Patricia Danzi hat jahrelang selbst humanitäre Hilfe geleistet. Als Chefin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) muss sie nun in Bern dafür sorgen, dass die Gelder für die Internationale Zusammenarbeit nicht zusammengestrichen werden. Ein erster Entscheid ist gefallen: Der Bundesrat will für die nächsten vier Jahre 11,27 Milliarden sprechen, wovon allerdings 1,5 Milliarden an die Ukraine gehen.
Frau Danzi, der Bundesrat hat die Strategie für die internationale Zusammenarbeit für die nächsten vier Jahre verabschiedet. Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste daran?
Patricia Danzi: Dass sie verabschiedet ist (lacht). Das war ein langer Weg. Es sind immer neue Konflikte auf der Welt hinzugekommen. Nun ist das Parlament an der Reihe. Das dauert weitere sechs Monate.
Was ist inhaltlich das Wichtigste?
Die wichtigste Neuerung ist, dass die Ukraine 1,5 Milliarden Franken erhält. Seit Kriegsausbruch ist das ein neuer Akzent.
Das Geld für die Ukraine wird aus dem Budget der Internationalen Zusammenarbeit genommen. Trotz der vielen Krisen gibt es dadurch weniger Geld für die ärmsten Länder. Das kann Ihnen als Deza-Chefin nicht gefallen.
Was mir als Deza-Chefin nicht gefallen kann, ist, dass es so viele Krisen gibt. Wir müssen Prioritäten setzen, und eine davon ist die Ukraine. Die 1,5 Milliarden Franken werden gut investiert in einem Land, das uns geografisch nah ist und aus dem wir viele Flüchtlinge bei uns haben. Ein Land auch, das wir friedenspolitisch, wirtschaftlich, humanitär und bilateral schon sehr lange begleiten.
Können Sie konkret sagen, wo gekürzt wird?
Wir steigen aus keinem Land aus. Aber wir müssen vielerorts etwas kürzen – nicht nur wegen der Ukraine, sondern auch wegen den Querschnittskürzungen des Bundes. Schweizer NGO mussten schon dieses Jahr lineare Kürzungen auffangen, das Gleiche gilt für UNO-Partnerschaftsorganisationen. In den Ländern lassen wir gewisse Projekte auslaufen oder fangen neue nicht an. Wir versuchen dabei, nicht abrupt auszusteigen. Wenn möglich, nehmen wir das Partnerland schneller in die Verantwortung oder schauen, ob andere Länder Aktivitäten übernehmen können.
Bundesrat Cassis sagte kurz nach Ausbruch des Kriegs in einem Interview, man sollte das Geld für die Ukraine nicht nur aus der Entwicklungszusammenarbeit nehmen. Warum gilt das nicht mehr?
Die finanzpolitische Realität hat sich seit Ausbruch des Kriegs geändert. Das hat beim Entscheid sicher auch eine Rolle gespielt.
Wie erklären Sie jemandem im Globalen Süden, dass die reiche Schweiz kein Geld hat, ein Projekt fortzuführen?
Es ist allen klar, dass die Schweiz als Land in Europa für die Ukraine etwas machen will. Für die meisten Partnerländer ist es wichtig, dass die Schweiz präsent bleibt. Wenn wir nun in einem Land 80 statt 100 Millionen zur Verfügung haben, schauen wir mit den Ländern, welche Prioritäten wir setzen können und ob wir etwas später oder über einen längeren Zeitraum machen.
Trotzdem: Jemand wird darunter leiden.
Der Bundesrat sieht insgesamt ein leicht höheres Budget vor wie in den vergangenen vier Jahren. Es ist jedoch so, dass weniger Geld vorgesehen ist ausserhalb der Ukraine. Weniger Geld heisst aber nicht unbedingt, dass man zwingend weniger Wirkung erzielen muss. Unsere Aufgabe ist es, unsere Effizienz und diejenige unserer Partner auszureizen. Das hat auch ein gewisses Potenzial für Innovation.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, wie die Effizienz ausgereizt werden kann?
