Frau Tresch, Sie sind Politologin und haben sich schon intensiv mit den diesjährigen Wahlen auseinandergesetzt. Welche Themen werden den Wahlkampf dominieren?
Anke Tresch: Umweltschutz, Klimawandel und Umweltkatastrophen haben die Wahlen 2019 dominiert. Das sind Themen, die die Menschen auch in diesem Wahljahr stark beschäftigen. Das zeigt das Sorgenbarometer der Credit Suisse und unsere jährlichen Befragungen im Rahmen der Schweizer Wahlstudie Selects. Der Ukraine-Krieg hat ausserdem die Energiefrage verschärft.
In diesen turbulenten Zeiten beschäftigt die Schweizer Bevölkerung sicher noch einiges mehr, erzählen Sie.
Es gibt tatsächlich vieles, was den Leuten unter den Fingernägeln brennt: Altersvorsorge, die Beziehung zu Europa, die steigenden Gesundheitskosten. Die Teuerung, die wir gerade erfahren, ist auch ein wichtiges Thema. Die steigenden Preise im Gesundheitswesen, gekoppelt mit höher werdenden Miet- und Strompreisen und ebenfalls den Lebensmitteln, die auch immer teurer werden. Hingegen hat die Covid-19 Pandemie an Bedeutung verloren.
Wie klar positionieren sich die Parteien bei diesen Thematiken?
Die Umwelt-, Klima- und Energieproblematik ist natürlich etwas, was stark mit den beiden grünen Parteien assoziiert wird. Das heisst aber nicht, dass sie die Einzigen sind, die sich für diese Themen einsetzen. Die SP hat weitestgehend deckungsgleiche Positionen in den Umwelt- und Klimafragen wie die Grünen. In der Wahrnehmung der Menschen werden aber eher die grünen Parteien mit diesen Themen in Verbindung gebracht. Sie scheinen als kompetenter und engagierter. Häufig sind die spezifischen Lösungsansätze, die eine Partei präsentiert, sekundär. Entscheidender ist, welche Partei die Wählenden als Themenführerin wahrnehmen.
Oft mehr Schein als Sein also. Können Sie auch Probleme nennen, die bewusst von den Parteien auf die Agenda gesetzt werden?
Die SVP beispielsweise versucht aktuell, die Migrationsfrage wieder stärker ins Zentrum zu rücken. Diese Frage hat der SVP auch schon bei vergangenen Wahlen geholfen. Bei den Wahlen 2015 hat die SVP vom Kontext der damaligen Flüchtlingskrise profitiert. Die Migrationsproblematik war bei den Wahlen 2019 nicht mehr so prävalent. Das hat zu einem Mobilisierungsproblem bei der SVP geführt. Deshalb möchten sie die Frage wieder in den Vordergrund rücken.
Welche Partei hatte 2019 keine Mobilisierungsprobleme?
Bei den vergangenen Wahlen konnten die GLP und die Grünen aufgrund der Klimafrage aufstocken. Die Themenlage kann bei jeden Wahlen gewisse Parteien begünstigen. Aber die Leute ändern nicht plötzlich ihre Einstellung und Präferenzen um 180 Grad. Es kommt selten vor, dass jemand SP wählt und dann SVP; Wählerbewegungen finden in der Regel innerhalb eines politischen Lagers statt. Es ist primär eine Frage der Mobilisierung. Wenn grüne Themen dominieren, dann bringt das auch mehr Menschen, die eine Affinität für solche Fragen haben, an die Urne.
Aber 2019 hat noch niemand von einer Strommangellage gesprochen. Denken Sie nicht, dass einige Wähler jetzt auf AKW-Strom setzen, weil sie darin eine gewisse Sicherheit sehen?
Die Frage der Versorgungssicherheit ist bei den aktuellen Wahlen neu. Sie wird von der FDP stark in den Vordergrund gestellt. Doch die Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung gegenüber der Förderung der Erneuerbaren noch immer sehr positiv eingestellt ist. Das ist kompatibel mit der Energiestrategie 2050 und dem Ausstieg aus der Atomenergie. Doch der FDP beispielsweise, geht es aktuell primär darum, dass man die bestehenden AKW noch laufen länger lässt. In unseren Umfragen konnten wir beobachten, dass ein substanzieller Teil der Bevölkerung diesem Vorhaben zustimmt.
Krisen haben demnach einen Einfluss auf das Wahl- und Stimmverhalten der Menschen.
Das stimmt nur bedingt. Krisen und auf die allgemeine Grosswetterlage sind sicher wichtig. Themen, die trenden, können die Mobilisierung beeinflussen. Doch: es gibt viele Konstanten und andere Faktoren, die beim Wahlentscheid ebenfalls mitspielen. Es gibt natürlich die rationalen Wähler, die sich brennend für Politik und aktuelle Themen interessieren. Die überlegen sich dann, welche Partei welche Lösung zu bieten hat und entscheiden sich aufgrund ihrer Recherchen für eine Partei. Die meisten Wählerinnen sind aber von der Politik weiter entfernt und entscheiden sich aus anderen Gründen für gewisse Parteien.
Wie entscheiden die Leute, die weiter entfernt sind von der Politik, welche Partei sie wählen?
Hier sind soziodemografische Faktoren von elementarer Bedeutung. Faktoren wie soziale Schicht, Bildungsstand, Einkommen, Wohnort und Religion. Parteisympathien sind auch sehr wichtig. Diese sind oft auf die Sozialisierung und das Umfeld der Wählerin zurückzuführen. All diese Faktoren beeinflussen das Wahlverhalten unabhängig der politischen Grosswetterlage.
Das heisst, die Wählerschaft bleibt ihrer Partei in der Regel treu?
Genau. Die Personen, die 2015 gewählt haben und 2019 wieder, sind zu einem grossen Teil bei derselben Partei geblieben. Bei der SVP ist das sehr ausgeprägt, sie haben eine loyale Wählerschaft: 85 Prozent von denen, die 2015 SVP gewählt haben, haben 2019 wieder SVP gewählt. Obwohl 2015 die Flüchtlingskrise im Fokus war und 2019 Klimafragen. Bei den anderen Parteien ist das zum Teil etwas weniger, aber es ist immer eine deutliche Mehrheit.
Jetzt ist es an der Zeit, dass sich ENDLICH auch andere Parteien, statt nur die SVP, um dieses real existierende Problem kümmern!
Vorbilder in Europa gibt es sehr wohl, z.B. Dänemark. Eine restriktive Asylpolitik verbunden mit hohen Anforderungen an die Einreisenden. Das würde ich mir auch von unseren Linken wünschen.