Frau Boulila, Sie haben eine Studie zur «Anti-Gender»-Politik in der Schweiz und Europa durchgeführt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Stefanie Claudine Boulila: Die Mobilisierungen, die wir unter «Anti-Gender»-Politiken fassen, sind komplex und heterogen. Unsere Daten zeigen, dass es kein einheitliches Verständnis und übereinstimmende Ziele von Agierenden, Ideologien und Forderungen gibt. So sehen wir bei gewissen Themen unkonventionelle politische Allianzen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Es gibt beispielsweise bestimmte feministische Gruppierungen, die gemeinsam mit Agierenden der extremen Rechten gegen die Gleichstellung von trans Menschen kämpfen und aktiv versuchen, die Errungenschaften der trans Bewegung rückgängig zu machen. Dieses Beispiel zeigt, dass die politischen Hintergründe divers sind.
Das klingt nach einer herausfordernden Angelegenheit – gerade in einem Zeitalter, in dem sich die Themen auf dem politischen Parkett schnell ändern.
Genau, aber wir sehen in den Daten, dass es Kontinuitäten in den Bemühungen gegen Gleichstellung sowie geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gibt. Diese Mobilisierungen sind aber stark von politischem Opportunismus und ideologischer Aufstachelung geprägt. Das heisst, dass das Repertoire an Motiven und Praktiken sich konstant erweitert und wandelt. Es gibt zwar eine Fixierung auf bestimmte Themen, auch transnational, aber diese bleiben austauschbar und verändern sich je nach Fokus und Zielsetzung. Deswegen wirkt das alles auch so diffus und schwer fassbar.
Für die Studie wurden 200 Parlamentsdebatten und über 2000 Zeitungsartikel in Ungarn, Polen, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und dem Europäischen Parlament im Zeitraum von 2015 bis 2023 untersucht. Wie macht sich die Schweiz in diesem europaweiten Vergleich?
In unserem Untersuchungszeitraum waren die Bemühungen gegen Gleichstellung sowie geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Schweiz stark an bestimmte Gesetzesänderungen und Debatten gebunden. Konkret also an die Erweiterung der Rassismusstrafnorm, die Öffnung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare, die unbürokratische Änderung des Geschlechtseintrags und die bisher gescheiterte Einführung einer Option für ein drittes Geschlecht oder den Verzicht auf einen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister.
Gibt es noch andere Elemente?
Ein Motiv, das sich durch diverse Debatten durchzieht, ist die Figur des gefährdeten Kindes, das zum Beispiel bei der gleichgeschlechtlichen Elternschaft oder auch bei Debatten um eine nicht-diskriminierende Gesundheitsversorgung für trans Personen immer wieder auftauchte. Hierbei werden LGBTQI+-Rechte sowie Sichtbarkeit als Gefahr für Kinder und Jugendliche dargestellt.
Oft löst eine Tendenz, die sich gezielt gegen eine Minderheit richtet, eine vorhergehende Stimmungsmache ab. Ist das auch bei der «Anti-Gender»-Politik der Fall?
Das Spezielle bei «Anti-Gender»-Politik ist, dass sie sich gleichzeitig gegen die Rechte von Frauen und unterschiedliche Minderheiten richten kann, je nach Fokus. Gerade der Kampfbegriff der «Gender-Ideologie» kann gegen diverse Gleichstellungs- und Anerkennungspolitiken zur Hand genommen werden. Der Begriff «Gender-Ideologie» wird in unseren Daten opportunistisch und unscharf verwendet und lässt sich so gegen alle Gleichstellungsforderungen und geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten richten.
Noch eine abschliessende Frage: Wer profitiert von einer «Anti-Gender»-Politik?
Zum einen die Agierenden, die vor allem in der Politik, religiösen Gruppen und in den Medien zu finden sind. Unsere Daten haben aber auch gezeigt, wie stark Medien- und Verlagsunternehmen selbst Teil solcher Kampagnen sind. Hierbei kommen auch kommerzielle Interessen in einer wettbewerbsorientierten Medienlandschaft zum Tragen. Gerade Kampagnen gegen trans Minderheiten sind oft von einem Sensationalismus geprägt. Diese Medienaufmerksamkeit schafft eine beständige Plattform für «Anti-Gender»-Politiken und deren Verbreitung. Dadurch werden die durch solche Politiken angegriffenen Minderheiten zum Gegenstand ständiger Debatten und Kontroversen.
Leben und leben lassen, aber vor allem mich in Ruhe lassen. Danke!
Das Ganze steht in keinerlei Widerspruch... Jemand der Trans ist kann von mir aus sich selbst als Frau oder Mann - oder sogar was ganz anderes - bezeichnen. Das ist das Recht dieser Person.
Aber es ist eben auch mein Recht (oder das von jemandem anders) zu sagen: "Du los, kei Bock uf so Chabis". Ich muss mir nicht gegen biologische Fakten Geschlechter erklären lassen und auch nicht mehr als respektablen Umgang - ohne Sprachge- und verbot haben.
Beide Freiheiten sind gedeckt.