wurde, die Waffenexporte stark eingrenzen wollte. Ob die Räte nun darauf zurückkommen, zeigt sich am Donnerstag. (aargauerzeitung.ch)
PeterausLuzern
leykon
Der SVP geht es ums Geld, nicht um die Menschen...
Schlaf
Unserer "neutralen" Rüstungsindustrie, könnte Schaden entstehen.
Dieses Verhalten geht unter keine Kuhhaut, Politiker die sich so verhalten, schaden dem ganzen Land.
Nachhaltig!