Im Herbst vor drei Jahren sagten Sie: «Es sieht gerade wirklich, wirklich gut aus.» Dieser Satz flog Ihnen später um die Ohren. Wagen Sie dennoch eine Prognose für diesen Herbst?
Marcel Salathé: (Lacht) Nein, da kann ich nur verlieren. Auf die harte Tour musste ich lernen, dass es nicht sehr clever ist, eine Voraussage über etwas zu treffen, worüber man selbst überhaupt keine Kontrolle hat. Die einzige Aussage, die ich mit grosser Sicherheit wage zu machen, ist, dass wir vom Coronavirus noch viel Neues erwarten dürfen.
Tatsächlich tauchte gerade erst die neue Variante namens Pirola auf, die sich unglaublich stark von allen bisherigen Omikron-Varianten unterscheidet. Hat Sie diese Wandlungsfähigkeit überrascht?
Nein, überhaupt nicht. Ich muss mir immer auf die Zähne beissen, wenn es heisst, das Virus habe sein evolutionäres Potenzial nun ausgeschöpft. Das ist Quatsch. Neue Kombinationen sind immer möglich. Vielleicht werden neue Varianten eines Tages nicht mehr so schnell aufeinander folgen oder es wird für längere Zeit einen evolutionären Stillstand geben. Aber ob das in absehbarer Zeit passiert, in zehn oder hundert Jahren, das lässt sich unmöglich sagen. Sicher ist es aber, dass die Immunität bei den meisten Personen inzwischen so gut ist, dass sie trotz neuer Varianten nicht mehr lebensbedrohlich an Corona erkranken.
Wird es dennoch Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen haben, wenn die stark mutierte Pirola-Variante in der Schweiz dominant wird?
Es ist noch früh, darüber gesicherte Aussagen zu treffen. Noch fehlen uns dazu Daten aus der realen Welt. Erste Experimente im Labor geben aber Hoffnung. Denn es sieht demnach nicht so aus, als dass Pirola sehr infektiös wäre oder dem Immunsystem besonders gut entwischen könnte. Das sind die zwei Punkte, die uns bei neuen Varianten normalerweise Sorgen bereiten.
Welchen Einfluss haben Grossveranstaltungen wie die Badenfahrt mit 1,2 Millionen Besuchern noch auf die Dynamik des Infektionsgeschehens?
Das kann man nicht abschätzen – es gibt zu viele unbekannte Faktoren. Aber ich gehe momentan an sehr viele Veranstaltungen; man will ja auch leben!
Letztes Jahr war es die Kombination von Corona, Influenza und einer heftigen RSV-Welle bei Kleinkindern, die das Gesundheitssystem an die Belastungsgrenze brachte. Müssen wir dieses Jahr wieder mit einer solchen Dreifach-Welle rechnen?
Im letzten Jahr musste man damit fast rechnen, weil die Pandemie das ganze System durcheinandergebracht hat. Dies deshalb, weil wir uns wegen der Coronamassnahmen für lange Zeit kaum Viren exponiert haben, auf die wir sonst jedes Jahr treffen. Nun muss das System wieder ins Gleichgewicht zurückfinden. Mich würde es nicht überraschen, wenn das noch ein, zwei Jahre dauern würde. Allerdings haben wir von der Südhalbkugel, die die saisonalen Krankheitswellen ein halbes Jahr im Voraus erlebt, keine Signale, die darauf hindeuten, dass etwas Aussergewöhnliches auf uns zukommt. Deshalb schaue ich relativ gelassen auf den Winter.
Soeben wurden die neuen Impfempfehlungen veröffentlicht, wonach sich alle über 65-Jährigen boostern lassen sollen. Wie handhaben Sie es mit dem Boostern?
Ich werde dieses Jahr wahrscheinlich darauf verzichten. Ich impfte mich bereits dreimal gegen das Coronavirus und fing mir insgesamt schon drei natürliche Infektionen ein. Da ich keine Risikofaktoren habe, glaube ich, mit meinem Immunsystem gut gewappnet zu sein. Gegen die Grippe werde ich mich aber wie jedes Jahr impfen lassen. Auch, weil mich die Grippe-Impfung nie so stark umhaut, wie die Corona-Impfungen das getan haben. Wenn ich allerdings in einer Risikogruppe für schwere Verläufe wäre, dann würde ich mich gegen Corona boostern lassen. Am besten lässt man sich individuell beraten.