Um bei Problemen näher dran zu sein, schicken wir beispielsweise Leute aus Bern in Gebiete, wo wir tätig sind. Die Effizienz kann man auch bei der Evaluation von Projekten steigern – indem man klar definiert, was man genau wissen will und wer es danach umsetzen muss. Effizienzgewinne sind zudem möglich über Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und durch Lokalisierung.
Was meinen Sie damit?
Dass man direkt mit lokalen Partnern zusammenarbeitet. Das ist längerfristig günstiger, aber oft nicht einfach wegen unseren Compliance-Mechanismen und anderen Vorgaben.
In den letzten vier Jahren hat die Deza die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor ausgebaut. Hat sich das bewährt?
Es hat sich bewährt, aber wir sind noch nicht dort, wo wir hin wollen. Dafür reichen vier Jahre nicht. Zudem haben uns die vielen Krisen zurückgeworfen.
Sie haben lange als IKRK-Delegierte gearbeitet und viel Leid gesehen. In der Schweiz ist das für die meisten weit weg. Wie nehmen Sie die hiesige Diskussion über die Internationale Zusammenarbeit wahr?
Die humanitäre Hilfe ist bekannt. Die Schweizer und Schweizerinnen sind sehr grosszügig, auch mit Spendengeldern. Schwieriger ist es, Verständnis dafür zu wecken, was multilaterale UNO-Organisationen, die Weltbank oder die verschiedenen Fonds bewirken, und was die Rolle der Schweiz in diesen Partnerorganisationen ist. Es ist unsere Aufgabe, das besser zu erklären.
Gibt es den Druck, in Projekte zu investieren, die der Schweiz nützen? Etwa beim Thema Migration?
Jedes Land hat Eigeninteressen. Jene der Schweiz sind bescheiden im Vergleich zu Ländern, die Rohstoffgelüste oder territoriale Ansprüche haben. Die Schweiz hat diese Eigeninteressen lange nicht benannt – erst seit der letzten Strategie tun wir das: Als kleines, exportorientiertes Land sind wir interessiert daran, dass es erstens in unserer Nähe keine Konflikte gibt und dass zweitens die globale Wirtschaft möglichst nicht behindert wird. Drittens ist es nicht in unserem Interesse, dass Fluchtbewegungen sich auf die Schweiz ausweiten. Darum ist es im Interesse der Schweiz, Frieden zu fördern sowie Armut und Klimawandel zu bekämpfen.
Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass mit der Internationalen Zusammenarbeit die Migration in die Schweiz reduziert werden kann?
Das Hauptinteresse für die Schweiz und die Menschen vor Ort ist es, Fluchtursachen vor Ort entgegenzuwirken. Kriege, Dürren oder Fluten können diese auslösen. Auch wenn Arbeitsplätze und Opportunitäten fehlen, versuchen wir, vor Ort Lösungen zu finden. Wir knüpfen unsere Aktivitäten aber nicht zwingend an die Bedingung, dass ein Land ein Rückübernahmeabkommen mit der Schweiz abschliesst.
Warum nicht?
Weil dies nicht überall funktioniert. Nehmen wir als Beispiel Afghanistan: Ein grosser Teil der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Wir haben die Ambition, ab Juli wieder eine ständige Präsenz vor Ort zu haben mit einem humanitären Büro und einen Mehrwert zu kreieren für die Bevölkerung – auch, aber nicht nur, damit sie weniger Grund hat zu migrieren. Das machen wir, unabhängig davon, ob es ein Abkommen gibt. Unsere Unterstützung orientiert sich an den Bedürfnissen.
Es gibt die Kritik, es werde zu viel Geld ins Ausland geschickt, statt es für die hiesige Bevölkerung einzusetzen. Warum soll die Schweiz in den nächsten vier Jahren 11 Milliarden im Ausland investieren?
