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Interview

Gegen Frauen und Minderheiten: Expertin erklärt Anti-Gender-Politik

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Eine «Anti-Gender»-Demonstration in Warschau, Polen, im Sommer 2019.Bild: Shutterstock
Interview

«Richtet sich gegen Frauen und Minderheiten» – Expertin erklärt «Anti-Gender»-Politik

Die «Anti-Gender»-Politik hat sich in verschiedenen Ländern rasant verbreitet und manifestiert. So auch in der Schweiz. Stefanie Claudine Boulila ist Professorin an der Hochschule Luzern und erklärt, in welchen Formen diese Ideologie daherkommt.
11.04.2024, 09:43
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Frau Boulila, Sie haben eine Studie zur «Anti-Gender»-Politik in der Schweiz und Europa durchgeführt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Stefanie Claudine Boulila:
Die Mobilisierungen, die wir unter «Anti-Gender»-Politiken fassen, sind komplex und heterogen. Unsere Daten zeigen, dass es kein einheitliches Verständnis und übereinstimmende Ziele von Agierenden, Ideologien und Forderungen gibt. So sehen wir bei gewissen Themen unkonventionelle politische Allianzen.

Das versteht man unter dem Begriff «Anti-Gender»-Politik
Der Begriff «Anti-Gender»-Politik wird verwendet, um Mobilisierungen zu benennen, die sich gegen die rechtlichen und gesellschaftlichen Errungenschaften im Bereich der Gleichstellung, sowie der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt richten.
Quelle: Prof. Dr. Stefanie Claudine Boulila

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Es gibt beispielsweise bestimmte feministische Gruppierungen, die gemeinsam mit Agierenden der extremen Rechten gegen die Gleichstellung von trans Menschen kämpfen und aktiv versuchen, die Errungenschaften der trans Bewegung rückgängig zu machen. Dieses Beispiel zeigt, dass die politischen Hintergründe divers sind.

Stefanie Claudine Boulila.
Stefanie Claudine Boulila.Bild: zVg/Samuel Devantéry
Zur Person
Prof. Dr. Stefanie Claudine Boulila ist Forschungsverantwortliche am Institut für Soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit (HSLU). Derzeit leitet sie ein Arbeitspaket im Horizon Europe-Projekt «RESIST – Fostering Queer Feminist Intersectional Resistances against Transnational Anti-Gender Politics». Im Jahr 2021 erhielt Boulila einen Emma Goldman Award in der Höhe von 50'000 Euro für ihren Beitrag zur feministischen Forschung in Europa.

Das klingt nach einer herausfordernden Angelegenheit – gerade in einem Zeitalter, in dem sich die Themen auf dem politischen Parkett schnell ändern.
Genau, aber wir sehen in den Daten, dass es Kontinuitäten in den Bemühungen gegen Gleichstellung sowie geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gibt. Diese Mobilisierungen sind aber stark von politischem Opportunismus und ideologischer Aufstachelung geprägt. Das heisst, dass das Repertoire an Motiven und Praktiken sich konstant erweitert und wandelt. Es gibt zwar eine Fixierung auf bestimmte Themen, auch transnational, aber diese bleiben austauschbar und verändern sich je nach Fokus und Zielsetzung. Deswegen wirkt das alles auch so diffus und schwer fassbar.

Die «Gender-Ideologie» ist in verschiedenen Ländern weit verbreitet.
Die «Gender-Ideologie» ist in verschiedenen Ländern weit verbreitet.Bild: Shutterstock

Für die Studie wurden 200 Parlamentsdebatten und über 2000 Zeitungsartikel in Ungarn, Polen, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und dem Europäischen Parlament im Zeitraum von 2015 bis 2023 untersucht. Wie macht sich die Schweiz in diesem europaweiten Vergleich?
In unserem Untersuchungszeitraum waren die Bemühungen gegen Gleichstellung sowie geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Schweiz stark an bestimmte Gesetzesänderungen und Debatten gebunden. Konkret also an die Erweiterung der Rassismusstrafnorm, die Öffnung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare, die unbürokratische Änderung des Geschlechtseintrags und die bisher gescheiterte Einführung einer Option für ein drittes Geschlecht oder den Verzicht auf einen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister.