Im Moment befinden sich Impfstoffe im Zulassungsverfahren, die spezifisch auf die zurzeit in der Schweiz dominierende Corona-Variante XBB.1.5 angepasst sind. Wirken diese überhaupt, wenn Pirola die Oberhand gewinnt?
Das ist natürlich eine Frage, die mit neuen Varianten immer wieder auftaucht. Bis jetzt war es aber immer so, dass ein Booster schwere Fälle trotzdem verhindern konnte. Ich nehme an, das bleibt so.
Covid-19 hat seinen Schrecken für viele verloren. Die meisten fürchten sich nun vor den Langzeitfolgen, vor Long Covid.
Das kann ich gut nachvollziehen. Auch als ich mit Corona krank im Bett lag, machte ich mir kaum Gedanken über die akute Krankheit. Aber ich fragte mich jedes Mal, ob ich wohl bald wieder aufstehen und normal weiterleben kann. Das ist eine unangenehme Situation. Leider hat man immer noch nicht eine wahnsinnige Klarheit in der Forschung darüber, was Long Covid genau ist, was man präventiv und zur Besserung dagegen tun kann.
Was lehren uns denn frühere Pandemien über Langzeitfolgen?
Auch hier gibt es leider grosse Wissenslücken und wir können kaum auf Erfahrungsdaten etwa von der Spanischen Grippe oder der Sars-CoV-1-Pandemie zurückgreifen. Zwar gab es immer wieder Berichte von postviralen Syndromen, welche die Betroffenen in einen chronischen Müdigkeitszustand versetzt haben. Das hat man aber nie wirklich ernst genommen, auch nicht in der Medizin. Das passiert erst jetzt langsam mit Long Covid. Allerdings werden immer noch nicht die Ressourcen reingesteckt, die das Thema eigentlich verdient hätte.
In der Natur springen täglich Viren und andere Krankheitserreger von Tieren auf den Menschen über - und können potenziell die nächste Pandemie auslösen. Welche Erreger haben Sie insbesondere auf dem Schirm?
Es gibt zwei grosse Sorgenkinder in der Epidemiologie. Da sind zum einen die Antibiotikaresistenzen. Wenn ein bakterieller Erreger auftaucht, gegen den sämtliche Antibiotika machtlos sind, werden wir hohe Sterblichkeitsraten verzeichnen müssen. Da ist die Datenlage sehr klar.
Und das zweite Sorgenkind?
Das ist die Familie der Influenza-Viren, von denen es viele mit Pandemie-Potenzial gibt. Zuletzt macht vor allem das Vogelgrippevirus Schlagzeilen, das viele Wildvögel und immer wieder Säugetiere befällt. Wenn es einmal einen Menschen erwischt, endet das in vielen Fällen tödlich. Zum Glück schafft es das Virus noch nicht, sich von Mensch zu Mensch zu übertragen, was eine Voraussetzung für eine Pandemie wäre. Man muss aber sagen, dass dieses Virus extrem gut überwacht wird und wir die Gefahr daher relativ gut abschätzen können. Mehr Sorgen machen mir Erreger, die wir nicht überwachen.
Es gibt unzählige Viren, sodass man kaum alle überwachen kann. Manche Forschungsgruppen versuchen daher, mit künstlicher Intelligenz den nächsten Pandemie-Kandidaten zu bestimmen. Was halten Sie davon?
Das sind spannende Überlegungen, und ich bin sicher, dass uns KI dabei unterstützen kann, solche Signale in riesigen Datenmengen zu finden, die sonst verborgen blieben. Aber momentan befinden wir uns da wirklich noch in der Grundlagenforschung. Bisher gibt es sehr wenige Anwendungen, wo uns die KI in der Pandemiebekämpfung konkret hilft. Es wäre falsch, sie als einen Zauberstab zu sehen, die dieses Problem lösen kann. Grosses Potenzial sehe ich vielmehr in einer anderen technologischen Entwicklung, die mir allerdings Bauchschmerzen bereitet.
Erzählen Sie.
Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber wir unterschätzen, wie einfach es in zehn oder zwanzig Jahren sein wird, neue und gefährliche Erreger im Labor heranzuzüchten. Wir befinden uns in der Biotechnologie momentan in einer ähnlichen Phase, die wir auch in den Computerwissenschaften einst durchlebt haben: Die Manipulation von Viren und anderen Krankheitserregern wird bald nicht mehr einigen grossen und hoch spezialisierten Labors vorenthalten sein, sondern machbar und erschwinglich für eine viel breitere Masse. Und damit auch einfacher für Menschen erreichbar, die die Technologie mit bösartiger Absicht verwenden können. Das ist eine Thematik, die wir noch viel zu wenig auf dem Radar haben.
Die Wissenschaft betreibt diese Art von Experimenten selbst, indem sie mit echten Viren im Labor herumtüftelt. Damit treiben Forscherinnen und Forscher die Entwicklung voran. Sind sie sich der Verantwortung bewusst?
Aus meiner Sicht ist dieses Verantwortungsbewusstsein in der Forschung stark verankert. Man versucht immer abzuschätzen, was die Risiken einer neuen Technologie sind. Solche Technologien per se zu verbieten, finde ich eine schlechte Idee, auch von generellen Moratorien in der Schweiz halte ich grundsätzlich wenig. Denn nur wenn wir uns mit einer Technologie offen auseinandersetzen, können wir verstehen, was damit möglich ist, und uns überlegen, wie wir mit den negativen Folgen – die oft von anderswo kommen – umgehen können.
Sie leiten das nationale Corona-Forschungsprogramm, das dieses Jahr ausläuft. Darin werden Empfehlungen für künftige Krisen formuliert. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Lehren, die wir aus der Coronapandemie ziehen müssen?
Es ist kein Geheimnis, dass die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Behörden nicht optimal verlief. Meiner Meinung nach müssen wir hier unbedingt ansetzen und zwischen ihnen eine Brücke strukturell und institutionell aufbauen. In der Schweiz funktioniert der Transfer zwischen Hochschulen und der Wirtschaft gut. Das sieht man nicht zuletzt an der aufstrebenden Start-up-Kultur. Aber der Transfer zwischen Wissenschaft und öffentlichem Sektor steckt noch in den Kinderschuhen.
Woran haben Sie das festgemacht?
Beispielhaft zeigte sich das im Fall der Corona-Tracing-App, an der ich auch beteiligt war. Innert Kürze schafften wir es, dass die von uns entwickelte Technologie von den Tech-Giganten Apple und Google in die Betriebssysteme eingebaut wurde. Aber die App wurde in der Schweiz stiefmütterlich behandelt und kaum beworben. Als Konsequenz installierten die App nur sehr wenige Leute. Heute wissen wir, dass diese Apps enorm hilfreich sein können. Studien aus Grossbritannien zeigen, dass damit Zehntausende von Hospitalisationen und Tausende von Todesfällen verhindert wurden.
Während der Pandemie haben Sie und andere Expertinnen und Experten sich regelmässig in den sozialen Medien lautstark über die Politik beschwert. Hat das der Zusammenarbeit geschadet?
Das glaube ich nicht. Ich für meinen Teil habe immer faktisch argumentiert und mit meiner Kritik nie direkt auf eine Person gezielt. Ohnehin erachte ich es als äusserst wichtig, dass die Wissenschaft die Alarmfunktion übernommen hat. Für mich wäre es im Nachhinein viel schlimmer, wenn uns vorgeworfen würde, dass wir gewusst hätten, dass eine verheerende Pandemie auf uns zurollt, wir das aber verheimlicht hätten. Es ist schliesslich meine Pflicht als Wissenschafter und Bürger, mich mit meinem Wissen einzubringen. (aargauerzeitung.ch)
Von Katze in Frankreich bis Grizzly in den USA, von Seelöwen in Peru bis Füchse und Ottern in GB. Immer wieder wurde H5N1 nachgewiesen. Pelikane scheint es heftiger zu erwischen, aber auch Möwen und Pinguine.
Eben Platz für viele Fragezeichen.
Am Tag nach der zweiten Impfung hatte ich eine sehr schmerzhafte Herzmuskelentzündung (Myokarditis).
Im UNISpital sagte man mir, dass dies unmöglich von der Impfung sein könne...
Erst als ein befreundeter Arzt insistierte und auf die damals auftretenden Fälle von Myokarditis vor allem bei jungen Männern in ganz Europa im Zusammenhang mit Pfizer und Moderna hinwies, beschied man uns vom UNISpital telefonisch, dass hier "möglicherweise" eine Fehldiagnose vorlag.
Ich war seither so oft krank/kränklich, wie noch nie in meinem Leben.