Wir sind mitten in Europa, wir sind keine Insel. Nicht weit von uns weg gibt es Kriege. Das hat längerfristig auch einen Einfluss auf uns, auf unser Leben. Wir haben eine humanitäre Tradition, die bereits in der Bundesverfassung verankert ist und die auch im internationalen Genf zu Hause ist. Zudem sorgen wir mit unserer Unterstützung auch für mehr Stabilität in der Welt. Davon profitiert die Schweiz.
FDP und SVP wollen wegen der angespannten Finanzlage bei der Entwicklungszusammenarbeit sparen. Wie wollen Sie das verhindern?
Wir können aufzeigen, welche Bedürfnisse es gibt, wo wir einen Unterschied machen können und wie viel das kostet. Und es ist wichtig, zu betonen, dass Internationale Zusammenarbeit im Interesse der Schweiz ist.
Es gibt die Kritik, dass die Internationale Zusammenarbeit auch eine Industrie ist, zum Teil ein Selbstzweck: NGO und internationale Organisationen wollen nicht auf Gelder verzichten.
Wenn man sieht, wie gross die Bedürfnisse weltweit sind, hat es eigentlich nicht genug Akteure, um diese abzudecken. Klar: Wenn man in einer NGO oder einer internationalen Organisation arbeitet und die wachsenden Bedürfnisse sieht, ist der natürliche Reflex, mehr Geld zu verlangen. Wir setzen uns jedoch auch dafür ein, dass nicht für jedes Problem neue Organisationen geschaffen werden.
Gemäss dem Rechenschaftsbericht kommen die unterstützten Projekte beim Punkt Nachhaltigkeit, also der Dauer der Wirkung, nur auf 55 Prozent. Das ist nicht brillant.
Das kann besser sein. Wir haben deshalb vor kurzem beschlossen, dass wir Projekte auch einige Jahre nach Abschluss noch einmal evaluieren, damit wir wissen, was sich verändert hat, was wir lernen können und ob es gar einen Mehrwert gab, den man nicht gleich gesehen hat. Das ist eine der Konsequenzen des Berichts.
Die vielen Krisen in der Welt schlagen den Menschen aufs Gemüt. Haben Sie einen Tipp, wie man besser damit umgehen kann?
Überall probieren, das Schöne, das Positive zu sehen. Das gibt es überall, nur ist es nicht immer sofort ersichtlich. Sich Zeit nehmen für sich selbst, Ruhephasen einbauen, nachdenken, nicht nur im Hamsterrad allen möglichen Sachen nachrennen. Jeder muss selber wissen, was für ihn richtig ist.
Was machen Sie, um abzuschalten?
Ich mache Powernaps. Und mindestens eine Stunde am Tag ist für mich reserviert, im Sommer verbringe ich sie meistens draussen, renne oder schwimme – etwas, bei dem man den Kopf durchlüften kann.
Dass wir aber unsere Hilfe nicht mit Rücknahmeabkommen verknüpfen, verstehe ich nicht.
Und hört einmal mit dem Irrglauben auf, dass man mit Entwicklungshilfe die Wirtschaftsmigration stoppen kann. Es sind nicht die Ärmsten, die nach Europa kommen, es ist der Mittelstand. Die Ärmsten können sich den Schlepper nämlich gar nicht leisten.
Von den 54 afrikanischen Ländern geht es exakt 2 (!) ganz wenig (!) besser, Senegal und Botswana. Notabene exakt die 2, die keine Hilfe erhalten.
Also irgendetwas stimmt einfach absolut nicht bei diesem enormen Fluss an Geld. Das muss aufhören.
O: Warum nicht?
> Weil dies nicht überall funktioniert.
Genau hier wäre das Interview spannend geworden.
Schade, dass sie hier ausweichend und verallgemeinernd antwortet.
Eine solche Antwort von der Deza-Chefin geht gar nicht! Es müsste genau umgekehrt sein: Entwicklungshilfe prinzipiell nur mit Rücknahmeabkommen.
Wahnsinn, dass wir dies überhaupt noch diskutieren müssen.
Natürlich müssen wir unsere Unterstützung vor Ort an zwingende Bedingungen knüpfen!