Gibt es noch andere Elemente?
Ein Motiv, das sich durch diverse Debatten durchzieht, ist die Figur des gefährdeten Kindes, das zum Beispiel bei der gleichgeschlechtlichen Elternschaft oder auch bei Debatten um eine nicht-diskriminierende Gesundheitsversorgung für trans Personen immer wieder auftauchte. Hierbei werden LGBTQI+-Rechte sowie Sichtbarkeit als Gefahr für Kinder und Jugendliche dargestellt.

Oft löst eine Tendenz, die sich gezielt gegen eine Minderheit richtet, eine vorhergehende Stimmungsmache ab. Ist das auch bei der «Anti-Gender»-Politik der Fall?
Das Spezielle bei «Anti-Gender»-Politik ist, dass sie sich gleichzeitig gegen die Rechte von Frauen und unterschiedliche Minderheiten richten kann, je nach Fokus. Gerade der Kampfbegriff der «Gender-Ideologie» kann gegen diverse Gleichstellungs- und Anerkennungspolitiken zur Hand genommen werden. Der Begriff «Gender-Ideologie» wird in unseren Daten opportunistisch und unscharf verwendet und lässt sich so gegen alle Gleichstellungsforderungen und geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten richten.

Noch eine abschliessende Frage: Wer profitiert von einer «Anti-Gender»-Politik?
Zum einen die Agierenden, die vor allem in der Politik, religiösen Gruppen und in den Medien zu finden sind. Unsere Daten haben aber auch gezeigt, wie stark Medien- und Verlagsunternehmen selbst Teil solcher Kampagnen sind. Hierbei kommen auch kommerzielle Interessen in einer wettbewerbsorientierten Medienlandschaft zum Tragen. Gerade Kampagnen gegen trans Minderheiten sind oft von einem Sensationalismus geprägt. Diese Medienaufmerksamkeit schafft eine beständige Plattform für «Anti-Gender»-Politiken und deren Verbreitung. Dadurch werden die durch solche Politiken angegriffenen Minderheiten zum Gegenstand ständiger Debatten und Kontroversen.

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263 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Borki
10.04.2024 20:45registriert Mai 2018
Ich glaube, ein grosser Anteil der Gesellschaft ist auch einfach etwas genervt, und zwar von den Schreihälsen auf beiden Seiten. Von einem Glarner, der auf billigste Art auf Kosten von Minderheiten Stimmen gewinnen will genau so wie von moralisierenden Vertretern dieser Minderheiten, die mir ihr Anders-sein nicht nur unter die Nase halten, sondern ins Gesicht schlagen wollen.

Leben und leben lassen, aber vor allem mich in Ruhe lassen. Danke!
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Tiere sind keine Menschen
10.04.2024 20:16registriert Dezember 2023
Es gibt das Recht auf freie Meinung und grundsätzlich - solange niemand beleidigt wird - freie Ausdrucksweise.

Das Ganze steht in keinerlei Widerspruch... Jemand der Trans ist kann von mir aus sich selbst als Frau oder Mann - oder sogar was ganz anderes - bezeichnen. Das ist das Recht dieser Person.

Aber es ist eben auch mein Recht (oder das von jemandem anders) zu sagen: "Du los, kei Bock uf so Chabis". Ich muss mir nicht gegen biologische Fakten Geschlechter erklären lassen und auch nicht mehr als respektablen Umgang - ohne Sprachge- und verbot haben.

Beide Freiheiten sind gedeckt.
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TRN
10.04.2024 21:02registriert Dezember 2021
Schade, hätte konkretere Aussagen erwartet. Ist Nichtverwenden von Genderstern Antigender? Wenn man es unfair findet, wenn Männer als Transfrauen an Frauensportwettbewerben teilnehmen? Wenn man der Auffassung ist, es gäbe 2 biologische Geschlechter (und "didn't work out as planned)? Für die heftigen Vorwürfe (Unterdrückung von Transmenschen und Frauen) müsste man schon konkreter werden, was man meint. Sonst besteht die Gefahr, dass das ganze als Nebelpetarde wahrgenommen wird.
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